Spielszene Hannover gegen Elversberg mit Schiedsrichter Timo Gerach (Mitte)

AUDIO: Hannovers Rochelt zu Elfmeter-Situation: „Tue mich schwer damit“ (1 Min)

Stand: 01.11.2025 12:54 Uhr

Hannover 96 geriet beim Zweitliga-Spiel in Elversberg nach einem strittigen Strafstoß kurz vor dem Ende in Rückstand. Die Entscheidung befeuert die Diskussionen um das Zusammenspiel von Referee und VAR am Ende einer Woche mit vieldiskutierten Szenen im DFB-Pokal weiter.

von Tobias Knaack

Mehr Einigkeit gab es unter zwei Mannschaften in der Bewertung einer Situation wohl selten im Dauer-Debattier-Sport Fußball. „Ich hätte den Elfmeter, so wie er jetzt abgelaufen ist, nicht gegeben“, sagte Vincent Wagner, Trainer der SV Elversberg, nach dem 2:2 im Zweitliga-Topspiel. Also einer derjenigen, die am Freitagabend im Stadion an der Kaiserlinde zu den „Bevorteilten“ gehörten. Das sahen – wenig überraschend – auch die „Geschädigten“ so, also Hannover 96.

Hannovers Benjamin Källmann (l.) im Zweikampf mit Elversbergs Lukas Pinckert

Die „Roten“ haben im Topspiel in einer wilden Schlussphase einen Punkt geholt. Trainer Titz ärgerte insbesondere eine Elfmeter-Entscheidung für die SVE.

VAR korrigiert Schiedsrichterentscheidung nicht

Konsens allenthalben – und doch gab es am Freitagabend wieder reichlich Gesprächsbedarf, weil es eben trotzdem Strafstoß für Elversberg gab. Was war passiert? SVE-Mittelfeldspieler Frederik Schmahl bekam in der 79. Minute im Strafraum einen Rempler von Hannovers Jannik Rochelt in den Rücken, machte noch zwei vollständige Schritte, ehe er beim dritten zu Boden ging. Der Körperkontakt war zu diesem Zeitpunkt längst vorbei.

Schiedsrichter Timo Gerach (Landau) aber entschied auf dem Feld auf Strafstoß und wurde – zur Überraschung fast aller, vor allem aber der Hannoveraner – vom VAR nicht korrigiert. Nicht einmal an den Bildschirm wurde er gerufen.

Lukas Petkov verschoss den Elfmeter zwar, Bambasé Conté traf aber im Nachschuss zum 2:1 (80.). Hätte Virgil Ghita fünf Minuten vor dem Ende nicht zum zweiten Mal für 96 ausgeglichen, Contés Treffer infolge des strittigen Strafstoßes wäre das Siegtor gewesen.

„Ich dachte, dass der Elfmeter mit dem Videobeweis zurückgenommen wird.“

Jannik Rochelt, Hannover 96

„Ich weiß nicht genau, was der Elfmeter war“, sagte „Verursacher“ Rochelt nach der Partie am ARD-Mikrofon: „Ich tue mich schwer, da ein klares Foul zu sehen, weil ich ihn oben mit dem Oberkörper eigentlich nur berühre“. Zumal Schmahl zunächst ja auch noch weitergelaufen sei, bevor er auf den Rasen fiel. „Ich dachte, dass der mit dem Videobeweis zurückgenommen wird.“

Wurde er nicht – und das brachte Rochelts ansonsten sehr besonnenen Coach Christian Titz kurz nach Abpfiff so richtig in Wallung. „Das ist neben der Chancenverwertung in der ersten Hälfte der Grund, weshalb wir nicht gewonnen haben. Das war eindeutig keiner“, zürnte der 54-Jährige: „Wenn, dann ist es eine Gelbe Karte wegen Schwalbe.“ Und mit Blick in Richtung des Videoassistenten, der nicht eingriff, sagte er: „Also wenn es sich einer angesehen hat, dann muss er leider die Augen verbunden gehabt haben.“

Titz: „Kritische Szene gegen uns entschieden“

Später, mit ein paar Minuten Abstand mehr zum Geschehenen war der Diplomat Titz wieder zurück: „Ich fand, dass es sonst eine gute Spielleitung war.“ Er habe „großen Respekt vor so einer Spielleitung, weil es um Bruchteile von Sekunden geht. Ich hätte mir nur gewünscht, dass das geprüft wird.“

Bei seiner grundlegenden Sicht blieb er: „Das ist einfach kein Elfmeter.“ Denn so war es für ihn „eine kritische Szene, die heute ein Stück weit gegen uns entschieden hat“.

Referee Gerach versteht, „dass darüber diskutiert wird“

Schiedsrichter Gerach äußerte, er könne nachvollziehen, „dass darüber diskutiert wird“. Er habe aber „die Szene auf dem Feld aus einer sehr guten Position gesehen. Ich stand unmittelbar – drei bis vier Meter – hintendran und ich nehme wahr, dass der Elversberger Spieler klar die bessere Position hat. Er ist klar vorne dran und der Hannoveraner geht von hinten, seitlich in den Rücken rein, auch mit dem Ellenbogen“, sagte er dem „Kicker“.

Auch zu Schmahls „spätem Runtergehen“ hatte Gerach eine Erläuterung: „Wie bewerte ich das? Ist das Stoßen von hinten ursächlich für das Fallen und probiert der Stürmer, erst noch ein bisschen weiterzulaufen und sich abzufedern und geht dann runter – oder ist es ein billiges Ziehen von einem Strafstoß?“

Für Gerach war es kein billiges Ziehen – und damit ein Elfmeter. Er könne verstehen, dass nicht jeder auf Strafstoß entschieden hätte, betonte aber auch, dass von Schiedsrichtern erwartet wird, „auf dem Platz selbstbewusst eine Szene wahrzunehmen und dann zu entscheiden. Das habe ich in dem Moment gemacht.“

„Das ist ein Kompetenzmangel ohne Ende. Das ist das Grundproblem.“

Markus Merk, ehemaliger Bundesliga-Schiedsrichter

Damit liegt er auf einer Linie mit Ex-Bundesliga-Schiedsrichter Markus Merk, der am Ende einer Woche mit zahlreichen strittigen Entscheidungen rund um Abseitstore und Elfmeterpfiffe im DFB-Pokal das Zusammenspiel von Referee und VAR in den Blick nahm. Die seither diskutierte Frage, ob die Technik auch schon vor dem Achtelfinale eingesetzt werden sollte, nannte der 63-Jährige „im Ansatz falsch“.

Viele Situationen zuletzt – auch in Bundesliga und 2. Liga – seien so klar gewesen, dass sie aus seiner Sicht auf dem Feld erkannt und richtig bewertet hätten werden müssen. „Wenn ich dann auch noch Minuten am Bildschirm brauche, um die richtige Entscheidung zu treffen – da fällt mir wirklich nichts mehr ein. Das ist ein Kompetenzmangel ohne Ende. Das ist das Grundproblem“, sagte Merk.

Tobias Welz beim Pokalspiel des 1. FC Köln gegen den FC Bayern München

Die 2. Runde im DFB-Pokal war eine Werbeveranstaltung für den VAR: Es gab viele krasse Fehlentscheidungen, viele davon folgenschwer. Doch erst ab dem Achtelfinale wird die Technik wieder genutzt. Warum eigentlich?

Diskussionen um Zusammenspiel von Referees und VAR

Der Ex-Referee glaubt, dass es bei einem Verzicht auf die Videoüberprüfung weniger Fehlentscheidungen geben würde. Der VAR sei „als Backup“ eingeführt worden. „Und heute verlassen wir uns auf ihn“, kritisierte Merk. Die Schiedsrichter seien nur noch „Erfüllungsgehilfen“. Er würde sich wünschen, dass „die Schiedsrichter auf dem Platz souveräner und sicherer entscheiden würden. Die Kompetenz stimmt nicht.“

Gerach entschied die Szene in Elversberg zwar selbstbewusst. Die Diskussionen um das Zusammenspiel von Referee auf dem Feld und dem VAR vor dem Bildschirm aber hat auch diese Entscheidung weiter befeuert. Der Eintracht der beiden Teams zum Trotz.

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