
Nach langer Verzögerung wird heute das Grand Egyptian Museum bei Kairo eröffnet. Der monumentale Bau mit mehr als 100.000 Exponaten ist auch ein Denkmal für die ägyptische Regierung.
Schon bei der Anfahrt ist das neue ägyptische Museum nicht zu übersehen. Das Grand Egyptian Museum, kurz GEM – ein langgezogener, eher flach gehaltener Bau, mit Pyramiden-Ornamenten auf der Fassade – ganz in der Nähe der echten Pyramiden von Gizeh gelegen. Auf die einen wirkt das sandsteinfarbende Gebäude wie eine avantgardistische Annäherung an die antiken Weltwunder – andere sagen, es habe von außen den Charme einer überdimensionierten Turnhalle.
Die Sicherheitskontrollen gleichen einem Flughafen und zeigen die Dimensionen des zu erwartenden Besucheransturms: Dutzende Vereinzelungsschranken nebeneinander. Hier können Busse mit internationalen Touristen abgefertigt werden – bis zu 15.000 Besucher täglich sollen demnächst hier ankommen.
Vorfreude auf ganze Eröffnung
Schon die Verkäuferin an der Kasse freut sich auf die Eröffnung – endlich, sagt sie. Nach rund 20 Jahren Bauzeit, Kosten in Milliardenhöhe, wurde die offizielle Eröffnung zuletzt immer wieder verschoben. Stattdessen gab es eine Teil-Öffnung – Stück für Stück konnten Besucher erst nur die große Halle, dann den Treppenaufgang und zuletzt erste Galerien besuchen.
Für die Betreiber war diese Salami-Taktik hilfreich – rund 800 Beschäftigte arbeiten täglich in dem Riesengebäude. „Es ist eine sehr große Herausforderung“, sagt Mirette el Sayyed von der Betreiberfirma des Museums. „Durch die spätere, portionsweise Eröffnung hatten wir eine Vorbereitungszeit, den ersten Stresstest mit nur wenigen Besuchern.“
Jetzt schaue man gespannt auf den Tag, an dem das Publikum zum ersten Mal in das ganze Museum komme, sagt el Sayyed. „Da erwarten wir einen großen Ansturm, das hält uns nachts wach.“
Tempel der Exponate
Über eine breite Auffahrt aus im Sonnenlicht hell gleißendem Stein geht es zum Tempel der Exponate – das Dreiecksmotiv der nachempfundenen Pyramiden wiederholt sich dutzendfach in der riesigen Fassade. Die ersten Besucher des Tages, Briten, sie sind begeistert: „Sehr beeindruckend, vor allem die große Treppe!“
Hinter einem dreieckigen Vordach, wie ein Tor aus Alabaster, öffnet sich die zentrale Halle des Museums. Der Blick in das Atrium raubt für einen Moment den Atem: Eine riesige Halle, so groß wie ein Hochhaus und mit monumentaler Imposanz – die 3.000 Jahre alte Kolossalstatue von Ramses II. wirkt mit ihren elf Metern Höhe und 83 Tonnen Gewicht fast klein und bescheiden. Der Raum solle Ehrfurcht erzeugen, schreiben Reiseunternehmer.
Dutzende Fremdenführer tummeln sich mit ihren Gruppen in der großen Halle. Eine luftig-offene Deckenkonstruktion lässt Licht in den Raum fallen und spendet dennoch Schatten, Ramses spiegelt sich in einem Wasserbecken. Der ganze Bau wirkt eher wuchtig als anmutig – ein moderner Palast, in dem man fast den Eindruck gewinnt, als wetteiferten Architektur und Exponate um die Gunst des Betrachters.
Touristen aus Deutschland und Österreich sind beeindruckt: „Gigantisch“, findet eine Besucherin – „pompös“, kommentiert ihr Mann. Eine Touristin aus Berlin sagt, der Bau erinnere sie an den Potsdamer Platz und betont „eine architektonische Meisterleistung“. „Sehr modern, wie ein Flughafen, gar nicht wie ein Museum“, findet eine andere Besucherin.
Ort der Superlative
Eine große Freitreppe führt von der Halle aus zu den Galerien. Prachtvolle Exponate reihen sich hier auf, eine Statue älter und wertvoller als die andere – ein Emporsteigen durch die Geschichte Ägyptens. Es ist ein Ort der Superlative, dieses größte Museum Afrikas: In den Galerien erwarten die Besucher auf einer halben Million Quadratmetern mehr als 100.000 verschiedene Exponate, darunter die berühmte Tutanchamun-Sammlung. Gestaltet wurde die Ausstellung unter anderem von deutschen Architekten.
„Niemand kann die Kollektion übertreffen, die man bei uns täglich sehen kann“, sagt Mirette el Sayyed. „Die Galerien haben so eine große Vielfalt von Artefakten – von Krokodil-Mumien bis zu Armreifen. Und natürlich die Tutanchamun-Kollektion mit mehr als 5.000 Stücken, zum ersten Mal die ganze Kollektion an einem Ort.“
Und deswegen hat Jörg aus Köln auf seinem Weg zum Badeurlaub am Roten Meer extra in Kairo stopp gemacht hat, um das neue Museum zu sehen: „Einfach mega beeindruckend“, findet er. „Allein schon von der Größe, und was die hier angeschleppt haben an Schätzen. Ich finde es von der Architektur ein bisschen zu pyramidig, das Dreieck ist ja überall.“
Stolz der Regierung
Ralph aus dem Rheinland fehlt der Einblick in das Leben der einfachen Menschen neben den großen Pharaonen. Das gesamte Gebäude für ihn: monumental, raumeinnehmend – geplant von den Pharaonen der Neuzeit sozusagen. Ägyptens Regierung ist mehr als stolz auf das Großprojekt.
Und so mancher Besucher bemerkt doch den Unterschied zwischen der ärmlichen Bevölkerung draußen in den Vierteln vor dem Museum – und dem teuren Prunkbau. „Aus Kairo hierher gefahren sieht man natürlich auch die elendigen Häuser teilweise“, so eine Besucherin aus Berlin. „Wenn man dann so etwas sieht, dann denkt man schon, wie kann das sein?“
Modernes Meisterwerk?
Begeistert sind die Besucher aus der ganzen Welt – denn das neue Museum kann sich im Gegensatz zu seinem etwas angestaubten Vorgänger messen lassen mit den anderen berühmten Museen weltweit – gut beschriftet, angenehm klimatisiert, ansprechend, sauber, sortiert würdigt es die Wunderwerke des alten Ägyptens. Kairos modernes Meisterwerk ist tatsächlich fertig geworden.
Und wenn man, ganz oben auf der Freitreppe angekommen, den Blick aus der großen Glasfassade wirft, dann wird für einen Moment das ganze Museum leise, verschwinden die Besuchermassen, der Trubel und das Summen der Rolltreppen: Durch das Fenster schaut man auf das wahre Wunder der Architektur, das in kein noch so großes Museum passt – nur wenige 100 Meter entfernt und nach wie vor unübertroffen majestätisch: die Pyramiden von Gizeh.
Anna Osius, ARD Kairo, tagesschau, 01.11.2025 10:36 Uhr
