Inhalt / Kritik
Nach einem Zwischenfall an der Universität, an der er arbeitete, kehrt Marcelo (Wagner Moura) in seine Heimatstadt Recife zurück. Er ist sich bewusst, dass er weiterhin beobachtet wird, weshalb er sich versteckt und sich einen Decknamen zulegt. Seine Heimat bietet ihm jedoch alles andere als die Ruhe, die er sucht, denn der Fund eines menschlichen Beines im Maul eines Hais wirft Fragen auf. Während die lokale Presse eine Sensationsstory wittert, sieht sich der korrupte Polizeichef Euclides (Robério Diógenes) in der Pflicht, den Fall schnell aufzuklären. Davon bekommt Marcelo zunächst nichts mit. Unter falschem Namen nimmt er seine Arbeit auf dem Polizeirevier auf, wo sein neuer Vorgesetzter vor allem durch arrogantes Verhalten auffällt. Zugleich ahnt er, dass seine Widersacher ihm dicht auf den Fersen sind und sogar Auftragskiller auf ihn angesetzt haben. Marcelo muss sich nun entscheiden, ob er weiterhin zum Widerstand hält oder gemeinsam mit seinem Sohn die Flucht in ein neues Leben in Angriff nimmt.
Mechanismen der Macht
Obwohl Filme wie Aquarius oder Bacurau stark Bezug nehmen auf politische Themen, erklärt der brasilianische Regisseur Kleber Mendonça Filho, dass er bislang keineswegs einen wahrhaft „politischen Film“ gedreht habe. Erst mit seinem neuen Film The Secret Agent sei ihm ein solches Werk gelungen. Die Geschichte, die wie schon Aquarius in seiner Heimstadt Recife spielt, spielt zwar in der Zeit der Militärdiktatur, doch die ‚Mechanismen der Macht‘, mit denen das Regime seine Bürger überwachte, sind nach wie vor sehr präsent – lediglich die Technologie hat sich weiterentwickelt, wodurch die Überwachung subtiler und schwerer erkennbar wird. Jedoch geht es nicht allein um die politische und gesellschaftliche Form der Überwachung, sondern durch den von Wagner Moura (Narcos) gespielten Helden wird auch die psychologische Dimension einer Welt offenbar, in der Freiheit und Identität streng kontrolliert werden.
Während bei anderen Thrillern die Überwachung ab einem gewissen Punkt offensichtlich wird, bleibt sie in The Secret Agent nebulös. Filho geht weniger deskriptiv vor, sondern zeigt uns eine Welt, in der Kontrolle und die damit einhergehenden Gewalt zum Alltag geworden sind. Die Institutionen – eigentlich zum Schutz der Bürger bestellt – sind nunmehr Erfüllungsgehilfen eines Machtapparats und dazu noch hochgradig korrupt. Mittels einer eindrucksvollen Eröffnungsszene bringt Filho diese Aspekte seinem Zuschauer nahe, wenn der Held an eine Tankstelle vorfährt, vor welcher der bereits verwesende Leichnam eines Mannes liegt, der versuchte, den Tankwart zu überfallen. Eigentlich habe er schon die Polizei informiert, sagt der dickleibige Tankwart, doch wegen des Karnevals haben die Beamten andere Dinge zu tun. Als diese dann eintreffen, halten sich die Polizisten eher mit der Kontrolle des „Neuankömmlings“ auf und ignorieren den Toten völlig.
Wie bei seinen vorherigen Filmen schaut Filho genau hin, lässt sich Zeit und offenbart so die subtilen wie auch die augenscheinlichen Mechanismen der Korruption und Überwachung. Voller Überzeugung dank der Uniform zeigt der Staatsapparat sein wahres Gesicht – muss dies aber nicht konstant aufrechterhalten. Die Angst ist bereits so groß, dass schon kleine Vorstöße genügen, damit die Bürger dem Willen der Mächtigen gehorchen.
Über Haie und Beine
Die Mächtigen sind in The Secret Agent der Polizeipräsident Euclides sowie der Industrielle Ghirotti (Luciano Chirolli). Innerhalb der Welt, die Filho zeigt, stehen sie repräsentativ für ein korruptes, allein auf den Machterhalt erpichtes System auf der einen Seite und für reines Profitdenken auf der anderen Seite. Die Forschungsprojekte der Universität eignen sich die Mächtigen an, während jede Form von Protest oder Kränkung ihres Egos brutal geahndet wird – etwas, das der Held am eigenen Leib zu spüren bekommt. Offene Rebellion findet nur noch über einen Umweg statt, was in Filhos Werk über die abstruse Geschichte des behaarten Beines Ausdruck findet. Inspiriert von einer Geschichte, die der Regisseur selbst miterlebt hat, wird das Bein nicht nur zu einer Sensation in den Medien, sondern zum Sündenbock für jegliche Gewalt, deren wahren Täter man aus Furcht vor Repressalien nicht nennen darf.
Jedoch blickt der Regisseur auch auf eben jene Menschen, die in dieser Welt (über-) leben. In der Hauptrolle als Marcelo betont Wagner Moura, wie Unfreiheit einen Menschen mürbe macht. Es ist nicht nur die Überwachung, die den Helden verändert – die Frage nach der eigenen Identität wird immer dringender. Er will fliehen, doch an ein Entkommen ist nicht mehr zu denken, wenn ihm nunmehr Killer nach dem Leben trachten. Im Gespräch mit Vertretern des Widerstandes kommt es zu einer von vielen beeindruckenden Szenen, wenn Marcelo selbst zugibt, wie er sich verändert hat und das nun auch er der Gewalt nicht mehr abgeneigt ist, wenn sie ihm helfen kann.
Credits
OT: „O Agente Secreto“
Land: Brasilien, Niederlande, Deutschland, Frankreich
Jahr: 2025
Regie: Kleber Mendonça Filho
Drehbuch: Kleber Mendonça Filho
Musik: Mateus Alves, Tomasz Alves Souza
Kamera: Evgenia Alexandrova
Besetzung: Wagner Moura, Maria Fernanda Cândido, Gabriel Leone, Carlos Francisco, Alice Carvalho, Robério Diógenes, Luciano Chirolli
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