Vor dem Spiel von Hertha BSC gegen Dynamo Dresden haben sich Diego Demme und Paul Seguin gegenseitig ein wenig aufgezogen. „Du machst heute Box to Box“, sagte der eine. „Nee, du“, entgegnete der andere.

Box to Box heißt im Fußball: zwischen den beiden Strafräumen hin und her flitzen, immer wieder aus der Tiefe der eigenen Hälfte in die Spitze vorstoßen. Oder, um es auf den Punkt zu bringen: sich die Lunge aus dem Leib rennen.

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Kilometer legte Diego Demme im Spiel gegen Dresden zurück

Kein Wunder, dass Demme, 33 Jahre alt, und Seguin, 30, beide also im gestandenen Fußballeralter, diesen Job am liebsten dem jeweils anderen überlassen hätten. „Wir sind beide Spieler, die den Ball holen wollen“, sagte Diego Demme nach Herthas 2:0-Erfolg gegen Aufsteiger Dynamo Dresden. Also Spieler, die etwas tiefer positioniert sind, um von dort das Spiel der eigenen Mannschaft zu strukturieren.

„Am Anfang haben wir uns oft beide fallen lassen. Das war dann zu viel“, sagte Demme. „Nachher haben wir es besser gemacht. Einer hat hoch geschoben, einer ist geblieben.“

Wenn wir beide auf dem Platz sind, haben wir schon eine gute Spielkontrolle.

Diego Demme über das Zusammenspiel mit Paul Seguin

Bei zwei Spielern ihrer Erfahrung und ihrer Qualität darf man das durchaus erwarten. Und doch war es in ihrem Fall am Samstag mehr als nur eine Erwähnung wert. Demme/Seguin, das war vor der Saison die Wunschbesetzung von Herthas Trainer Stefan Leitl für das zentrale defensive Mittelfeld. Doch erst am elften Spieltag der Saison gegen Dresden standen sie nun zum ersten Mal gemeinsam in der Startelf. Und zum ersten Mal nach ihren langwierigen Verletzungen hielten sie jeweils 90 Minuten durch.

Nur die Ruhe. Paul Seguin bringt Struktur in Herthas Spiel.

© imago/Matthias Koch

„Mir haben beide sehr gut gefallen“, sagte Leitl. Demme und Seguin kontrollierten das Mittelfeld, und sie strukturierten das Spiel ihrer Mannschaft. Beides trug dazu bei, dass die Berliner gegen den Abstiegskandidaten aus Dresden einen über weite Strecken souveränen Sieg einfuhren.

„Wir hatten ein sehr starkes zentrales Mittelfeld“, sagte Innenverteidiger Toni Leistner. Mit Seguin und Demme habe man vor der Abwehr Spieler, „die immer die Arschruhe haben und die man immer anspielen kann“. Auch Demme selbst war mit dem Auftritt zufrieden. „Wir haben uns viel gegenseitig gesucht“, sagte er über das Zusammenspiel mit Seguin. „Wenn wir beide auf dem Platz sind, haben wir schon eine gute Spielkontrolle.“

Unabhängig von der Leistungsfähigkeit der beiden zentralen Mittelfeldspieler ist auch ihre Verfügbarkeit ein wichtiger Faktor für Herthas Aufschwung in den vergangenen Wochen. Sechs der jüngsten acht Pflichtspiele haben die Berliner gewonnen. Im eigenen Stadion waren sie innerhalb von acht Tagen dreimal siegreich, jeweils ohne Gegentor.

Leitl musste zu Saisonbeginn viel improvisieren

So wie die Berliner und ihr Trainer Leitl zu Beginn der Saison unter der verschärften Verletztensituation zu leiden hatten, so profitieren sie nun von der üppigen Personalstärke. „Wir haben nicht nur elf Spieler, sondern eher fünfzehn, sechzehn, die für die erste Elf infrage kommen“, sagte Kapitän Fabian Reese. „Jeder weiß, man hat einen im Nacken sitzen.“

Gerade auf der Sechserposition musste Leitl zu Saisonbeginn viel improvisieren. Mit Demme, Seguin und Kennet Eichhorn hat er nun drei Fachkräfte für die beiden Positionen zur Verfügung. „Da hat der Trainer die Qual der Wahl“, sagte Toni Leistner.

Der 16 Jahre alte Eichhorn hat längst nachgewiesen, dass er mehr ist als nur ein Talent – und dass es seiner Qualität nicht angemessen wäre, wenn er fortan zum Backup für die beiden Routiniers Demme und Seguin zurückgestuft werden würde. In der Englischen Woche mit den drei Spielen in acht Tagen konnte Leitl die Belastung nahezu gleichmäßig verteilen. Jeder der drei Sechser stand je zweimal in der Startelf. Eichhorn kam auf 128 Spielminuten, Seguin auf 182 und Demme auf 193.

Noch sind Demme und Seguin nicht bei 100 Prozent

Leitl fand es wichtig, dass Seguin und Demme gegen Dresden jeweils 90 Minuten spielen konnten. Noch wichtiger aber war für ihn, „dass Kenny Eichhorn mit seinen 16 Jahren mal eine Pause bekam“. Zuvor hatte er in sechs Pflichtspielen nacheinander in der Startelf gestanden.

Im Idealfall hat Leitl in den kommenden Wochen die Gelegenheit, die Belastung auf mehrere Körper zu verteilen. Und das betrifft nicht nur den jungen Eichhorn, sondern auch Demme und Seguin. „Ich bin aber nach wie vor der Meinung, dass beide noch viel Luft nach oben haben, was die körperliche Verfassung betrifft“, sagte Herthas Trainer.

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Demme gab zu, dass er sich bis zur 70. Minute frisch gefühlt habe, „danach haben die Körner langsam nachgelassen“. Trotzdem war er mit 13 Kilometern der laufstärkste Spieler auf dem Feld. Paul Seguin stand ihm mit 12,9 Kilometern kaum nach.

Leitl hat schon angekündigt, dass er mal den einen, mal den anderen spielen lassen werde, um beide an ihre volle körperliche Leistungsfähigkeit heranzuführen. Dass er perspektivisch die Wahl zwischen drei für Zweitligaverhältnisse überdurchschnittlich starken Sechsern hat, empfindet er nicht als Qual. Stefan Leitl sagte: „Ich freu mich jetzt auf die nächsten Wochen.“