Eine Teenager-Satire gehüllt in Preppy-Chic und Skater-Looks: 1995 stellte „Clueless“ die Mode auf den Kopf und machte den digitalen Kleiderschrank zum Sehnsuchtsobjekt. Auf dem Laufsteg wirken die Outfits aus dem Film nach – noch heute.
Vor wenigen Tagen fand zum vierten Mal „Vogue World“ statt, eine extra-lange und extra-prominent besuchte Modenschau des Modemagazins aus dem Hause Condé Nast für den guten Zweck. Models, Designer und Gäste fanden sich auf dem Gelände der Paramount Pictures Studios in Los Angeles ein. Das Motto der Schau: „Hollywood“. Auf dem ebenerdigen Laufsteg wurden Kostüme der Filmgeschichte zitiert, etwa aus „Marie Antoinette“. Der kürzlich verstorbenen Diane Keaton mit einem Look gedacht, der an ihren Auftritt in „Der Stadtneurotiker“ erinnerte.
Auch ein anderer Anblick weckte Nostalgie: Zwei Models erschienen in Blazern und kurzen Faltenröcken, das eine Ensemble gelb-schwarz-weiß kariert, dazu weiße Overknee-Strümpfe und Mary Jane-Schuhe, das andere in schwarz-weißem Karo, kombiniert und mit einem plastikartig anmutenden Hut auf dem Kopf. Wer im Herbst 1995 nicht unter einem Stein lebte und wenigstens beiläufig Blicke in Kinoprogramme und Modemagazine warf, wusste sofort, auf wen diese Looks rekurrieren: Cher Horowitz und ihre Freundin Dionne, die Hauptfiguren aus „Clueless“ von Amy Heckerling. Auch Jüngere erkannten die beiden, denn ihr Look ist bis heute auch auf Social Media präsent.
Vor genau 30 Jahren kam „Clueless“, ein frei auf Jane Austens „Emma“ basierender Mix aus Teenager-Komödie und Gesellschafts-Satire, in deutsche Kinos. Teenager träumten fortan davon, an ihrer Schule (die so gar nichts mit der schicken Film-High School in Beverly Hills gemein hatte), so populär zu sein wie die von Alicia Silverstone gespielte Hauptfigur, einen Kleiderschrank wie diese zu besitzen (dazu später mehr), im Unterricht nonchalant mit dem Handy zu telefonieren (oder überhaupt eines zu besitzen!) und Teenie-Dramen wie Liebeskummer und Führerscheinprüfungen wenigstens in (fast) perfekten Outfits zu erleben.
Die Kostüme bei der „Vogue World“-Schau waren nicht die Originale aus dem Film, sie stammten von den Labels Vivienne Westwood und Thom Browne. Beide stehen in einer regelrechten Tradition: Der kanariengelbe Karo-Look, im Original von Jean Paul Gaultier und gleich zu Beginn des Films zu sehen, galt schnell als „ikonisch“. Der so inflationär gebrauchte Begriff ist hier ausnahmsweise angebracht, unzählige Male wurde der Look zitiert, den Kostümdesignerin Mona May einmal selbst als „Schulmädchenuniform auf Steroiden“ bezeichnete: 2014 etwa ließen Iggy Azalea und Charli XCX im Video zum Song „Fancy“ den Film und natürlich auch besagtes Outfit wieder aufleben. 2018 zitierten es unter anderem Donatella Versace und Michael Kors in ihren Kollektionen. Längst ist es auch ein gefragtes Halloween-Kostüm, die Google-Suche danach liefert tausende Treffer. Deren Zahl dürfte noch gestiegen sein, seit sich Kim Kardashian und ihre Tochter 2023 als Cher und Dionne verkleideten.
Um zu verstehen, warum die Mode aus „Clueless“ schon damals für Aufsehen sorgte, hilft es, sich in die Mitte der 1990er Jahre zurückversetzen. Vor allem bei Teenagern dominierte Grunge- und Skater-Mode. Der adrette-durchdachte Stil, in dem Cher und ihre Clique zur Schule und auf Partys gingen, war neu. Teenager in Designermode – neben Jean Paul Gaultier tragen sie auch Calvin Klein, Azzedine Alaïa, Comme des Garçons und Anna Sui – hatte man bis dato kaum gesehen, erst später zogen Filme wie „Eiskalte Engel“ (1999) und Serien wie „Gossip Girl“ (ab 2007) mit luxuriös gekleideten Teenagern nach.
Der klassische Stil aus Faltenrock und Blazer, Cardigan und Haarband, Nadelstreifen, Karo- und Rautenmustern, dem „Clueless“ ein cineastisches Denkmal setzte, erlebt seit einigen Jahren ein Comeback, wird gerne als Teil des „Preppy Chic“ genannt. Kostümdesignerin May, die Anfang Oktober ein Buch mit Blick hinter die Kulissen und in die Garderoben veröffentlichte (natürlich mit gelb-schwarzem Karomuster auf dem Cover), griff nicht nur diesen Trend vorausschauend auf: Sie verpasste Silverstone als Cher auch viele transparente Hemden über Kleidern und Tops. Der Transparenz-Trend lebt in den letzten Jahren ebenfalls wieder auf.
Der Fellrucksack, mit dem Cher zur Schule geht, wirkt wie ein Vorbote der flauschigen Lammfell-Tasche, mit der Venus Willams dieses Jahr bei den US-Open erschien. Zum Sportunterricht (an dieser High School wird natürlich Tennis gespielt) gehen die Schulmädchen in Outfits, die manchen als Schablone für den später als „Athleisure-Look“ bekannten Mix aus Sport- und Alltagsmode gelten. Cher und Dionne trugen schon damals oft Haarbänder, die ein Jahrzehnt später die so stilbewusste wie intrigante „Gossip Girl“-Figur Blair Waldorf zu ihrem Markenzeichen machte.
In „Gossip Girl“ spielten Smartphones eine tragende Rolle, das entsprach dem Zeitgeist. In „Clueless“ waren Handys omnipräsent, lange bevor sie den Alltag der Menschen und vor allem von Teenagern eroberten. Sogar Accessoires dafür trugen Cher & Co. schon, etwa goldene Kettentäschchen im Chanel-Stil. In einer Szene klingelt beim Abendessen ein Handy, das Tischgespräch kommt zum Erliegen, alle wollen sofort abnehmen. Die heute übliche, ständige Erreichbarkeit saß schon damals mit am Tisch, nur ohne Touchscreen. Eine andere weitsichtige Idee wird bis heute immer dann zitiert, wenn eine neue App mehr Überblick über den eigenen Kleiderschrank verspricht. Wenn Cher morgens entscheidet, was sie anzieht, tut sie das mithilfe eines Computerprogramms, in dem ihre gesamte (beneidenswerte) Garderobe gespeichert ist und mit dem sie einzelne Teile zusammenfügen kann. Ist die Kombination nicht stimmig, erscheint die Meldung „Mis-Match“. Funktioniert sie, entstehen ikonische Looks wie jener im gelben Karomuster. Als diese Morgenroutine im Film zum ersten Mal gezeigt wird, läuft im Hintergrund David Bowies „Fashion“. Der Soundtrack überzeugt also auch noch.
Das Budget für die Film-Kostüme soll gerade einmal 100.000 US-Dollar betragen haben. Was nach viel Geld klingt, erscheint knapp, wenn man bedenkt, dass allein die Hauptfigur über 60 verschiedene Outfits trägt. Silverstone hatte damals zwar bereits Filme gedreht (unter anderem 1993 „The Crush“), bekannt war sie aber vor allem durch ihre Auftritte in Aerosmith-Videos. Sie war ein gefeierter MTV-Star, aber noch kein so großer Name, als dass große Marken kostspielige Outfits für eine High-School-Komödie zur Verfügung gestellt hätten. Also kaufte May selbst ein, kombinierte Luxusteile mit günstigeren und Vintage-Stücken – drei Jahre, bevor „Sex and the City“-Stylistin Patricia Field diesen Mix an Carrie Bradshaw alias Sarah Jessica Parker perfektionieren sollte.
Auch mit der Idee, Designer namentlich zu nennen, ging „Clueless“ voran. Als Cher in einem weißen Minikleid zum Rendezvous aufbrechen will, fragt ihr Vater sie empört: „Was ist das?“ Die Antwort ist so kurz wie das Outfit: „Ein Kleid.“ – „Sagt Wer?“ – „Calvin Klein!“ Auch der damals nur Modekennern bekannte Azzedine Alaïa wird bedacht: Als ein Straßendieb Cher auffordert, sich auf den Boden zu legen, während er flieht, sträubt sie sich – sie will ihr Kleid nicht ruinieren: „Das ist von Alaïa!“ Der Dieb fragt verwirrt: „Das ist was?“ – „Das ist ein wirklich angesagter Designer“. Alaïa war danach Millionen Menschen ein Begriff. Ähnlich erging es später in „Sex and the City“ Manolo Blahnik, dem favorisierten Schuhdesigner der Hauptfigur.
Gesellschaftskritik taucht ebenfalls auf: In lockerem Plauderton erzählt Cher, dass ihre Mutter durch Komplikationen bei einer Fettabsaugung starb. Schönheits-OPs sind für diese Teenager völlig normal; die vielen Verbände vor allem auf den Nasen der Schülerinnen wirken fast prophetisch angesichts des heute so früh um sich greifenden Optimierungswahns. Am Beispiel von (der viel zu früh verstorbenen) Brittany Murphy gespielten Tai, die zu Chers Clique stößt, tauchen auch Fragen des Klassenbewusstseins auf. „Wir müssen an deinem Vokabular arbeiten“, sagt Cher einmal zu Tai. Ihr Rat: Tai solle wie sie ein nicht-schulisches Buch pro Woche zu lesen. Das erinnert an die heutige Inszenierung des Lesens in Kampagnen von Dior, in Buchclubs von Marken wie Chanel und Miu Miu und von Models wie Kaia Gerber. Ob hier das Lesen oder das Buch eher als Accessoire im Fokus steht, ist oft nicht ganz eindeutig.
Seit diesem Frühjahr ist bekannt, dass eine Serien-Adaption des Films in Arbeit ist – mit Alicia Silverstone in der Hauptrolle und als Produzentin. Auch Amy Heckerling und Robert Lawrence, Produzent des Kinofilms, sollen dabei sein. Cher habe sich weiterentwickelt, lege auch bei der Mode Wert auf Nachhaltigkeit, scherzte Silverstone in einem Interview, versicherte aber, dass das Original respektiert werde. Wer die Kostüme designen wird, ist (noch) nicht bekannt. Das Budget dafür dürfte aber diesmal größer sein als 1995 – genau wie die Bereitschaft von Designern, Outfits bereitzustellen.