Zwei Frauen sitzen auf einem Sofa. Die eine wirkt erschöpft – ihr Körper zusammengesunken, der Blick müde und leer, verloren in die Ferne gerichtet. Die andere hat sich ihr zugewandt, beobachtet aufmerksam das Gesicht der Älteren. Ihre Haltung ist aufrecht, beschützend. Die Komposition ist schlicht, fast symmetrisch, wodurch sich der Fokus ganz auf die Beziehung der beiden richtet. Das Schwarz-Weiß verstärkt die emotionale Tiefe, lässt das Bild zeitlos wirken und rückt Gesten, Blicke und Körperhaltungen in den Vordergrund.
Man spürt Nähe und Distanz zugleich: Nähe im physischen Zusammensitzen, Distanz in der inneren Abwesenheit der Erschöpften. Es ist, als hielte die Kamera einen stillen Dialog fest – zwischen Generationen, zwischen Müdigkeit und Stärke, zwischen Fürsorge und Loslassen, zwischen Mutter und Tochter.
Für alle alleinerziehenden Mütter
Das Foto ist Teil der Ausstellung „Playlist“, die noch bis zum 11. Januar in der Staatsgalerie Stuttgart zu sehen ist. Es zeigt die Künstlerin Semiha Degirmenci mit ihrer Mutter. „Dear Mama“ heißt die fotografische Serie, von der dieses eine Bild ausgestellt ist, angelehnt an Rapperlegende 2Pacs Song „Dear Mama“. In dem heißt es: „A poor single mother on welfare, tell me how you did it. There’s no way I can pay you back. But the plan is to show you that I understand. You are appreciated“.
Auch Semiha, kurz Semi, ist als Tochter einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen. In ihrer Fotoserie porträtiert sie die Lebensrealität alleinerziehender Mütter, emotionaler Kern ist ihre eigene Mutter Selver, eine Frau, die viel getragen, viel verloren hat. „Die Fotoserie ist eine Hommage an meine Mutter“, sagt die 27-jährige Künstlerin. „Frauen, insbesondere auch alleinerziehende Mütter, gehen in unserer Gesellschaft oft unter. Ich will ihnen eine Plattform bieten.“
Stipendiatin der der Studienstiftung des deutschen Volkes
Die Mutter selbst scheut das Rampenlicht. Das Foto entstand eher spontan, mit Selbstauslöser im heimischen Wohnzimmer. Zur Vernissage in die Staatsgalerie kommt sie trotzdem, hält sich eher im Hintergrund. Ein emotionaler Moment für Semi.
Semis Großvater kam als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland. Sowohl ihre Mutter als auch sie und ihre zwei Brüder sind in Deutschland geboren. Alle wohnen zusammen in einer Wohnung in Heilbronn. Mit 16 Jahren kaufte Semi ihre erste professionelle Kamera. Nach dem Abitur – sie ist die erste in der Familie mit Hochschulreife – fängt sie mit dem Studium „Gestaltung, Kunst und Medien“ an der Merz Akademie an. Auf eine Kunstform und ein Medium mag sie sich noch nicht festlegen. Die Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes liebt die Fotografie genauso wie das Filmemachen.
Für die Zukunft hat die junge Künstlerin schon konkrete Pläne: „Ich will jungen Leuten, Leuten mit Migrationshintergrund, Leuten, die aus Alleinerziehenden-Haushalten kommen und Nicht-Akademiker-Eltern haben etwas mitgeben“, sagt sie uns im Interview. „Ich wäre gerne einmal Mentorin oder Dozentin.“
Ausstellung „Playlist“
 Inhalt
Die Ausstellung präsentiert Arbeiten von 30 Studierenden der beiden Stuttgarter Kunsthochschulen Merz Akademie und der Akademie der Bildenden Künste.
 Laufzeit
Die Ausstellung läuft bis zum 11. Januar 2026 in der Staatsgalerie Stuttgart.