Die Anträge der CDU-Fraktion im Leipziger Stadtrat, die Verhängung von Tempo 30 im Stadtgebiet zu verhindern, sind mittlerweile Legion. Die Argumente, welche die Fraktion vorbringt, sind fast immer dieselben. Und sie haben mit der Realität meist wenig zu tun. Auch wenn das so klingt, wenn CDU-Stadträtinnen und AfD-Stadträte am Rednerpult der Ratsversammlung über ausgebremsten Verkehr und fehlende Flüssigkeit klagen. An einer Stelle, an welcher der Stadtrat überhaupt keine Weisungsmacht hat.

So geschehen wieder am 29. Oktober, als der Antrag der CDU-Fraktion „Reibungsloser und leichtgängiger Verkehr in Leipzig“ zum Aufruf kam. Klingt erst mal gut. Könnte eigentlich jeder Verkehrsteilnehmer zustimmen, egal, ob Autofahrer, Handwerker, Radfahrer, Fußgänger oder Straßenbahnnutzer. Nichts ist schöner, als wenn es im Verkehr einfach flutscht und man schnell und ohne großes Warten da hinkommt, wo man hin will.

Nur: Das ist in Leipzig mit der wachsenden Zahl von Kraftfahrzeugen und dichterem Verkehr schwieriger geworden. Nicht durch umgebaute Straßen, wie AfD-Stadtat Udo Bütow andeutete, der auch gleich noch behauptete, er würde das Schwarz-Weiß-Denken auflösen, wenn er sein Plädoyer für flüssigeren Autoverkehr hält.

Denn um nichts anderes ging es im CDU-Antrag, den CDU-Stadträtin Sabine Heymann am 29. Oktober begründete und dabei ebenfalls die längst auch durch Studien widerlegten Argumente vorbrachte, warum durchgängig Tempo 50 auf den Hauptstraßen den Verkehr flüssiger machen würde und die Nebenstraßen vom Durchgangsverkehr entlasten würde.

Das Märchen von den Nebenstraßen und vom ÖPNV

Im CDU-Antrag klang das so: „Die Stadtverwaltung hat sowohl der Leichtgängigkeit des überörtlichen Verkehrs, des Öffentlichen Personennahverkehrs und der Pendlerverkehre als auch der Verkehrssicherheit in den sensiblen Bereichen Rechnung zu tragen.

Hauptverkehrsstraßen dienen ausdrücklich dazu, Ortsteile und Leipzig in die Region hinaus zu verbinden. Dazu sind sie zumeist auch mit Bundesstraßen belegt. Im STEP Verkehr und öffentlichen Raum haben wir dazu das Straßenhauptnetz aufgenommen.

Durch die Leichtgängigkeit des Verkehrs im Hauptstraßennetz wird sichergestellt, dass die Nebenstraßen und -zonen vom Durchgangsverkehr weitgehend entlastet werden. Dies dient der Verkehrssicherheit, dem Lärmschutz sowie der Minimierung der Emissionswirkung im enger bebauten Verkehrsraum.

Udo Bütow (AfD) im Leipziger Stadtrat am 29.10.25. Foto: Jan KaeferUdo Bütow (AfD) im Leipziger Stadtrat am 29.10.25. Foto: Jan Kaefer

Im Hauptstraßennetz wird zum größten Teil auch der ÖPNV abgewickelt. Mit Ausweitung der Einführung von 30 km/h-Strecken sind dann auch Bus und Bahn gezwungen, diese Geschwindigkeitsbegrenzung einzuhalten. Um dann weiterhin die gleiche Fahrgastzahl bewältigen zu können, müsste eine dichtere Taktung erfolgen. Damit sind mehr Bahn- und Buskörper erforderlich und ebenfalls noch mehr Fahrer. Beides ist mit zusätzlichen Kosten und einer weiteren Belegung mit Fahrzeugen im beschränkten Verkehrsraum verbunden.“

Der Hinweis auf den ÖPNV war dann schon ein deutliches Ablenkungsargument. Frei nach dem Motto: Wenn der Kraftverkehr auf 30 km/h abgebremst wird, wird auch der ÖPNV ausgebremst. Belege dafür gibt es aber nicht. Wobei Sabine Heymann so ehrlich war zuzugeben, dass der CDU-Antrag reine Klientelpolitik war. Immerhin.

Es zählt ganz allein die StVO

In die Entscheidungshoheit des Stadtrates gehört das Thema sowieso nicht. Denn zur Ausweisung von Richtgeschwindigkeiten ist allein die Straßenverkehrsbehörde zuständig. Und die muss sich zwingend an die StVO halten, wie die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Kristina Weyh, nach einem Moment der Sprachlosigkeit feststellte. Denn das war ja nun wirklich nicht der erste Antrag, mit dem die CDU-Fraktion versuchte, in die Arbeit der Straßenverkehrsbehörde hineinzufunken.

Kristina Weyh (Bündnis 90/Die Grünen) im Leipziger Stadtrat am 29.10.25. Foto: Jan KaeferKristina Weyh (Bündnis 90/Die Grünen) im Leipziger Stadtrat am 29.10.25. Foto: Jan Kaefer

Dabei gibt die StVO enge Grenzen vor, innerhalb derer Kommunen wie Leipzig überhaupt Tempo 30 an Hauptstraßen verhängen dürfen. Und das führte das Mobilitäts- und Tiefbauamt (MTA), zu dem die Straßenverkehrsbehörde gehört, in seiner Stellungnahme auch akribisch aus: „Nach Straßenverkehrsordnung gilt innerhalb geschlossener Ortschaften automatisch eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Dies bedarf entsprechend auch keines kommunalen Beschlusses.

Zulässige Abweichungen nach unten wie nach oben sind ebenfalls durch die StVO normiert und bedürfen verkehrsrechtlicher Anordnungen (VrAO), die durch die Straßenverkehrsbehörde nach Prüfung und Abwägung aller Belange zu erlassen sind und die nicht der Beschlussfassung oder des Beschlussvorbehalts des Stadtrates unterliegen.

Mit der novellierten StVO gibt es neue Anordnungsgrundlagen für Geschwindigkeitsbeschränkungen (Tempo 30), insbesondere in Bezug auf Hauptverkehrsstraßen, Spielplätze und viel genutzte Schulwege. Daneben wird der Abstand zwischen zwei bestehenden Geschwindigkeitsbeschränkungen, der für eine Harmonisierung der Geschwindigkeitsregelung und zur Verbesserung des Verkehrsflusses erforderlich ist, von höchstens 300 m auf nun bis zu 500 m verlängert. Die neuen Vorschriften werden entsprechend auch in der Stadt Leipzig angewandt.

Durch die Novellierung der Straßenverkehrsordnung erfolgte zum einen ein Wandel der Entscheidungskriterien. Die Sicherheit geht nun der Flüssigkeit des Verkehrs vor. Zum anderen wäre das Festhalten an der angehobenen Geschwindigkeit in Hinblick auf die gewollte Geschwindigkeitsreduzierung in Städten, der ‚Vision Zero‘ sowie unter den Gesichtspunkten der stetigen Lärm- und Abgasreduzierung sowie des Klimaschutzes nicht mehr verhältnismäßig.“

Tempo 30 senkt den Lärm deutlich

Am Lärmthema hängte sich dann auch Udo Bütow auf. Und auch wenn Verkehrslärm in Leipzig in den Nebenstraßen nicht gemessen wird, sondern nur berechnet, wie Sabine Heymann betonte, gibt es längst ausführliche Untersuchungen dazu, wie stark Tempo 30 den Lärm auch auf Hauptstraßen mindert.

Weshalb der Hinweis des MTA auf den Lärmaktionsplan richtig ist: Wo es – besonders nachts – zu laut ist, kann die Straßenverkehrsbehörde Tempo 30 anordnen. Ob sie das macht, liegt ganz allein in ihrem Ermessen und den eng gefassten Bedingungen der StVO.

Franziska Riekewald (Die Linke) im Leipziger Stadtrat am 29.10.25. Foto: Jan KaeferFranziska Riekewald (Die Linke) im Leipziger Stadtrat am 29.10.25. Foto: Jan Kaefer

Und die Fraktionsvorsitzende der Linken, Franziska Riekewald, benannte dann den Punkt, der die autoverliebten Fraktionen derzeit so auf die Palme bringt. Denn die novellierte StVO stellt eben nicht – wie von Heymann und Bütow gewünscht – die empfundene „Flüssigkeit“ des motorisierten Verkehrs in den Mittelpunkt, sondern die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer.

Weshalb Thomas Kumbernuß (Die PARTEI) in seinem kurzen Beitrag auf die finnische Hauptstadt Helsinki verwies, wo die fast flächendeckende Verhängung von Tempo 30 dazu geführt hat, dass es keine Verkehrstoten mehr gibt.

Denn logischerweise werden mit Tempo 30 auch Bremswege kürzer, Unfälle weniger heftig, der Verkehr wird übersichtlicher für alle Verkehrsteilnehmer. Leiser übrigens auch. Die von Bütow und Heymann vorgebrachten Argumente stimmen schlichtweg nicht. Und Franziska Riekewald fand dafür ein deutliches Wort: „Das ist reiner Populismus.“

Was nicht bedeutet, dass eine Menge Stadträte den falschen Argumenten nach wie vor Glauben schenken. Ziemlich knapp wurde der Antrag der CDU-Fraktion mit 29:32 Stimmen abgelehnt.