Für Dekan Eckart Schultz-Berg war es Anfang Juni eine riesengroße Überraschung, als beim Öffnen der Turmkugel anlässlich der Kirchenrenovierung auf der Cannstatter Stadtkirche acht Zeitkapseln entdeckt wurden. Sie sind nun im Beisein von Archivar Andreas Butz gesichtet und von Oswald Dübgen und Klaus Wagner von der Gesamtkirchengemeinde Bad Cannstatt, fotografisch dokumentiert worden. Die Älteste Zeitkapsel stammt von 1661. Einen Tag später nach der Öffnung kamen die Dokumente wieder auf die Turmspitze.
Jetzt, nachdem Dübgen die Dokumente mit großem Zeitaufwand transkribiert hat, ist der Dekan immer noch fasziniert und verblüfft über deren Aktualität: „An ein paar Stellen muss man nur die Namen austauschen und schon passt es für heute.“ Das sei es auch, was das große Interesse der Menschen dafür ausmache. Das Grundmuster, das die Menschen damals umgetrieben habe, sei dasselbe wie heute.
Seit 3. Juni sind die Zeitkapseln wieder im Turmknopf. Foto: Schultz-Berg Themen sind der bedrohten Frieden, Hunger und Armut
Ganz oben steht das Thema des bedrohten Friedens neben Hunger und Armut. Wenn dieser Tage der amerikanische Präsident Donald Trump nach 30 Jahren Pause wieder erstmals Atomversuche ankündige und Russland ebenso zurück drohe, sei es erschreckend, wie viele Parallelen es gebe. Gerade der Blick in die Zeitkapsel-Dokumente von 1963 zeige die Aktualität. Die Schreiber blicken 1963 sehr besorgt in die Zukunft mit Blick auf die „technische Entwicklung der Zerstörungsmittel“.
Stuttgarter Zeitung 1963: Optimismus vor Gesprächen mit Moskau
Damals war der ehemalige sowjetische Ministerpräsident Nikita Chruschtschow mit dem amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy im Disput. Kurz nachdem Kennedy im Juli 1963 in Berlin mit seinem legendären Satz „Ich bin ein Berliner“ aufhorchen ließ, habe Chruschtschow eingelenkt, so der Dekan, und sich zu Gesprächen bereit erklärt, wie in der Stuttgarter Zeitung vom 13. Juli 1963 zu lesen ist. Auch werde von der großen Hoffnung und dem großen Optimismus vor den Gesprächen mit Moskau geschrieben.
Ängste um Krieg und Frieden und Atomwaffen
Heute drücken die Menschen die Ängste um Krieg und Frieden auch wieder aus. „Da können wir gleichziehen“. Auch, was Flaschnermeister Karl Veyhl 1963 in einer Urkunde in der Zeitkapsel geschrieben habe, sei total aktuell. „Und damals gab es noch kein Handy“ und trotzdem viel Stress und Eile. In dem Schreiben von 1963 wünschte Veyhl: „Möge dieses Bauwerk die Stürme dieser Zeiten überstehen. Die Menschheit dieser Welt zur Abrüstung und Atomwaffenverbot im christlichen Sinne bewegen.“ Der Wunsch nach fortschrittlichem Zusammenfinden aller Völker formuliert er ebenso und den „Kampf gegen die Arbeits-Hetze und Arbeits-Hast, der Arbeits-Termine und Arbeits-Vermassung, deren Ursachen allein der Krieg mit Kriegsfolgen und Wiederaufrüstung sind.“
Bereits in der Zeitkapsel von 1904 wird in der Cannstatter Zeitung von der Fortsetzung eines Krieges geschrieben, dass der Zar damals Truppen in Russland einer Reservemannschaft einberufen hatte. „Heute werde hierzulande diskutiert, wer zum Militär müsse“, so der Dekan. Er wird anlässlich der Vorstellung am 7. November einen Überblick über die Zeitkapseln und das jeweilige Umfeld geben und noch auf weitere spannende Berichte eingehen, wie etwa aus der Zeitkapsel von 1791 vom Blitzschlag, den die Türmerfamilie erlebt hatte. Auch über die Urkunde von 1791 berichten, die eine große Überschwemmung erwähnt und in deren Folge die Stadtkirche mit Bauschutt höher gesetzt worden war. Seither gibt es Stufen und die Kirche wurde somit hochwassersicher gemacht.
Beim Vortrag mit Lesung können Interessierte mehr vom Inhalt der Zeitkapseln erfahren. Oswald Dübgen liest aus den Dokumenten vor und der Dekan ordnet sie ein, am Freitag, 7. November, um 17.30 Uhr im Evangelischen Zentrum Bad Cannstatt, Wilhelmstraße 8. Dort gibt es dann auch die Broschüre über die Zeitkapseln zum Einführungspreis von 5 Euro, danach in der Stadtkirche und im Evangelischen Zentrum für 8 Euro.