Am Anfang des Strategiespiels Europa Universalis 5 darf man sich ein Land aussuchen. Wir entscheiden uns für die Niederlande. Wie schwer kann es schon sein, dieses kleine, windumtoste Land durch 500 Jahre Geschichte zu führen und zu einem europäischen Powerhouse auszubauen?

Die Antwort: sehr schwer. Denn in diesem Spiel kämpft man nicht nur gegen die galoppierende Inflation, sondern auch mit einer unüberschaubaren Anzahl von Menüs.

Fondaco…was?

Bald klicken wir uns durch Schichten an Hilfstexten, um herauszufinden, was genau der Unterschied zwischen „Fondacorechte gewähren“ und „Sundzoll-Ausnahme beantragen“ ist. Wer hier einsteigt, weiß nach fünf Minuten nicht mehr, ob er spielt oder ein Referat über frühneuzeitliche Handelsprivilegien vorbereitet.

Schon da wird klar: Europa Universalis 5 ist kein gewöhnliches Spiel. Es ist vielleicht gar kein Spiel, sondern eine Lebensaufgabe.

Denn hier wird Politik nicht inszeniert, sondern simuliert – in all ihrer sperrigen Schönheit. Jede Stadt, jede Provinz, jede Brauerei lässt sich feinjustieren. Sechs verschiedene Produktionsmethoden allein für Bier! Vom Weizen über den Hopfen bis zum metallenen Braukesselverfahren ist alles dabei.

Politik als System, nicht als Heldengeschichte

Diese Detailverliebtheit ist kein Selbstzweck. Europa Universalis 5 zeigt, dass Politik mehr ist als Krieg und Diplomatie. Sie ist ein fein austariertes Netz aus Gesetzen, Glauben, Ideologie und Ökonomie.

Als Spieler sind wir die Krone, aber keine absoluten Herrscher. Wir balancieren zwischen Adel, Klerus, Bürgern und Bauern. Zu viel Zentralisierung – und die Bauern rebellieren. Zu viel Freiheit – und der Adel tanzt uns auf der Nase herum. Politik als Aushandlungsprozess, als das Bohren dicker Bretter.

Geschichte als permanenter Ausnahmezustand

Das Spiel beginnt 1337, mitten im Hundertjährigen Krieg, und endet in der industriellen Revolution. Dazwischen: Seuchen, Kolonialismus, Glaubenskriege. Europa Universalis 5 erzählt Geschichte nicht als Fortschrittsnarrativ, sondern als ständiges Ringen zwischen Chaos und Ordnung.

Und irgendwann, nach Stunden des Regierens, Reformierens und endlosen Mikromanagements, stellt sich ein seltsam vertrautes Gefühl ein: Politik als Dauerkrise. Alles hängt mit allem zusammen, nichts ist je abgeschlossen.

Wenn die Karte zur Welt wird

Computerspiele vereinfachen normalerweise die Welt, um sie verständlich zu machen. Europa Universalis 5 tut das Gegenteil. Es will, dass die Karte selbst zur Welt wird – dass das „Territory“ in die „Map“ hineinwandert.

Jeder Gesetzestext, jede Steuer, jeder Handelsweg ist hier eine Variable im großen Gleichungssystem der Geschichte. Europa Universalis 5 ist kein Spiel über Helden, sondern eines über Systeme, über das feine Rauschen zwischen Kontrolle und Kontrollverlust.

Und so zeigt dieses Strategie-Ungetüm, dass Geschichte nicht von großen Männern gemacht wird, sondern von kleinen Entscheidungen, die wie Steine ins Wasser fallen und Kreise ziehen, bis sie die Welt verändern.