Manche halten sie für die erfolgreichste deutsche Künstlerin im Bereich Tanz für junges Publikum. Die Tänzerin und Choreografin Ceren Oran zaubert Tanzstücke, die kleine und große Zuschauer mitnehmen, und ist dafür mehrfach ausgezeichnet worden. Die Arbeiten der in Istanbul geborenen Künstlerin entstehen in der Türkei und in Costa Rica, größtenteils aber in ihrer Wahlheimat München. Hier gründete sie die Kompanie „Ceren Oran & Moving Borders“, mit der sie aktuelle Themen wie Einsamkeit oder Beziehungskonflikte mit erfrischender Leichtigkeit mitreißend interpretiert – egal, ob die Zielgruppe aus Klein- oder Grundschulkindern, tanzaffinen Erwachsenen oder Zufalls-Passanten besteht. Ihr Stück „Gute Wut“ ist gerade für den renommierten Theaterpreis „Faust“ nominiert, und am 21. November hat ihr jüngstes Werk „Listen!“ Premiere im Schwere Reiter.
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Die Woche startet in meinem zweiten Münchner Zuhause: den Tanztendenz-Studios im Lindwurmhof. Manchmal frage ich mich, ob dieser Ort nicht mein erstes Zuhause ist. Denn in den letzten zehn Jahren gab es viele Wochen, in denen ich hier mehr Zeit verbrachte als in meiner Wohnung. Heute probe ich für mein neues Stück „Listen!“. Ich fühle mich extrem privilegiert, dafür mit fünf wunderbaren Tänzerinnen und Tänzern sowie „Bartolomey Bittmann – Progressive Strings“ zusammenzuarbeiten. Die Musik dieses österreichischen Duos inspiriert mich seit vielen Jahren. Es ist also ein wahr gewordener Traum, mit ihnen und meinem Team zu arbeiten.
Dienstag: Mehr Demokratie wagen
Der ehemalige Kulturstaatsminister und Lehrstuhlinhaber für Philosophie und politische Theorie Julian Nida-Rümelin wirbt – allen Krisen zum Trotz – für einen demokratischen Optimismus. (Foto: Smith/Imago)
Auch heute wird geprobt, doch der Tag beginnt mit dem wöchentlichen Jour fixe mit unserer Produzentin und Co-Leiterin Karolína Hejnová. Diese Treffen sind in der Regel sehr konzentriert, aber es gibt es auch immer einen Moment für Privates. Themen haben wir genug, denn Karolina ist Mutter von drei Kindern und ich habe eine Tochter. Das Leben als berufstätige Eltern und Künstler kann ganz schön verrückt sein. Abends steht ein Besuch in den Kammerspielen auf dem Programm: Julian Nida-Rümelin spricht hier über die Rolle von Kunst und Kultur in der gefährdeten Demokratie. Ich finde es gerade jetzt wichtig, mir solche Vorträge anzuhören, insbesondere wenn – wie hier – ein ehemaliger Politiker einen „demokratischen Optimismus“ fordert. In meinem Berufsfeld arbeiten viele Menschen mit vielfältigen Hintergründen und im Moment sind viele politisch eher pessimistisch gestimmt – wen wundert es bei Ereignissen wie der „Stadtbild“-Debatte und dem Klima sozialer Kälte.
Mittwoch: Tanzen zu guter Musik
Musik nimmt einen besonderen Platz in meinem Leben ein. Sie hilft mir, mit allen Höhen und Tiefen umzugehen. Was mir auch hilft: Wasser. Das ist mein Element. Deshalb verbinde ich beides gerne miteinander, um den Kopf frei zu kriegen. Wenn ich morgens meine Tochter in die Kita gebracht habe, setzte ich die Kopfhörer auf, gehe von Obergiesing den Hügel hinunter bis an die schöne Isar. Für meine Spaziergänge wähle ich die Musik je nach Stimmung aus – vielleicht entscheide ich mich für Werke von Rameau, gespielt von Wilhelm Kempff. Am Nachmittag freue ich mich, meine Kollegin, die Choreografin Anna Konjetzky, auf einen Kaffee zu treffen. Ende November feiert sie 20 Jahre Bühnenleben mit der Aufführung „Kaleidoskopiert“ im Schwere Reiter. Darauf freue ich mich schon, heute aber geht es nach dem Kaffee erst mal in ihr Studio Playground zu „Play Dance”, um eine Stunde einfach zu guter Musik zu tanzen.
Donnerstag: Inspirierende Ausstellung
Eine Ausstellung im Haus der Kunst, die zeigt, wie Künstler zu verschiedenen Zeiten die Kreativität von Kindern und ihre Wahrnehmung von Kunst verstanden haben. Hier das Tischtennisspiel „Pingpinpoolpoolpong“ von Basim Magdy 2020. (Foto: Basim Magdy)
Ein Fokus unserer Kompanie „Ceren Oran & Moving Borders“ sind Projekte für junge Zuschauer und „ihre“ Erwachsenen. Wir touren international, und für mich ist es wichtig, die Entwicklungen in diesem Bereich zu verfolgen. In München geht das gut, denn wir haben gleich zwei wichtige Theaterfestivals für junges Publikum: „Think Big!“ und „Kuckuck“. Heute aber geht es zur Bildenden Kunst: Ich besuche zum zweiten Mal mit meiner zweieinhalbjährigen Tochter die inspirierende Ausstellung „Für Kinder: Kunstgeschichten seit 1968“ im Haus der Kunst. Sie zeigt, wie Künstlerinnen und Künstler zu verschiedenen Zeiten die Kreativität von Kindern und ihre Wahrnehmung von Kunst verstanden haben. Bei unserem ersten Besuch hat mir besonders das Tischtennisspiel „Pingpinpoolpoolpong“ von Basim Magdy gefallen. Meine Tochter dagegen war total begeistert von Ernesto Netos weichem Toberaum. Seit ihrer Geburt gibt mir der gemeinsame Besuch von Veranstaltungen eine ganz neue Perspektive auf meinen Beruf. Ich genieße es sehr, diese Momente mit ihr zu teilen. Zum Glück geht es ihr genauso.
Freitag: Türkisch frühstücken
Im Café Violin gibt es die türkische Eierspeise Menemen. Für Ceren Oran ist es das beste Menemen der Stadt. (Foto: Stephan Rumpf)
Der Freitag beginnt im Theater Hoch X mit der Premiere „Tanzwald“. Das Stück für alle ab fünf Jahren richtet sich explizit auch an taube Menschen. Weiter geht der Tag in meinem Lieblingskaffee in Obergiesing, dem Café Violin. Da ich in der Türkei geboren und aufgewachsen bin, spielt Esskultur eine große Rolle in meinem Leben. Und ich bin sehr wählerisch, was türkisches Essen in München angeht. Aber dieses Café bietet mit Abstand die besten Simit (ringförmiges Sesamgebäck, Anm.d.Red.) und das beste Menemen (traditionelle Eierspeise, Anm.d.Red.) der Stadt. Heute ist das für mich besonders wichtig, denn ein Teil von Ceren Oran & Moving Borders ist in Istanbul, wo sie mit unserem Stück „Spiel im Spiel“ auftreten. Während wir beim Zoom-Meeting den Probenplan besprechen, werde ich versuchen, ihnen nicht zu zeigen, wie neidisch ich bin. Wie gerne wäre ich mit ihnen in meiner Heimatstadt. Warum ich aber hier bin, dafür gibt es einen guten Grund, der mich zum Samstag führt …
Samstag: Wo Wut guttut
Ein sehr aufregender Tag. Da ich mit meiner Inszenierung „Gute Wut“ an der Schauburg für einen der renommiertesten Theaterpreise, den „Faust“, in der Kategorie Regie für „Junges Publikum“ nominiert bin, reise ich mit Familie und den Schauburg-Kollegen zur Verleihung nach Stuttgart. Wer Lust hat, mir die Daumen zu drücken: Es gibt auf derfaust-theaterpreis.de einen Livestream. Allerdings, wenn ich heute in München wäre, würde ich ins Zirka zu „Synaesthetix“ gehen. Die Veranstaltercrew von Joint Adventure um Walter Heun kenne ich gut, da ich schon Gast bei ihrem jährlichen August-Festival „Tanzwerkstatt Europa“ war. Ihr neues Format verbindet zeitgenössischen Tanz, bildende Kunst und Clubkultur, und die Pilotausgabe im letzten Jahr fand ich sehr spannend.
Sonntag: Skurrile Kinokomödie
Ist sie bloß eine manipulative Firmenchefin oder doch eine Außeridische? Emma Stone in „Bugonia“. (Foto: Imago/Cinema Publishers Collection)
Unabhängig vom Ergebnis muss ich mich von den überwältigenden Ereignissen des Samstags erholen und neue Energie für die Premierenwoche von „Listen!“ tanken. Auf dem Rückweg von Stuttgart ist eine Pause am Olchinger See angesagt, wo wir Freunde besuchen. Es gibt dort einen sehr schönen Rundweg mit einem netten Restaurant, Parks und schattigen Plätzen, die in herbstlichen Farben leuchten. Am Abend wäre es toll, ins Kino zu gehen, um das intensive Wochenende ausklingen zu lassen. Schauen wir mal, ob die Tochter mitmacht und rechtzeitig einschläft. Wenn dieser Traum heute wahr wird, dann gehe ich in „Bugonia“ von Giorgos Lanthimos.
Die Tänzerin und Choreografin Ceren Oran. (Foto: Christoph Gredler)
Ceren Oran wurde in Istanbul geboren. Sie arbeitet als freischaffende Tänzerin, Choreografin und Soundpainterin. Seit 2015 lebt sie in München und gründete hier „Ceren Oran & Moving Borders“. Die Kompagnie tourt international und wurden 2022 und 2025 mit der Optionsförderung der Stadt München ausgezeichnet. Dazu realisiert Ceren Oran auch Auftragsarbeiten etwa für die Schauburg in München, die Elbphilharmonie und das Schauspielhaus Hamburg. 2022 wurde sie mit dem Förderpreis Tanz der Landeshauptstadt München ausgezeichnet. Dieses Jahr ist sie nominiert für den Deutschen Theaterpreises „Der Faust“ in der Kategorie Regie für junges Publikum.