Es fällt schwer, die beiden Szenarien, genauer gesagt, die beiden Männer, unter einen Hut zu bringen: Auf der einen Seite der Mann, der im Mai 2023 vom Fenster seiner Wohnung nahe dem Viktualienmarkt aus mehrfach mit Stahlkugeln aus einer Softair-Waffe auf ein Auto schoss und ein ganzes Viertel in Angst und Schrecken versetzte. Und auf der anderen Seite dieser Herbert T. (Name geändert), der nervös auf der Anklagebank sitzt, sich gewählt ausdrückt, orientiert und sortiert wirkt, und ja alles richtig sagen will. Dazwischen liegen eine akute Phase von paranoider Schizophrenie – und eine aktuell medikamentöse Behandlung. Ob der 32-Jährige nun dauerhaft in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung untergebracht werden soll, hat die 10. große Strafkammer am Landgericht München I zu entscheiden.
Es waren dramatische Szenen, die sich in einer Stadt abspielten, in deren kollektives Gedächtnis sich der OEZ-Anschlag von 2016 mit seinen Ängsten und Schrecken eingebrannt hat: Ein Mann feuert Schüsse aus dem Fenster ab, während auf der Prälat-Zistl-Straße direkt gegenüber der Schrannenhalle die Gehsteige und Straßen voll von Passanten, Autofahrern und Radlern sind. Eine Stahlkugel durchschlägt die Heckscheibe eines Autos und reißt ein fußballgroßes Loch in das Fenster. Zwei weitere Kugeln treffen das Innere des Pkw. Menschen suchen panisch das Weite, Autofahrer flüchten aus ihren Fahrzeugen, wenig später hat die Polizei den Bereich um das Haus mit über 20 Streifenwagenbesatzungen abgeriegelt. Die Schrannenhalle wird teilweise geräumt, die Israelische Kultusgemeinde gleich um die Ecke verstärkt ihre Security.
Der Fahrer des getroffenen Wagens blieb körperlich unverletzt. Allerdings, so steht es in der Anklageschrift, erlitt er einen Schock, Panikattacken und eine akute Belastungsreaktion. Bis heute habe er mit Angstzuständen und Schlafproblemen zu kämpfen, so die Staatsanwaltschaft.
„Mein Mandant will die Tat nicht in Abrede stellen“, beginnt Rechtsanwalt Matthias Bohn, „aber er hat erhebliche Gedächtnislücken.“ Herbert T. nickt dazu, „ich habe es gemacht“, sagt er. Aber in seinem Kopf sei alles um einen Tag versetzt, „also dass das SEK da war, das ist nach meiner Erinnerung 24 Stunden später passiert“. Den Beamten soll er gesagt habe, dass er ein Pflaster aus dem Verbandskasten benötige. Er habe nicht gezielt aus dem Fenster geschossen, er wisse auch keinen Auslöser, „ich wollte niemanden verletzen, ich war nicht Herr meiner Sinne“. Anschließend habe er Münzen in seiner Sammlung sortiert und sei S-Bahn gefahren, berichtet er.
T. räumt ein, dass er seit der Schulzeit Marihuana konsumiere. Und der Vorsitzende Richter Nikolaus Lantz meint: „Nicht jeder, der kifft, bekommt eine Psychose. Aber jeder mit einer Psychose, der hier bei uns sitzt, hat vorher gekifft.“ Bereits während des Studiums, so erzählt T., habe er die Diagnose paranoide Schizophrenie erhalten, „aber ich wollte es nicht wahrhaben“. Jetzt sehe er ein, dass es ohne Medikamente nicht gehe. Der Unterbringungsbefehl gegen Herbert T. war bereits sechs Wochen nach der Tat außer Vollzug gesetzt worden, also Mitte Juni 2023. Seitdem, so versichert er, habe er sein Leben auf der Reihe. Anfang Mai wird die Kammer ein Urteil sprechen.