
Wer in die EU will, muss auch etwas bieten – und die Reformanstrengungen der Beitrittskandidaten werden jährlich bewertet. Montenegro zeigt sich dabei als Musterschüler, die Ukraine muss – trotz Fortschritten – nachsitzen.
Die Ukraine muss ihr Reformtempo erhöhen, wenn sie ihre Ziele auf dem Weg zu einem EU-Beitritt erreichen will. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse, die die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas und Erweiterungskommissarin Marta Kos in Brüssel vorgestellt haben.
Kallas attestierte der Ukraine Fortschritte: Die umfassenden Reformen während des russischen Angriffskriegs zeigten das beachtliche Bemühen des Landes um eine EU-Mitgliedschaft. In dem Text heißt es, die Ukraine habe im vergangenen Jahr trotz ihrer äußerst schwierigen Lage ein bemerkenswertes Engagement im EU-Beitrittsprozess gezeigt.
Jüngste negative Entwicklungen müssten allerdings entschieden rückgängig gemacht werden, so etwa der Druck auf Antikorruptionsbehörden und die Zivilgesellschaft. Zudem mahnen die Autoren des Berichts an, die Angleichung an EU-Standards beim Schutz der Grundrechte sowie Verwaltungs- und Dezentralisierungsreformen voranzutreiben.
Selenskyj appelliert an Orbán
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte unterdessen Ungarn dazu auf, den Beitritt der Ukraine nicht weiter zu blockieren. „Wir kämpfen um unser Überleben und würden uns sehr wünschen, dass der ungarische Ministerpräsident uns unterstützt oder zumindest nicht blockiert“, sagte Selenskyj bei einer Veranstaltung des Senders Euronews, dem er per Video zugeschaltet war. Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán, der gute Kontakte zum russischen Präsidenten Wladimir Putin pflegt, lehnt eine ukrainische Kandidatur ab. Seiner Meinung nach ist Kiew nicht bereit für einen EU-Beitritt.
Sorge vor zu großen Erwartungen in der Ukraine
Die ukrainische Regierung hat sich selbst das Ziel gesetzt, die EU-Beitrittsverhandlungen bis Ende 2028 abzuschließen. In der Analyse der notwendigen Reformfortschritte wird nun aber deutlich vor dem Risiko gewarnt, dass damit zu große Erwartungen geschürt werden könnten. Die Kommission unterstütze das ehrgeizige Ziel, weise jedoch darauf hin, dass hierfür eine Beschleunigung des Reformtempos erforderlich sei, heißt es dort.
Neben der Ukraine wurden auch das kleine Nachbarland Moldau sowie die Westbalkanstaaten Montenegro, Albanien, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien und Kosovo als EU-Beitrittsanwärter von der EU-Kommission bewertet. „Wir müssen unsere Union auf eine größere EU vorbereiten“, sagte Erweiterungskommissarin Kos.
Am meisten Hoffnungen auf einen baldigen Beitritt dürfen sich Montenegro und Albanien machen. Kos lobte den Balkanstaat Montenegro mit seinen rund 600.000 Einwohnern. Er habe „erhebliche Fortschritte auf dem Weg zum EU-Beitritt gemacht“. Auch Albanien zeige „beispiellose Fortschritte“, sagte sie. Montenegro ist unter den Kandidaten am weitesten fortgeschritten und strebt an, die Verhandlungen mit der EU bis Ende kommenden Jahres abzuschließen. Albanien hofft, diesen Schritt Ende 2027 zu vollziehen.
Zur Türkei und Georgien gab es ebenfalls Analysen, in beiden Fällen liegt der Beitrittsprozess allerdings wegen demokratischer und rechtsstaatlicher Defizite auf Eis. Deutliche Kritik gab es auch an Serbien. Die Regierung habe das Tempo der für einen Beitritt erforderlichen Reformen verlangsamt, sagte Kos.
Erweiterung erfordert das Ja aller Mitgliedsländer
Jede Entscheidung über eine Erweiterung der EU erfordert die einstimmige Unterstützung der derzeit 27 Mitgliedsländer. Laut einer im September veröffentlichten Eurobarometer-Umfrage befürworten 56 Prozent der EU-Bürger eine Erweiterung. In Frankreich sind es allerdings nur 43 Prozent, in Deutschland sind es 49 Prozent.