Umstrittene Kunstsammlung –

«Massivste Vorwürfe»: Warum es der Bührle-Stiftung in Zürich verleidet ist

Publiziert heute um 14:09 UhrEin Besucher im Kunsthaus Zürich betrachtet ein Kunstwerk in der Sammlung Emil Bührle. Neueröffnung Oktober 2021.

Die Bührle-Sammlung befindet sich seit 2021 im Kunsthaus-Neubau von David Chipperfield. Ob sie längerfristig dortbleibt, ist fraglich.

Foto: Taddeo Cerletti («20 Minuten»)

In Kürze:

  • Die Bührle-Stiftung hat ihren Ortsbezug zu Zürich gestrichen und kritisiert die anhaltenden Anfeindungen.
  • Kritiker vermuten bis heute Kunstwerke jüdischer Sammler in der umstrittenen Sammlung des einstigen Waffenproduzenten.
  • Der Stiftungsrat bezeichnet die behördliche Einmischung als beispiellos im liberalen Schweizer Museumsumfeld.

Es war eine Überraschung: Vor knapp zwei Wochen wurde bekannt, dass die Bührle-Stiftung ihren Stiftungszweck geändert und den Ortsbezug zur Stadt Zürich gestrichen hat. Festgeschrieben ist nur noch, dass die Kunstsammlung der Öffentlichkeit zugänglich bleiben muss. Damit könnte die wertvolle Sammlung dereinst das Kunsthaus Zürich verlassen.

Bewilligt hat die Statutenänderung die BVG- und Stiftungsaufsicht des Kantons Zürich (BVS). Diese hat nun auf ihrer Website Dokumente aufgeschaltet, aus denen hervorgeht, weshalb sie die von der Bührle-Stiftung beantragte Urkundenänderung bewilligt hat.

Sie entspreche dem Stifterwillen, da der Hauptzweck der Stiftung darin bestehe, die Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, schreibt die BVS.

«Beispiellose mediale und politische Kontroverse»

Auch das Gesuch der Bührle-Stiftung für die Statutenanpassung ist auf der BVS-Website einsehbar. Aus dem Schreiben des Bührle-Anwalts wird deutlich, was die Stiftung zur Statutenänderung bewogen haben dürfte: Sie hat genug von den Anfeindungen in Zürich. «Die negativen finanziellen, personellen und reputationsmässigen Auswirkungen auf die Stiftung und auf das Zürcher Kunsthaus waren enorm», heisst es. «Ob unter diesen Umständen eine weitere Präsentation der Sammlung in der Stadt Zürich weiterhin möglich, angemessen und vertretbar bleibt, ist aktuell ungewiss.»

Neubau des Kunsthaus Zürich von David Chipperfield, modernes Gebäude mit klaren Linien, 21. Juli 2021.

Die Sammlung befindet sich im Erweiterungsbau des Kunsthauses Zürich.

Foto: Marco Zangger («20 Minuten»)

Weiter kritisiert die Stiftung die «beispiellose mediale und politische Kontroverse» rund um die Kunstsammlung. Die Werke der Sammlung Bührle sind seit 2021 im Chipperfield-Neubau des Kunsthauses als Dauerleihgabe ausgestellt. Die Sammlung ist umstritten, weil der Waffenproduzent Emil Bührle (1890–1956) sie mit Gewinnen aus seinen Rüstungsgeschäften aufbaute, die er auch mit dem NS-Regime tätigte. Kritiker vermuten, dass in der Sammlung bis heute Kunstwerke enthalten sind, die jüdischen Sammlern als erzwungene Verkäufe entzogen wurden.

Die Bührle-Stiftung zeigt sich verärgert über die Dauerkontroverse, wie aus ihrem Gesuch an die kantonale Stiftungsaufsicht hervorgeht. Trotz aller Bemühungen, trotz der Mitwirkung aller betroffenen Parteien, trotz langjähriger wissenschaftlicher Erforschung und Aufarbeitung der Provenienzen aller Sammlungswerke seien gegenüber der Stiftung und dem Kunsthaus «massivste Vorwürfe von angeblich ethisch-moralischem Fehlverhalten, kritiklosem Umgang mit sogenannt historisch kontaminierten Kunstwerken bis hin zum Vorwurf von Antisemitismus» erhoben worden.

Stiftung kritisiert «behördliche Einmischung»

Weiter sei die Sammlung mit der pauschalen Behauptung diskreditiert worden, sie sei «letztlich das Ergebnis des Holocaust, erworben mit den Erlösen aus Waffenlieferungen an die Nationalsozialisten». Diese Debatte habe unter anderem zur öffentlich erhobenen Forderung geführt, die Werke aus dem Kunsthaus Zürich zu entfernen.

Zudem habe sich der Zürcher Stadtrat auf Druck des Gemeinderats veranlasst gesehen, der Zürcher Kunstgesellschaft im Subventionsvertrag konkrete Verpflichtungen zum Umgang mit den Werken aus der Sammlung Bührle aufzuerlegen. «Diese behördliche Einmischung in die Ermessens- und Handlungsfreiheit einer privaten kulturellen Institution ist im bisher liberalen schweizerischen Museumsumfeld ohne Vorbild», schreibt der Anwalt der Bührle-Stiftung.

Gutachter hält Zweckänderung für legitim

Kritisch äussert er sich auch zu den Plänen, die Bührle-Sammlung erneut umfassend zu untersuchen, weil die bisher geleistete Provenienzforschung der Stiftung als nicht ausreichend betrachtet werde. «Ob die Zürcher Behörden und das Kunsthaus Zürich bereit und in der Lage sind, dem fortdauernden Druck standzuhalten und weitere erhebliche Aufwendungen für die Sammlung Bührle zu betreiben, ist offen», heisst es im Schreiben. Wenn nicht, werde die Stiftung «neue Optionen prüfen müssen».

Schild mit der Aufschrift ’Sammlung Bührle’ im Kunsthaus Zürich bei der Neueröffnung am 6. Oktober 2021.

Die Sammlung Bührle im Kunsthaus Zürich steht seit Jahren im Zentrum einer Kontroverse um Raubkunst.

Foto: Taddeo Cerletti («20 Minuten»)

Als Erstes würde eine einvernehmliche Auflösung des Dauerleihvertrages im Raum stehen, mit der Konsequenz, dass die Werke an die Stiftung zurückgehen. Sollte dieser Fall eintreten, «wird eine weitere Präsentation der Werke in Zürich zumindest mittelfristig nicht mehr möglich sein». Finde sich in Zürich kein geeigneter Ort, um die Sammlung zu zeigen, sei der Hauptzweck der Stiftung, die öffentliche Zugänglichkeit der Sammlung, gefährdet.

Ein von der Stiftungsaufsicht beauftragter Gutachter, der Stiftungsrechts­experte Dominique Jakob von der Universität Zürich, stützt die Argumentation der Bührle-Stiftung. Auch er hält eine Zweckänderung stiftungsrechtlich für zulässig. Der Hauptzweck der Stiftung bestehe darin, die Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, das Wie und Wo liege grundsätzlich im Ermessen des Stiftungsrats. Weiter hält Jakob fest, dass sich das Umfeld in Zürich stark verändert habe. Der Hauptzweck der Stiftung, die Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, erscheine bei einer Beschränkung des Wirkungsfelds auf Zürich angesichts der gegenüber der Stiftung erhobenen Vorwürfe und der daraus folgenden Unsicherheiten massiv gefährdet.

Vertrag mit Kunsthaus Zürich läuft 2034 aus

Der Stiftungsrat der Sammlung Emil G. Bührle hält in einer Stellungnahme fest, die Zweckänderung stelle keinen Entscheid über die weitere Zukunft der Sammlung dar. Sie kläre lediglich die Handlungsmöglichkeiten. Sie habe insbesondere keinen Einfluss auf den bestehenden Leihvertrag mit der Zürcher Kunstgesellschaft, gemäss welchem die Sammlung weiterhin im Kunsthaus Zürich bleiben und dort zu sehen sein werde.

Der Vertrag zwischen dem Kunsthaus und der Bührle-Stiftung läuft allerdings Ende 2034 aus. Ohne die Verpflichtung, die Werke in Zürich zu zeigen, könnte die Stiftung die Stadt theoretisch verlassen.

Die Stadt will einen allfälligen Wegzug der prominenten Sammlung nicht einfach hinnehmen. «Die Stadt prüft derzeit, in welcher Art die Stiftungszweckänderung ihre Interessen und die Interessen der Zürcher Bevölkerung berührt», sagt Lukas Wigger, Sprecher von Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP). Darauf aufbauend werde sie entscheiden, ob Schritte seitens der Stadt angezeigt seien. Geprüft werde auch eine Beschwerde ans Verwaltungsgericht.

Kontroverse um Bührle-Sammlung

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EinloggenMartin Huber ist Redaktor im Ressort Zürich Politik & Wirtschaft und berichtet schwerpunktmässig über die Stadt Zürich.

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