Das Amtsgericht München hat einen ehemaligen Priester vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen. Das Gericht habe sich „kein klares Bild“ machen können, da das vermeintliche Opfer, eine junge Frau, mehrere unterschiedliche Aussagen getätigt hatte. „Es gab Widersprüche, diese ließen sich auch nicht aufklären“, erklärte Richter Daniel Hinz bei der Urteilsverkündung am Mittwoch. Das Gericht erklärte, dass sich die junge Frau in ihren Schilderungen bei der Polizei und bei der ermittlungsrichterlichen Vernehmung widersprochen habe, was den Verlauf der mutmaßlichen Tat angehe. „Es bestehen begründete Zweifel, was sich an jenem Tag im Pfarrhaus zugetragen hat.“
Das Urteil markiert ein überraschendes Ende in einem emotionalen Fall. Staatsanwalt Tobias Fleißner hatte drei Jahre und neun Monate Haft für den heute 68-jährigen Priester gefordert. In seinem Plädoyer hatte er es als „besonders verwerflich“ angeprangert, dass sich der Geistliche „die hilflose Situation“ der jungen Frau zunutze gemacht habe. Denn zu der Zeit, im Jahr 2018, war die Oma der 18-Jährigen plötzlich verstorben, ihr Freund, „die erste große Liebe“, wie sie sagte, hatte sie mit der besten Freundin betrogen und der Vater sei todkrank gewesen. Was die junge Frau zu der Zeit nicht wusste: Ihre Mutter hatte „auf der Suche nach Nähe“ eine „Liaison“ mit dem Geistlichen angefangen.
Die Mutter war es auch, die auf die Idee kam, man könne gemeinsam den Priester besuchen, er könne ja helfen und der Tochter Beistand leisten. Bei dem Besuch im Pfarrhaus, wohl Ende des Jahres 2018, soll Martin N. zunächst seine Hand auf den Oberschenkel der jungen Frau gelegt haben. Später, als seine Schwester und die Mutter der 18-Jährigen den Raum verlassen hatten, soll er sie vergewaltigt haben. „Wenn Du schreist, mach ich Dir das Leben zur Hölle“, sagte er laut Aussage der Geschädigten zu ihr. „Dabei war ihr Leben zu dem Zeitpunkt ohnehin schon die Hölle“, so Fleißner in seinem Plädoyer.
„Die Kirche war mir immer wichtig“, so zitiert die Anwältin der Nebenklage ihre Mandantin. Der Geistliche habe „die Verletzlichkeit einer jungen trauernden Frau ausgenutzt und seine Macht demonstriert“, sagte sie in ihrem Schlussvortrag. Der Vater der Geschädigten habe auf einer Aussprache im Ordinariat bestanden. Dort habe die junge Frau „vor sechs alten Männern“ schildern müssen, was der Priester mit ihr gemacht hatte. „Eine weitere Erniedrigung durch die Kirche“, kommentiert die Anwältin dieses Verhalten. Die Kirche sei für ihre Mandantin nun „eine Last“.
Der Angeklagte schweigt den ganzen Prozess lang – und spricht am Ende doch
Die Verteidigung hatte Freispruch für den heute 68-Jährigen gefordert, zumal die Geschädigte zunächst nur von einer Hand auf dem Oberschenkel berichtet habe und erst später von einer Vergewaltigung. Ein Verteidiger beantragte, von der Geschädigten ein Glaubwürdigkeitsgutachten erstellen zu lassen, was den Staatsanwalt zu einem wutschnaubenden Gegenvortrag veranlasste.
Der Angeklagte selbst hatte während des ganzen Prozesses geschwiegen und wie versteinert gewirkt. Nur als der Vater der Geschädigten erzählte, der Priester habe seiner Frau und seiner Tochter „einen Dreier in der Sakristei vorgeschlagen“, lächelte er. In seinem letzten Wort vor dem Urteil war plötzlich überraschend seine Stimme zu vernehmen: Er sei „als Mensch sehr, sehr, sehr enttäuscht“, er lebe seit Jahrzehnten in Bayern. Nun müsse er „so viele Lügen“ hören, man wolle ihn vernichten. Er wisse eines: „Dass ich sexuell niemanden genötigt habe.“ Die Staatsanwaltschaft kann Berufung gegen das Urteil einlegen.