Bei den Stadtwerken München (SWM) ist der Fachkräftemangel längst mehr als bloß ein Schlagwort. Besonders im Busbetrieb fehlten lange Zeit Fahrerinnen und Fahrer, während gleichzeitig neue Linien und dichtere Takte geplant wurden. Für die SWM ein Grund, neue Wege in der Personalgewinnung zu gehen: „Wir haben gezielt im Ausland nach neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesucht“, sagt Jessica Kreuch. Sie leitet seit 2023 den Aufbau des internationalen Recruitings bei den SWM – ein Bereich, den es bis dahin nicht gab. Der Mangel an Personal und die anstehenden Renteneintritte hätten das Thema dringend gemacht, erzählt sie.
Den größten Bedarf hatten die Stadtwerke lange im Fahrdienst. Es gab nicht genügend Bewerbungen aus Deutschland, viele Interessenten schreckten vor der Verantwortung oder dem Schichtdienst zurück. Deshalb suchte das Unternehmen parallel in mehreren Ländern – in Spanien, Albanien, Marokko und für technische Fachkräfte auch in Bosnien. Was mit einem Pilotprojekt in Spanien begann, ist heute fester Bestandteil der Personalstrategie. Die Anwerbung im Ausland trug dazu bei, dass der Bedarf mittlerweile gedeckt ist.
Einer der 21 Busfahrer, die über dieses Programm nach München gekommen sind, ist Cristóbal Rodriguez. Der 52-Jährige stammt aus Almería im Süden Spaniens, einer Region, in der sich endlose Gewächshäuser über die Landschaft ziehen. Dort hat er sein Leben lang gearbeitet – zuerst in der Landwirtschaft, dann in der Logistik. Doch die vielen Chemikalien, die in den Gewächshäusern eingesetzt werden, machten ihn krank. Er versuchte es mit anderen Jobs, fuhr Gabelstapler, machte den Lkw-Führerschein, arbeitete für eine Spedition. „Aber dort arbeitest du 14 Stunden am Tag und verdienst kaum 1200 Euro, zu wenig für die hohen Mieten dort. Ich wollte etwas anderes – etwas Sicheres, von dem ich leben kann.“
Als die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), ein Tochterunternehmen der SWM, in Málaga Busfahrer suchte, sah Rodriguez seine Chance. Er machte den Busführerschein in Spanien, lernte Deutsch, so gut er konnte, und kam im Frühjahr 2024 nach München. Seit März sitzt er am Steuer eines der blauen Busse, die täglich Tausende Menschen durch die Stadt bringen. Oft fährt er die Linie 52, vom Tierpark zum Sendlinger Tor. „Ich mag den Spätdienst“, sagt er. „Da ist München ruhiger, und die Leute sind entspannter.“
Natürlich hat Rodriguez auch schon Bekanntschaft mit Münchner Grantlern, ungeduldigen Autofahrern und wütenden Fahrgästen gemacht. Er erzählt von einem Tag, an dem er an der Haltestelle stand, die Ampel auf Grün sprang und er losfahren musste, um den Fahrplan einzuhalten. „Ein Fahrgast hat geschimpft“, sagt er. „Ich fahre nie zu früh los. Aber wenn die Ampel grün ist, muss ich fahren. Viele verstehen das nicht.“ Dann lächelt er: „Die meisten sind nett. Manche helfen mir, wenn es Probleme gibt. Aber es gibt auch Leute, die keine Geduld haben.“
Der Start in München war nicht leicht. Rodriguez kannte niemanden in der Stadt. „Von meiner Frau habe ich mich vor vielen Jahren getrennt. Meine beiden Töchter sind erwachsen, sie haben ihr eigenes Leben in Spanien. Ich bin allein – das macht mich unabhängig und frei“, sagt er.
Momentan wohnt er noch in einem Boarding-Appartement der SWM, gemeinsam mit anderen Fahrern, einige davon ebenfalls Spanier. Eine eigene Wohnung sucht er noch – keine einfache Aufgabe ohne Schufa-Nachweis und mit holprigem Deutsch. Trotzdem fühlt er sich wohl: „München ist die schönste Stadt, die ich in Deutschland gesehen habe. Ich kenne Frankfurt, Düsseldorf, Mannheim – aber München ist etwas Besonderes.“
Am Betriebshof in Moosach herrscht Kommen und Gehen: Von hier starten viele Buslinien, hier werden die Fahrzeuge betankt, gereinigt und gewartet – hier sitzt auch die Verwaltung. (Foto: Robert Haas)
Manchmal fragen ihn Kollegen, ober mit ihnen ein Bier trinken geht. Doch er bleibt meist lieber daheim. An freien Tagen kocht er Spaghetti oder Pilzsuppe, schaut Serien auf Deutsch und übt die Sprache. „Ich versuche, nicht zu viel Spanisch zu sprechen. Wenn ich viel Spanisch rede, fällt es mir schwerer Deutsch zu lernen.“
Das Leben als Busfahrer ist klar strukturiert: 37 Stunden pro Woche, Schichtdienst, feste Abläufe, Sonn- und Feiertagszuschläge – und ein Tarifgehalt, das ihm rund 2400 Euro netto im Monat bringt. Rodriguez schätzt diese Verlässlichkeit. „In Spanien war es anders – du arbeitest, wann immer das Unternehmen dich braucht. Hier gibt es Regeln, alles ist organisiert, pünktlich, kontrolliert“, sagt er mit einem Lächeln. „Ich mag das.“
Damit Fahrer wie Rodriguez gut ankommen in ihrem neuen Leben, kümmern sich die Stadtwerke frühzeitig. Noch bevor die neuen Beschäftigten anreisen, werden Unterkünfte organisiert, Sprachkurse gebucht und Termine beim Kreisverwaltungsreferat vorbereitet. „Wir holen sie am Flughafen oder Bahnhof ab und bringen sie in möblierte Apartments, die sie bis zu zwölf Monate nutzen dürfen“, sagt Kreuch. Es gibt Unterstützung bei Behördengängen, bei der Wohnungssuche und bei Versicherungen.
Im Betrieb stehen den Neuankömmlingen sogenannte Buddys zur Seite – erfahrene Kolleginnen und Kollegen, die bei Alltagsfragen helfen, beim Einarbeiten mit Tipps und Tricks unterstützen oder einfach ein offenes Ohr haben. Seit Sommer 2025 gibt es sogar eine eigene Integrationsbeauftragte, die das Onboarding koordiniert. „Manche unserer Mitarbeiter engagieren sich privat, helfen beim Übersetzen oder begleiten zu Arztbesuchen“, erzählt Kreuch.
Personalmangel im Nahverkehr
:Aus Punjab hinters Lenkrad in Brunnthal
Mehr Linien für mehr Fahrgäste und diese möglichst elektrisch: Das Busunternehmen Ettenhuber aus dem Münchner Osten macht Tempo, damit die Menschen im Umland auch ohne Auto vorankommen. Personal holt man deshalb schon mal aus weiter Ferne.
Trotz dieser Unterstützung bleibt der Schritt groß. „Ein neues Land, eine neue Sprache, ein anspruchsvoller Job – das ist viel auf einmal“, sagt sie. Empathie und Geduld seien entscheidend: „Man kann nicht dieselben Standardprozesse anwenden wie bei Bewerbern aus München. Man muss individuelle Lösungen finden, damit es funktioniert.“
Das internationale Recruiting ist aufwendig. Während innerhalb der EU Busführerscheine und Fahrerqualifikationen anerkannt werden, gelten für Drittstaaten strenge Vorgaben. Albanische Lizenzen können umgeschrieben werden, marokkanische nicht. Wer aus Marokko kommt, muss sämtliche Führerscheine und Nachweise neu erwerben – geprüft wird teils auf Deutsch. Für viele ist das eine hohe Hürde, die erst nach einem Intensiv-Sprachkurs genommen werden kann. „Vom ersten Kontakt bis zur ersten Fahrt vergeht etwa ein Jahr“, sagt Kreuch. Der Visaprozess allein könne bis zu 25 Wochen dauern.
Trotzdem lohnt sich der Aufwand, davon ist sie überzeugt: Acht Fahrer aus Spanien und dreizehn aus Albanien sind bereits im Einsatz, weitere fünfzehn sollen im Herbst folgen. Natürlich gebe es auch Rückkehrer – „familiäre Gründe, Heimweh oder einfach der Schock über den ersten Münchner Winter“, sagt Kreuch. Doch die Bilanz sei positiv.
Als kommunaler Verkehrsanbieter müsse die MVG verlässlich fahren, auch wenn die Bewerbersuche in fremden Ländern viel Arbeit bedeute. Ihr Fazit nach zweieinhalb Jahren Pilotphase klingt pragmatisch: „Wir wissen jetzt, was funktioniert – und was nicht. Wichtig ist, dass wir die Themen Menschlichkeit und Integration genauso ernst nehmen wie die reinen Zahlen.“
Rodriguez nickt, als er davon hört. „Ja, sie kümmern sich gut“, sagt er. „Ich bekomme hier Respekt, das ist das Wichtigste.“ Wenn er von seiner Arbeit erzählt, klingt Stolz mit – und eine Ruhe, die nach Jahren der Unsicherheit neu ist. „Ich habe mein ganzes Leben gearbeitet“, sagt er. „Jetzt habe ich zum ersten Mal das Gefühl, dass es sich lohnt.“
