Debatte in Frankreich –
Bisher gab es das Gläschen Wein umsonst – nun droht in Frankreichs Parlament eine Revolution
Frankreich diskutiert über den unerhörten Vorschlag eines jungen Grünen, der La Buvette, die Bar im Palais Bourbon, kostenpflichtig machen – oder den Alkoholkonsum gleich abschaffen will.
Publiziert heute um 16:16 Uhr
Debattieren, bis der Likör ausgeht: Französische Abgeordnete können in der Bar des Parlaments auf Kosten der Steuerzahlenden trinken.
Foto: Getty Images
Im Pariser Palais Bourbon, dem hübschen Palast des französischen Parlaments an der Seine, gibt es einen Ort, der schon immer umschwirrt war von wilden Geschichten und Mutmassungen. Das mag auch daran liegen, dass die Parlamentsreporter da nicht rein dürfen. In aller Regel beflügelt das die Fantasie.
La Buvette, die Bar der Nationalversammlungen, 1904 eingerichtet, ist den Herrschaften Abgeordneten, den Ministern und Beratern vorenthalten, dem politischen Personal der Republik also. Wenn die Debatten in der Aula ausufern, auch mal ausfransen bis tief in die Nacht, soll es vorkommen, dass die Buvette ins beschwingte Genre kippt. «Aber das ist ein Tabu», schreibt «Le Monde». Während der bewegten, oftmals nächtlichen Diskussionen über die Rentenreform vor zwei Jahren soll die Bar zuweilen keinen Pfefferminzlikör mehr vorrätig gehabt haben, keinen «Get 27».
«Das wirft zumindest Fragen auf», sagt Emmanuel Duplessy
Nun, vielleicht sind diese Geschichten schon bald vorbei. Der grüne Abgeordnete Emmanuel Duplessy (35) aus dem Loiret hat eine quasirevolutionäre Idee zur Bar, die er in seinen umfassenden Bericht über alle Betriebskosten des Parlaments erläutert. Ziel ist es, die Ausgaben zu kürzen, möglichst in allen Bereichen, da Frankreich ja ein dramatisches Problem mit seinem Staatsdefizit hat. Die Staatsschulden sind so hoch wie noch nie in der Geschichte. Bei der laufenden Budgetdebatte wird deshalb alles gescannt.

Klingt vernünftig, aber hat sein Vorstoss auch Chancen? Der grüne Abgeordnete Emmanuel Duplessy, Autor des Rapports.
Foto: AFP
In seinem 49-seitigen Rapport voller Fussnoten und Zahlentabellen schreibt Duplessy also unter anderem, dass in Zeiten, da von allen Bürgern Opfer verlangt würden, es nicht sein könne, dass die Abgeordneten ihr Glas Wein in der Buvette dem Staat verrechneten – also dem Steuerzahler. Je nach Label und Jahrgang zwischen 5 und 8 Euro pro Glas. So ist das nämlich bisher: Der Konsum in der Bar steht auf der Liste jener Dinge, die die Parlamentarier abrechnen können als dienstdienliche Aktivitäten, Teil ihrer Mandatsausübung. Auch die alkoholischen Getränke.
Duplessy umschreibt es vornehm: «Das wirft zumindest Fragen auf.» Er findet, wer im Parlament Alkohol konsumiere, möge dafür gefälligst selbst bezahlen. Aber dann geht er gleich etwas weiter und fordert, dass der Ausschank von Alkohol in der Buvette ganz abgeschafft werden solle. Schliesslich sei das Parlament ein Arbeitsort, und an einem Ort der Arbeit werde nicht getrunken, schon gar nicht während der Arbeitszeit.

02/2009: La buvette des parlementaires
Fotografen und Journalisten müssen draussen bleiben, wenn hier die Abgeordneten miteinander etwas trinken: Buvette im französischen Parlament.
Das klingt alles sehr vernünftig. Bei den Milliardenlöchern im Staatshaushalt fiele die Massnahme finanziell nicht sehr stark ins Gewicht: Ein Sparpotenzial von etwa 100’000 Euro im Jahr, viel mehr wäre es nicht. Symbolisch aber wiegt der Vorschlag schwer. Er sticht heraus aus der eher drögen, vor allem fiskalischen Materie, die im Parlament verhandelt wird. Plötzlich spricht alles von der Buvette, sie wird persifliert von Satirikern und Kommentatoren.
Stirbt da eine Lebensart in Frankreich?
Aber wie gross ist wohl die Wahrscheinlichkeit, dass Duplessy damit durchkommt? Eher nicht so gross, auch das zeigt die Diskussion.
Vor allem rechte Abgeordnete in Frankreich finden, der grüne Kollege unterschätze, wie sehr ein bisschen Wein die Gespräche öle, wie sehr er manchmal sogar politische Deals über die Parteigrenzen hinweg befördere. Andere sagen, der Keller der Buvette sei ja auch ein Schaufenster für Weine aus allen Regionen des Landes, ein Grund zum Stolz. Wenn man den Alkoholausschank verböte, würde auch ein bisschen französische «Art de vivre», Lebensart, sterben. Oder nur ein Klischee davon? Santé!
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