Ende Oktober wurden in Paris die neuen Räume der Fondation Cartier pour l’art contemporain eröffnet. In allerbester Lage zwischen Louvre und Palais Royal realisierten Ateliers Jean Nouvel eine gigantische Ausstellungsmaschinerie mit beweglichen Plattformen. Und das alles in einem Haussmann’schen Palais, das einst für die Pariser Weltausstellung 1855 errichtet worden war.
Von Wojciech Czaja
Bereits 1994 arbeitete Jean Nouvel schon einmal für die Fondation Cartier. Damals entwarf er auf dem Boulevard Raspail im 14. Arrondissement einen gläsernen Neubau, der sich mit seinen transparenten Fassaden und Schallschutzwänden gegen die stark befahrene Straße stemmte und im Inneren eine grüne Oase für die Kunst bot. Doch die Stiftung für zeitgenössische Kunst – die mittlerweile über 4.500 Werke von rund 500 Künstler*innen aus aller Welt umfasst, darunter auch aus bislang weniger beachteten Kulturräumen wie Afrika oder Lateinamerika – wuchs zunehmend über sich hinaus. Ein Umzug an einen größeren Standort war längst überfällig.

2018 stieß die Fondation Cartier auf das ehemalige Hotel du Louvre, das für die Pariser Weltausstellung 1855 errichtet worden war. Schon kurz nach der Weltausstellung wurde der riesige, 150 Meter lange Hotelbau an der Rue de Rivoli – der neben 1.200 Zimmern und Suiten sogar über ein eigenes Telegrafenamt und einen der allerersten Aufzüge der Stadt verfügte – sukzessive in ein luxuriöses Kaufhaus umfunktioniert. 1977 ging das Haus an einen neuen Eigentümer, der das Palais radikal entkernen und die Innenhöfe bis zur Unkenntlichkeit mit hochspiegelnden Curtain-Wall-Fassaden umbauen ließ. 2018 schlossen die sogenannten Grands Magasins du Louvre für immer ihre Pforten. 

Maschineninszenierung in allerbester Nachbarschaft
„Es kommt nicht oft vor, dass man als Kulturinstitution so eine Chance bekommt“, sagt Béatrice Grenier, Projektdirektorin der Fondation Cartier, die das Umbau- und Umzugsprojekt jahrelang leitete. „Ein Hausmann’sches Palais im 1. Arrondissement, auf der einen Seite das Grand Palais, auf der anderen Seite der weltberühmte Louvre, damit können wir nun einen großen Schritt in Richtung Zukunft setzen.“ Mit ihrem Umzug auf 8.500 Quadratmeter Nutzfläche in Top-Lage will sich die Stiftung nicht nur auf mehr Fläche ausbreiten (erstmals auch mit Café, Restaurant und eigenem Kino- und Veranstaltungssaal), sondern auch ihre Besucherzahl vervielfachen. „Auf dem Boulevard Raspail hatten wir rund 200.000 Besucher*innen pro Jahr“, so Grenier. „Nun rechnen wir mindesten mit dem Drei- bis Vierfachen.“ 

Das dürfte mehr als realistisch sein, denn die neue Fondation Cartier ist – wie das einstige Hotel, das mit Zentralheizung, Gasbeleuchtung, Lüftungsanlage, elektrischen Klingeln und englischen Wasserklosetts Mitte des 19. Jahrhunderts ein technisches Exempel statuierte – ein gigantisches und spektakuläres Maschinenwerk, das sicherlich auch viele Menschen anzieht, die sich nicht primär für Kunst interessieren. Zwischen den historischen Säulen und Pfeilern hängen fünf mobile Stahlplattformen zwischen 190 und 320 Quadratmetern, die auf Knopfdruck auf und ab fahren. Ermöglicht wird dies durch Stahlseile und 40 waschtrommelgroße Seilspindeln. Wie die Bühnentechnik in einem Theater nehmen sich die mechanischen Einbauten in ihrem dunklen Ich-bin-gar-nicht-da-Anthrazit dezent zurück.

„Ich wollte keinen neuen Raum bauen, ich wollte innerhalb des schon bestehenden Hohlraums arbeiten und die leeren Volumina, die Lücken und Löcher nutzen und zum eigentlichen Ort des Ausdrucks machen“, sagt Jean Nouvel. „Dieses Projekt ist ein Versprechen endloser Möglichkeiten.“ Die insgesamt fünf Plattformen mit einem Gewicht von je 250 bis 350 Tonnen lassen sich zwischen Souterrain und Beletage in elf verschiedenen Höhenpositionen einrasten. Insgesamt 117.854 unterschiedliche Raumkonfigurationen sind möglich. Das Ziel ist, die Böden und Decken des Raumes aufzubrechen und eine flexible Bühne für Bilder, Skulpturen und raumgreifende Installationen zu schaffen.

Auf der Suche nach einer beweglichen Architektur

„Die Fondation Cartier ist nicht nur eine weitere Galerie für zeitgenössische Kunst, eine von vielen in Paris, sondern eine Oase der Entdeckung“, betont Nouvel. „Sie ist ein dynamischer Space, eine prachtvolle Werkstatt, die in der Lage ist, sich an die Kunst und an die Ideen und Konzepte der hier ausstellenden Künstler*innen anzupassen.“ Viele unterschiedliche Varianten, heißt es im Atelier Jean Nouvel, habe man während des Planungsprozesses ausprobiert – von Schienen über Zahnräder bis hin zu Kolben und hydraulischen Stempeln. Doch brachten die Toleranzen, die Erschütterungen, die bedenklich großen Mengen an brennbaren Schmierölen das Planungsteam schließlich zum Liftmechanismus. Ergänzt wird die Maschinerie der fünf Plattformen von einem wandelbaren Glasdach, das je nach Tageslichtbedarf mit Schiebeelementen geöffnet oder geschlossen werden kann. 

Schon jetzt, in der Eröffnungsausstellung – die in Anlehnung an die Weltausstellung 1855 einfach nur „Exposition Générale“ heißt – werden große, zum Teil mehrgeschossige Arbeiten von Freddy Mamani, Junya Ishigami, Alessandro Mendini, Richard Artschwager, Judith Bartolani, Juan Muñoz oder Absalon gezeigt. Immer wieder mit spannenden Durchblicken auf ein paar rohe Stein- und Ziegelwandfragmente, auf nackte Stahltraversen, die von unten das Trottoir stützen, aber auch mit raumhohen, fugenlos verglasten Ausblicken auf die flanierenden Menschen, die nicht ahnen, welch Maschinerie sich hinter den denkmalgeschützten Kalksteinfassaden verbirgt. 

Über den finanziellen Aufwand hüllt sich die Fondation Cartier in Schweigen. Auf Radio France Bleu ist jedenfalls von kolportierten 230 Millionen Euro Investitionsvolumen die Rede. 

Fotos: Martin Argyrogl, Cyril Marcilhacy

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