Regierungschefs von 19 europäischen Staaten erhöhen den Druck auf EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU). In einem Brief fordern sie, „überflüssige, übertriebene oder unausgewogene Regelungen“ abzuschaffen. 

BSZ: Herr Ferber, 19 Regierungschefs fordern die EU-Kommission in einem Brief auf, „überflüssige, übertriebene oder unausgewogene Regelungen“ abzuschaffen. Wird das ebenso verstanden wie die seit 2018 geplante Abschaffung der Zeitumstellung?

Markus Ferber: Ich halte es für ein positives Zeichen, dass sich 19 von 27 Regierungschefs hinter den von Bundeskanzler Merz initiierten Brief stellen. Das zeigt, wie stark der Handlungsdruck ist. Ich erwarte von den Regierungschefs, dass sie dann im Rat auch nach der gleichen Maxime handeln. Initiativen zur Stärkung des Binnenmarkts versanden häufig, weil sich die Mitgliedstaaten nicht einig werden können. Dies ist die Parallele zur Abschaffung der Zeitumstellung. Ich hoffe, dass die 19 Regierungschefs den Schwung aus dem Brief mitnehmen und im Rat nun auch entsprechend handeln, statt weiterhin auf nationalen Alleingängen zu bestehen. Das würde uns einen entscheidenden Schritt nach vorne bringen.

BSZ: Was halten Sie davon, dass die EU-Kommission schnell Initiativen vorlegen soll, um Genehmigungsverfahren für neue Fabriken, Energienetze und Produkte zu beschleunigen?
Ferber: Eine solche Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren wäre nur zu begrüßen. Es dauert in Europa insgesamt zu lange, um die notwendigen Genehmigungen für neue Infrastruktur oder Investitionen zu bekommen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Deutschland ist bei den Genehmigungsverfahren besonders träge. Es täte uns also gut, hier von Vorreiterländern auch innerhalb Europas zu lernen und bei den notwendigen Genehmigungsschritten ein wenig abzuschichten.

BSZ: Außerdem soll die Kommission Subventionen und Firmenfusionen erleichtern. Droht dann dem Mittelstand der Garaus, der laut dem Brief eigentlich von Berichtspflichten ausgenommen werden soll?
Ferber: Es geht nicht darum, alle wettbewerbsrechtlichen Vorgaben abzuschaffen. Eine effektive Beihilfekontrolle und die Ahndung von wettbewerbswidrigem Verhalten sind für einen funktionierenden Binnenmarkt essenziell. Wir haben aber in der Vergangenheit manchmal gesehen, dass die Europäische Kommission beispielsweise die Fusionskontrollvorschriften so eng ausgelegt hat, dass wir uns als Europäer damit selbst im Wege stehen.

BSZ: Zum Beispiel?
Ferber: Nehmen Sie den Markt für Hochgeschwindigkeitszüge und die gescheiterte Fusion von Siemens und Alstom. Hier ist der relevante Markt der Weltmarkt und europäische Unternehmen müssen in der Lage sein, mit der Konkurrenz aus China mitzuhalten – das geht nicht ohne eine kritische Größe. Auch im Bereich Telekommunikation muss die Frage erlaubt sein, ob wirklich auf jeder der griechischen Inseln vier Telekommunikationsanbieter im Wettbewerb zueinander stehen müssen oder ob in einem integrierten europäischen Binnenmarkt nicht auch eine gewisse Marktkonsolidierung sinnvoll sein kann.

BSZ: Es wird eine Vertiefung des Binnenmarkts gefordert. Kommen dann endlich die teils protektionistischen, nationalen Produktvorschriften unter die Räder, die bisher einen echten Binnenmarkt verhindern?
Ferber: Dies wäre zu hoffen. Der Internationale Währungsfonds hat zuletzt in einer Studie festgestellt, dass die Hemmnisse im Binnenmarkt einem Zollsatz von 45 Prozent auf Waren und sogar 110 Prozent auf Dienstleistungen entsprechen. Hier wird klar, wo der Wachstumshebel für die europäische Wirtschaft liegt. Wenn wir unsere Hausaufgaben zu Hause nicht machen, dürfen wir uns nicht über unsere globale Wettbewerbsschwäche beschweren.

BSZ: Können Sie ein paar dieser nationalen Vorschriften nennen, um zu illustrieren, wie manche EU-Mitgliedstaaten ihre Wirtschaft schützen?
Ferber: Da gibt es unzählige Beispiele. Häufig bestehen unterschiedliche Regelwerke aus gewachsener Tradition, in anderen Fällen auch durch gut gemeinte nationale Sonderregelungen. In beiden Fällen behindern nationale Alleingänge den grenzüberschreitenden Warenaustausch. Um es ganz konkret zu machen: Ein langwieriges Thema sind beispielsweise die Verpackungskennzeichnungen. Frankreich schreibt hier ein anderes Recyclinglogo fest als Spanien. Dieser Regelwust ist nicht nur unnötig, sondern für kleine und mittlere Unternehmen kaum mehr zu überblicken.

BSZ: Was müsste Ihrer Ansicht nach noch getan werden, um Europa global wieder wettbewerbsfähig zu machen?
Ferber: Wenn wir bei der Vertiefung des Binnenmarkts ein Stück vorankommen, wäre schon viel erreicht. Darüber hinaus plagen die Unternehmen in Europa ganz akut hohe Energiekosten. Auch hier muss die Europäische Union gemeinsam liefern. Wir brauchen für die großflächige Elektrifizierung mehr kostengünstige Energie.

BSZ: Wie stellen Sie sich das vor?
Ferber: Das geht nur über die Ausweitung des Angebots und mit einer technologieoffenen Herangehensweise. Außerdem müssen wir anerkennen, dass wir bei vielen Zukunftstechnologien, wie künstlicher Intelligenz, den Anschluss verpasst haben. Die großen Innovationen kommen vor allem aus dem Silicon Valley und aus China.

BSZ: Was muss passieren?
Ferber: Hier muss Europa endlich risikobereiter werden und sich wieder mehr zutrauen. Gerade Deutschland hat mit seiner mittelständischen Industrielandschaft beste Voraussetzungen, um innovative Technologien auf breiter Front einzusetzen. Es hindern dabei aber bisher zu strenge politische Regelwerke wie zum Beispiel den AI-Act (EU-Gesetz zur künstlichen Intelligenz, Anmerk. d. Red.) und eine fehlende Bereitschaft, Neues zu wagen. Für beides wünsche ich mir schnelle Abhilfe, damit Europa wieder zu wirtschaftlicher Stärke zurückfindet.
(Interview: Ralph Schweinfurth)