
Nachdem zuletzt auf der Westtribüne bei Rot-Weiss Essen ein Flyer aufgetaucht war, der Frauen den Zugang zu den ersten Reihen verweigern will, regt sich Widerstand.
„19:07 Minuten Frauenpower auf der West!“, so lautet die Überschrift eines Aufrufs an alle RWE-Fans des Bündnisses „RWE für Toleranz“. Das Bündnis hat sich gerade erst zusammengefunden – als Reaktion auf die Flyeraktion beim Heimspiel gegen Schweinfurt am 2.11.2025.
Die Initiatorinnen und Initiatoren wollen anonym bleiben: „Wir sind ein loser Zusammenschluss, der anfangs aus weiblichen RWE-Fans bestand“, schreiben die Beteiligten auf eine schriftliche Anfrage der Sportschau. Doch bereits innerhalb kurzer Zeit habe man viel Zuspruch erfahren: „Inzwischen schließen sich uns immer mehr Fans an – unabhängig von Geschlecht oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe.“
Die Initiative zählt sich bislang nicht zur aktiven Fanszene, besteht aber laut eigenen Angaben aus Personen, die alle gerne ins Stadion gehen, zum Teil Dauerkarten besitzen und ihren Verein mit voller Leidenschaft unterstützen: „Wir möchten betonen, dass wir uns im Stadion grundsätzlich wohlfühlen, aber es in der Vergangenheit immer wieder sexistische Situationen und Aussagen gab.“ Dagegen soll ein Zeichen gesetzt werden.
Intensive Diskussionen bei Club-Fan-Dialog
Dass sich jetzt neben „Rot-Weisse Solidarität“ ein zweites Fanbündnis gegen Sexismus im Stadion engagiert, zeigt, dass sich einige in der Fanszene mit dem aktuellen Bild der Essener Fans in der Öffentlichkeit nicht abfinden möchten. Auf dem ohnehin terminierten Club-Fan-Dialog am Dienstag (04.11.2025) wurde die Flyer-Aktion intensiv diskutiert. Auch Alexander Rang, RWE-Vorstandsmitglied, nahm an dem Termin teil.
Bereits am Tag nach den Vorfällen am vergangenen Wochenende hatte sich Rot-Weiss Essen von der Aktion distanziert, mit einem Verweis auf die Satzung des Vereins und die Stadionordnung: „Die Regeln für den Stadionbesuch sind in der Stadionordnung klar geregelt. Darüber hinaus besitzt niemand die Befugnis, eigene Weisungen oder Zugangsregeln aufzustellen.“
Außerdem stellte Alexander Rang beim Club-Fan-Dialog nochmal klar, dass sich im Nachgang der Aktion viele empörte Fans gemeldet hätten und zudem dem „Marketingwert des Vereins Schaden zugefügt“ worden sei. Abseits der schlechten Öffentlichkeitswirkung, die RWE ausgemacht hat, schadet Sexismus vor allem denjenigen, die Opfer dieser Form der Diskriminierung sind.
Sexismus meist gemeldete Diskriminierungsform
Doch Sexismus in der Kurve ist nicht nur bei RWE ein Problem. Die Regel „Keine Frauen in den ersten Reihen“ gibt es in diversen Fanszenen in ganz Deutschland. Sexismus bleibt „die mit Abstand am meisten gemeldete Diskriminierungsform“, sagt Elena Müller, die Teil der Projektleitung der Meldestelle Diskriminierung im Fußball NRW ist.
Im Vergleich zu 2023 ist die Zahl der Meldungen laut MeDiF-Jahresbericht 2023/24 noch einmal gestiegen. „Das zieht sich durch alle Strukturen, durch alle Ligen, durch den gesamten Raum Spieltag. Also das heißt von der An- und Abreise im ÖPNV über den Stadionbesuch an sich, Warteschlangen an den Getränkeständen, an den Cateringständen, am Einlass bis hin zu sexistischen Vorfällen auf und neben den Tribünen“, so Müller
Um diesem Problem aktiv zu begegnen, braucht es entsprechende Aufklärungsarbeit. In den Vereinen selbst, aber auch bei den Fans. Arbeit, die zum Beispiel durch ein Awareness-Konzept gestützt werden kann. Auch bei Rot-Weiss Essen gibt es Bemühungen, so ein Konzept umzusetzen. Auf Sportschau-Anfrage im Mai hieß es dazu, das Projekt sei aufgrund seiner hohen Bedeutung auf Vorstandsebene angesiedelt.
Erste Fortschritte bei Awareness-Konzept
Auf die aktuelle Nachfrage, wie weit das Projekt inzwischen fortgeschritten sei, hält sich der Verein zu konkreten Schritten noch bedeckt: „Wir haben im Rahmen des Awareness-Konzepts mit allen relevanten Partnern – der Stadt Essen, dem Stadionbetreiber, dem AWO-Fanprojekt, der FFA und natürlich dem Verein -bereits große Fortschritte erzielt“, heißt es. „Zum jetzigen Zeitpunkt möchten wir jedoch noch keine weiteren Details öffentlich machen.“
Dass Handlungsbedarf besteht, sehen auch die Verantwortlichen von Rot-Weiss Essen. Im Mai verhängte das DFB-Sportgericht nach den sexistischen Vorfällen gegen Schiedsrichterin Fabienne Michel eine Geldstrafe gegen RWE: 20.000 Euro, von denen 6.500 Euro bis Ende des Jahres für eine präventive Maßnahme gegen Diskriminierung verwendet werden kann.
„Diskriminierungsspieltag“ im Gespräch
„Wir planen, einen Diskriminierungsspieltag zu realisieren, der aus diesen Mitteln finanziert wird“, antwortet der Pressesprecher von RWE auf Nachfrage. „Ziel ist es, das Thema Diskriminierung bei einem Heimspiel im Stadion an der Hafenstraße sichtbar zu machen und das Bewusstsein innerhalb unserer Fanszene und im gesamten Vereinsumfeld weiter zu stärken.“ Ob es sich hier speziell um eine Maßnahme gegen Diskriminierung von Frauen handelt, lässt der Verein offen.
Auch die Fanarbeit soll intensiviert werden. Ein regelmäßig tagender Arbeitskreis, der aktuell „Arbeitskreis Fans“ genannt wird, soll demnächst alle aktiven Institutionen und Vereinsvertreter zusammenbringen. Die konstituierende Sitzung sei kurzfristig geplant, heißt es. Auch eine groß angelegte Online-Fan-Umfrage sei in Planung.
Faninitiativen „eine großartige Chance für den Verein“
Das Bündnis „RWE für Toleranz“ möchte unabhängig von den Bemühungen des Vereins aktiv werden und ein Zeichen setzen: „Unser Fokus liegt bewusst auf der Fanszene selbst, weil die Stimmung und das Bild nach außen vor allem von den Fans geprägt werden.“ Ob es wirklich gelingt, beim Heimspiel gegen Cottbus am 23. November 2025 die ersten Reihen der Westtribüne mit weiblichen Fans zu besetzen, bleibt abzuwarten. Denn so leicht lassen sich die etablierten Fanszenen ihren Platz in der Regel nicht streitig machen.
Das musste auch „RWE für Toleranz“ erfahren. Denn neben Zuspruch und Unterstützung gab es auch „Ironie, Ablehnung und Warnungen davor, was passieren könnte“, schreibt die Initiative. Ihnen sei deshalb wichtig zu betonen, dass sich die Aktion gegen niemanden persönlich richte: „Wir wollen keinen Streit, niemandem etwas wegnehmen und keine Provokation auslösen – sondern gemeinsam als RWE-Familie ein Zeichen für Zusammenhalt und Respekt setzen.“
Helfen könnte hier die Unterstützung von Seiten des Vereins, sagt Elena Müller von der MeDiF: „Ich glaube, dass das eine ganz, ganz großartige Chance für den Verein wäre, sich da auf der Ebene zu positionieren, den Initiativen Gehör zu schenken und diese Initiativen eben zu unterstützen.“ Für nachhaltige Veränderungen wird es mehr brauchen, als einzelne Aktionen. Aber nach den Diskussionen der letzten Monate scheint sich etwas zu bewegen – sowohl in der Fanszene, als auch beim Verein selbst.