RWTH-Professor Heiner Heimes über den Forschungsstandort NRW und wie in Deutschland vielleicht doch noch eine wettbewerbsfähige Batterieproduktion für die Elektromobilität aufgebaut werden könnte.
Ein paar Windräder, einige schmucklose Gebäude und viel grüne Wiese: Auf dem Areal „Avantis“, zwischen Aachen und Heerlen, direkt auf deutsch-niederländischem Grenzgebiet gelegen, forscht Professor Heiner Heimes mit Kollegen und Mitarbeitern am Lehrstuhl „Production Engineering of E-Mobility Components“ (PEM) der RWTH Aachen daran, wie sich Batterien, Wasserstofftechnologien, Elektromotoren und ganze Fahrzeugkonzepte künftig deutlich effizienter produzieren lassen. Es ist ein Bereich, der für Deutschlands wirtschaftliche Zukunft von großer Bedeutung sein dürfte.
Welt am Sonntag: Herr Professor Heimes, für die Hersteller von Batteriezellen für Elektrofahrzeuge läuft es derzeit schlecht in Deutschland. Von der Northvolt-Pleite ist eine Fabrikbaustelle in Heide in Schleswig-Holstein betroffen, Porsche will seine Tochter Cellforce bei Tübingen möglicherweise schließen. Haben Batteriezellen „Made in Germany“ noch eine Zukunft?
Heiner Heimes: Doch, das haben sie. Die vergangenen Jahre waren von einer unglaublichen Aufbruchsstimmung geprägt. Von Porsche über Mercedes bis hin zu Daimler Truck haben viele Hersteller in die Batteriezellen-Produktion investiert, und es gab viele rote Bänder, die zerschnitten wurden. Leider hat sich diese Entwicklung in den vergangenen zwölf Monaten dramatisch umgekehrt.
WamS: Was sind die Gründe dafür?
Heimes: Vielerorts wurde die ganz normale Lernkurve nicht genügend einkalkuliert. Man hat für das „Tal der Tränen“, durch das man zwangsläufig erst mal gehen muss, nicht gut genug geplant. Einige Akteure hatten nicht auf dem Schirm, dass die Massenproduktion viel komplexer ist als die Herstellung von Prototypen.
WamS: Wie kam es denn dazu?
Heimes: Als die bestellten Fertigungsanlagen endlich den Betrieb aufgenommen haben, gab es Probleme, vor allem in Form von sehr viel Produktionsausschuss. Dann liefen plötzlich die Kosten weg – für die einzelnen Komponenten bis hin zu den Löhnen für die Belegschaft –, bevor es überhaupt richtig losgehen konnte. Einigen Herstellern ist also schlichtweg das Geld ausgegangen.
WamS: Weshalb sind denn die Asiaten so viel besser?
Heimes: Weil sie uns in Sachen Erfahrung gut 20 Jahre voraus sind, und in ihren Werken arbeiten viele qualifizierte Menschen. Es ist nicht schwierig, eine Batteriezelle zu bauen – sehr wohl aber, eine hochwertige Zelle zu produzieren. Es gibt viele Rädchen, an denen man drehen muss, um so etwas in den Griff zu bekommen. Dieses Wissen kann man nirgendwo nachlesen – da geht es einfach um eigene Erfahrung.
WamS: Könnte man nicht versuchen, Fachleute aus Asien abzuwerben?
Heimes: Sicherlich wäre es eine Möglichkeit, Kompetenzträger abzuwerben. Aber weshalb sollten wir auf den Aufbau eigener Expertise verzichten und uns stattdessen alles „von extern“ einkaufen? Zum einen würden wir uns auch dadurch erneut in eine prekäre Abhängigkeit begeben, und zum anderen sind derartige Abwerbungsprozesse mit einem ziemlich hohen Aufwand verbunden – noch dazu mit ungewissem Ausgang.
WamS: Wo genau sitzt denn in Asien die große Kompetenz?
Heimes: Die sitzt zwar auch in Südkorea und Japan, wo etwa Sony eine eigene Batterieproduktion aufgebaut hat, aber die Musik spielt in China: CATL und BYD sind die mit Abstand weltweit größten Produzenten.
WamS: Warum kaufen deutsche Hersteller Batterien nicht einfach aus Asien zu?
Heimes: Das ist möglich, aber da greift das gleiche Argument wie bei den Fachkräften: Wir machen uns extrem abhängig. Derzeit bieten die Asiaten ihre Batteriezellen in Europa sehr günstig an. Das erzeugt bei den hiesigen Automobilherstellern leider wenig Anreize, eine eigene Produktion aufzubauen. Ob dahinter nun Kalkül steckt oder nicht: Wenn wir diesen Industriezweig bei uns vernachlässigen, dann können wir hier dichtmachen. Und wir würden damit ein fatales Signal nach Asien senden – nach dem Motto „Hebt die Preise demnächst nach Belieben an – wir müssen uns ohnehin von euch beliefern lassen.“
WamS: Die Industrie in Europa hängt also sozusagen am „Fliegenfänger“ der asiatischen Hersteller?
Heimes: So kann man es ausdrücken. Wir dürfen nicht vergessen, dass Batterien auch in anderen Bereichen außerhalb der Automobilindustrie zum Einsatz kommen: vom Gartengerät bis hin zum Rasierer, vom Smartphone und Laptop bis hin zum Staubsauger-Roboter, vom Funkgerät bis hin zur Drohne. In allen diesen Bereichen wären wir dann auch nicht autark. Wenn wir es in diesem Jahrzehnt nicht schaffen, werden wir von China komplett abgehängt.
WamS: Noch gibt es ja ein paar Hersteller in Deutschland.
Heimes: Ja, zum Beispiel die Volkswagen-Tochter PowerCo in Salzgitter – ein echter Leuchtturm. Ich sehe in Deutschland derzeit keine zweite Produktion mit ähnlicher Strahlkraft. Porsche hatte mit Cellforce ja auch eine Fertigung aufgebaut, die jetzt aber offensichtlich auf der Kippe steht.
WamS: Was müsste aus Ihrer Sicht passieren?
Heimes: Wir müssen mehr in die Erforschung, Entwicklung und Produktion der Batteriezellen-Technologie investieren. Das Geld ist in Deutschland und Europa durchaus vorhanden, aber den jüngsten Entwicklungen zufolge wird es schwierig, privates Kapital in ausreichender Höhe zu mobilisieren.
WamS: Welche Lösungen sehen Sie konkret?
Heimes: Ich sehe zwei Ansätze. Der Erste ist, dass der Staat die Preisdifferenz, die es zwischen heimischen und den günstigeren Batterien aus Asien gibt, für einen gewissen Zeitraum finanziell überbrückt. Kostet ein Batteriemodul hierzulande noch 100 Euro und das aus Asien 70 Euro, sollte der Staat das eine Zeit lang ausgleichen.
WamS: Über welchen Zeitraum sollte das denn so laufen?
Heimes: Das deutsche Modul wird auf 90, auf 80 und dann ebenfalls auf 70 Euro sinken – idealerweise also, bis wir auf Augenhöhe sind. Die Mehrkosten heimischer Batteriezellen sind der Gegenwert unserer Unabhängigkeit.
WamS: Ist es denn überhaupt noch möglich, in Deutschland und Europa auf Augenhöhe mit Asien zu gelangen?
Heimes: Ja, das ist machbar – und hier komme ich zu meinem zweiten Vorschlag: Wir müssen bei der Batterie europäisch denken, so wie beim Flugzeug Airbus, das ja ein europäisches Erfolgsmodell ist. Vergleichbar mit der multinationalen Airbus-Produktion könnten Teile der Zellen in Deutschland, Frankreich oder Spanien und die fertigen Zellen auch dort oder in einem weiteren Land produziert werden. Wenn uns ein rundum europäisches Produkt gelingt, dürfte ein Ausrollen der Produktion in industrielle Größenordnungen kein existenzielles Problem mehr sein.
WamS: Inwiefern könnte NRW zu einem Zentrum der Batteriezellenfertigung werden?
Heimes: In Forschung und Entwicklung sind wir das schon. Während mein Kollege Achim Kampker und ich mit dem Team des Lehrstuhls PEM in Aachen forschen, wächst in Münster die Fraunhofer-Einrichtung Forschungsfertigung Batteriezelle FFB zu einem zukunftsträchtigen Zentrum heran. Deshalb betreiben wir dort auch ein eigenes Innovationslabor.
WamS: Was kann diese Fabrik in Münster für die Praxis leisten?
Heimes: Batteriezellenhersteller können dort simulieren und üben, wie eine Massenproduktion ihrer Technologien funktionieren kann. Die FFB ist eine offene Forschungsfabrik, die eine vollständig digitalisierte Herstellung von Pouch-Zellen und demnächst auch von prismatischen Zellen ermöglicht – vom Ausgangsmaterial bis hin zum fertigen Produkt. Wir können dort unter einem Dach die Technologie aus dem Labor vom Prototypenstadium bis hin zur Produktionslinie skalieren. Die Bundesregierung fördert die FFB mit bis zu 500 Millionen Euro für Forschungsanlagen und -projekte, während das Land NRW bis zu 320 Millionen Euro für Grundstücke und Neubauten zur Verfügung stellt. Das ist gut angelegtes Geld. Wenn es darüber hinaus eine erkennbare langfristige Rückendeckung von der Politik gibt, wird auch die Industrie durchstarten, sodass privates Kapital wieder in den Batteriebereich fließt.
WamS: Sie gehen also weiter vom Durchbruch der E-Mobilität aus. Was ist mit Wasserstoff als Brennstoff, etwa bei Lkw und Bussen?
Heimes: Dem Elektro-Auto gehört ganz klar die Zukunft, auch der Gebrauchtwagen-Markt zieht hier mittlerweile an. Ich selbst hätte kein Problem damit, ein gebrauchtes Elektrofahrzeug zu kaufen. Die Batterien halten viel länger, als man vor ein paar Jahren noch prognostiziert hat. Im Bereich von Lkw und Bussen setzt beispielsweise „Daimler Truck“ auch auf Batterien. Allerdings gibt es bei schweren Fahrzeugen tatsächlich noch eine Konkurrenz mit dem brennstoffzellenbasierten Wasserstoffantrieb. Das Daimler-Modell „E-Actros“ ist ein Beispiel dafür. In unserem Forschungsprojekt „SeLv“ haben wir mit einem eigenen Lkw-Prototypen übrigens gezeigt, dass es im Schwerlastbereich ein gutes Zusammenspiel von Batterie und Brennstoffzelle geben kann – ein „Best of“ beider Technologien, sozusagen. Wir sollten nicht ständig von einem Wettbewerb der Technologien sprechen, denn jede hat ihre Stärken und Schwächen.
WamS: Für die deutschen Zulieferer – viele haben ihren Sitz ja in NRW – ist es allerdings ein Problem, dass im Elektrofahrzeug wesentlich weniger Teile verbaut werden als im Auto mit Verbrennungsmotor.
Heimes: Das stimmt. Der deutsche Maschinenbau, der weltweit nach wie vor einen exzellenten Ruf genießt, kann im Bereich der E-Mobilität nicht alles kompensieren, was er für den „Verbrenner“ derzeit noch zuliefert. Unsere Maschinen- und Anlagenbauer sollten in der E-Mobilität aber involviert bleiben. Hier sind Milliarden-Umsätze im Spiel, die nicht nach Asien abwandern sollten.
WamS: In vielen Bereichen wird Künstliche Intelligenz immer bedeutsamer. Welche Rolle kann die Digitalisierung in der Planung von Batteriefabriken spielen?
Heimes: Digitale Werkzeuge werden in der Batterieproduktion entscheidend sein. Das fängt schon bei der Planung der Fabriken an, wo sogenannte digitale Zwillinge von vornherein das Produktions-Layout so effizient und kostengünstig wie möglich gestalten können. Wir wissen inzwischen, dass man bislang eine Gesamtplanungszeit von drei Jahren einkalkulieren muss, bevor man mit einer Batteriefabrik weltweit wettbewerbsfähig sein kann. Werden künftig digitale Hilfsmittel bestmöglich berücksichtigt, lassen sich bis zum Produktionshochlauf einer Fabrik zwischen 20 und 30 Prozent Zeit einsparen. Auch in nachgelagerten Bereichen können uns digitale Werkzeuge das Leben sehr viel leichter machen: zum Beispiel bei der Rückverfolgbarkeit entscheidender Batterie- und Produktionsdaten. Mithilfe künstlicher Intelligenz können wir praktisch alle Bereiche der Batteriezellenproduktion spürbar optimieren.
WamS: Bei den von Ihrem Lehrstuhl mitorganisierten „Battery Production Days“ in Münster hat Ihr Kollege Professor Achim Kampker vor kurzem ebenfalls betont, dass europäische Hersteller immer noch gute Chancen hätten, wenn sie sich auf Innovationen, hochwertige Prozesstechnologien und die Ökobilanz von Batterien fokussieren würden.
Heimes: Das ist unsere feste Überzeugung! Ja: Die Asiaten haben einen enormen Erfahrungsvorsprung. Den in naher Zukunft komplett aufholen zu wollen, wäre vermessen. Aber es gibt andere, essenzielle Bereiche in der Batterieproduktion, in denen unsere Hersteller sich vom Wettbewerb aus Asien abgrenzen und sich Vorteile auf dem Weltmarkt verschaffen können. Klimafreundliches Recycling ist so ein Thema. Wir untersuchen im Projekt „Kreislauf.IN.NRW“ mit industriellen Partnern gerade die Produktion und die Funktionsweise von Batteriezellen mit einem bisher noch nicht realisierten Anteil von mindestens 80 Prozent Recycling-Materials. Aber auch mit hochgradig kosten- und energiesparenden Produktionsprozessen können wir uns vom Wettbewerb aus Asien abgrenzen – zum Beispiel mit einem neuen Verfahren zur Elektrodentrocknung, dessen Potenzial zur Senkung der operativen Kosten um bis zu 30 Prozent und dessen Industrietauglichkeit wir vor Kurzem nachgewiesen haben.
Vita: Professor Heiner Heimes, 42, ist Leitungsmitglied des von Professor Achim Kampker gegründeten Lehrstuhls „Production Engineering of E-Mobility Components“ (PEM) der RWTH Aachen. Von 2004 bis 2009 studierte Heimes Maschinenbau mit dem Schwerpunkt Fertigungstechnik an der RWTH, wo er von 2007 bis 2010 auch ein Studium der Wirtschaftswissenschaften absolvierte. Auf seine Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Werkzeugmaschinenlabor (WZL der RWTH folgte 2014 die Promotion. Von 2015 bis 2019 war Heimes Oberingenieur am neu gegründeten Lehrstuhl PEM sowie Leiter des Elektromobilitätslabors (eLab) der RWTH Aachen. Nach seiner anschließenden Zeit als Geschäftsführender Oberingenieur wurde Heimes im März 2023 zum außerplanmäßigen Professor mit dem Schwerpunkt „Produktionstechnik für Lithium-Ionen-Batterien“ des Lehrstuhls PEM ernannt. Der aus Attendorn in Westfalen stammende Wissenschaftler ist verheiratet und Vater von drei Kindern.
Der Lehrstuhl PEM der RWTH Aachen
Der Lehrstuhl „Production Engineering of E-Mobility Components“ (PEM) der RWTH Aachen wurde 2014 von „StreetScooter“-Miterfinder Professor Achim Kampker gegründet. In zahlreichen Forschungsgruppen widmet sich das PEM-Team sämtlichen Aspekten der Entwicklung und Herstellung sowie des Testings und Recyclings von Batteriesystemen, Elektromotoren, Wasserstofftechnologien und ihrer jeweiligen Komponenten sowie deren Integration vor allem in schwere Nutzfahrzeuge. Im deutsch-niederländischen Gewerbepark Avantis sowie auf dem RWTH Aachen Campus sind mehr als 70 Forschende, rund 30 nichtwissenschaftliche Mitarbeitende und etwa 90 studentische Hilfskräfte beschäftigt. Das PEM-Team ist in der Lehre sowie in national und international geförderten Forschungsprojekten und in der Zusammenarbeit mit renommierten Industriepartnern aktiv. Der Lehrstuhl betreut jährlich rund 100 Bachelor- und Masterarbeiten sowie etwa zehn Dissertationen.