Zum ersten Mal ist da der Gedanke im Kopf, New York zu verlassen. Nein, nicht überstürzt die Koffer zu packen. Aber ihre Zukunft, vielleicht auch die ihrer Tochter, die nächstes Jahr zur Uni geht – die könnte nach Dienstag in Israel liegen, sagt Maya Segev, Jüdin aus New York. 

Seit der linke, demokratische Kandidat Zohran Mamdani zum Bürgermeister von New York gewählt wurde, wächst in der jüdischen Gemeinschaft die Angst. Ausgerechnet in New York, der Stadt mit der weltweit größten jüdischen Bevölkerung außerhalb Israels. Der für Diaspora-Fragen und den Kampf gegen Antisemitismus zuständige israelische Minister Amichai Chikli rief die mehr als eine Million Jüdinnen und Juden dort zur Auswanderung nach Israel auf.

Chikli, Mitglied in Ministerpräsident Benjamin Netanjahus rechts stehender Likud-Partei, ist bekannt für seine extremen Positionen. Und dennoch traf er mit seiner Aufforderung einen Nerv.

„Die Stadt, die einst als Symbol für globale Freiheit stand, hat ihre Schlüssel einem Hamas-Anhänger übergeben“, schrieb der Politiker am Mittwoch im Onlinedienst X. „Ich lade die Juden von New York ein, ernsthaft darüber nachzudenken, sich in Israel eine neue Heimat aufzubauen.“

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Mamdani, der Israel-Kritiker

Mamdani, gläubiger Moslem, hat keine nachgewiesenen Verbindungen zur Hamas, doch seine israelkritische und pro-palästinensische Haltung hat die Grenzen lokaler Politik gesprengt – und New York in den Mittelpunkt einer internationalen Debatte über Antisemitismus und jüdische Sicherheit gerückt. Viele werfen Mamdani Antisemitismus vor.

Im Wahlkampf hielt er an einer klar pro-palästinensischen, stark Israel-kritischen Linie fest, die er selbst einmal als Kern seiner politischen Überzeugung bezeichnet hatte. Seit seiner Zeit als Collegestudent unterstützt er die pro-palästinensische Kampagne BDS, die unter anderem den Boykott Israels und Sanktionen gegen den jüdischen Staat fordert.

Mamdani setzt sich ein für den Ausschluss israelischer Universitäten auf akademischer Ebene. Als Bürgermeister will er unter anderem die Fördergelder für die Forschungspartnerschaft zwischen der New Yorker Cornell University und dem israelischen Institut für Technologie „Technion“ als Bürgermeister neu bewerten – und vermutlich streichen.

Früh hatte er Israels Vorgehen in Gaza als „Genozid“ bezeichnet und angekündigt, sich an Haftbefehlen des Internationalen Strafgerichtshofs zu orientieren – bis hin zur Aussage, New York solle Benjamin Netanyahu festnehmen, auch wenn das rechtlich kaum umsetzbar sein dürfte.

Kritiker sehen darin ein geschlossenes anti-israelisches Muster, das 2023 besonders deutlich wurde. Nach dem Terroranschlag vom 7. Oktober gedachte er zuerst allgemein der Toten „in Israel und Palästina“ und verurteilte Israels Reaktion – statt das Massaker, das Hamas-Terroristen an jenem Tag mit fast 1.2000 Toten und Tausenden Verletzten angerichtet hatten. Zum zweiten Jahrestag des 7. Oktober nannte er schließlich auch den Hamas-Angriff ein „grauenvolles Kriegsverbrechen“.

Zwei Tage nach der Wahl reist Mamdani nach Puerto Rico für eine demokratische Konferenz.

© REUTERS/RICARDO ARDUENGO

Vor einer Woche verbreitete sich ein altes Video aus 2023, in dem Mamdani die New Yorker Polizei (NYPD) mit den israelischen Streitkräften (IDF) in Verbindung brachte. „Wir müssen klarstellen, dass, wenn dir der Stiefel des NYPD im Nacken sitzt, er von der IDF geschnürt wurde“, sagte er damals auf einem Kongress der Democratic Socialists of America. Bei CNN erklärte er jüngst, seine frühere Aussage habe sich auf gemeinsame Trainingsübungen von NYPD und IDF bezogen.

Die Intifada waren zwei Jahre Hölle.

Maya, Jüdin aus New York

Hinzu kommt: Mamdani hat sich lange geweigert, die Parole „Globalize the intifada“ zu verurteilen – eine Formulierung, die viele Jüdinnen und Juden als Aufruf zu Gewalt gegen sie verstehen. Inzwischen sagte Mamdani, er würde von der Verwendung abraten. Intifada bedeutet auf Arabisch Rebellion oder Aufstand und bezieht auf die mehrere Jahre andauernden Serien von Terroranschlägen, die von Palästinensern von 1987 bis 1993 sowie von 2000 bis 2005 gegen Israels Zivilbevölkerung verübt wurden.

„New Yorker, die keine Ahnung davon haben, sollen einfach still sein, wenn sie ‚Globalize the Intifada‘ rufen. Wegen der Intifada lebe ich nicht mehr in Israel. Das waren zwei Jahre Hölle“, sagt die New Yorkerin Maya. „Und ja, Mamdani hat das zurückgenommen, aber es bleibt dieses Augenzwinkern: ‚Ihr wisst schon, wieso ich das jetzt sage.‘“  

Mamdanis Rhetorik regt alte Ängste

Per se spricht der neu gewählte Bürgermeister Israel nicht das Existenzrecht ab, wiederholte jedoch mehrfach, das Land dürfe nicht als jüdischer Staat, sondern als Staat „mit gleichen Rechten für alle“ existieren. Seine zutiefst anti-zionistische Haltung besorgt Maya am meisten.

Der US-Außenminister Marco Rubio und Israels Premier Benjamin Netanyahu bei einem Treffen in Israel.

© imago/UPI Photo/IMAGO/RONEN ZVULUN

„Er sagt, er würde Netanjahu verhaften lassen. Es ist nicht so, dass den israelischen Präsidenten für einen guten Menschen halte – aber er würde das nie über andere Regierungschefs sagen, dabei gibt es viele schlimme Regierungen auf dieser Welt“, meint sie.  „Mamdani sagt, er glaubt nicht an Staaten mit ethnisch-religiösen Ideen. Aber dann tanzt er beim pakistanischen Umzug mit. Pakistan hat jede Menge Menschenrechtsprobleme. Aber dazu sagt er nichts, weil das nicht cool ist.“

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Mamdanis anti-zionistische Haltung schüre viele Sorgen, sagt auch Deborah, die wie alle jüdischen Stimmen in diesem Artikel anonym bleiben will. „Die Rhetorik während seines Wahlkampfs hat diese Ängste innerhalb der jüdischen Gemeinschaft noch verstärkt.“

Manche wollen gehen, andere warten ab

An Auswandern will sie noch nicht denken und erst einmal abwarten. „Vielleicht ist meine eher gelassene Reaktion auf seinen Sieg naiv, wenn man die jüdische Geschichte und die Erfahrungen von Juden weltweit betrachtet. Aber gleichzeitig hat Mamdani keinen Einfluss auf die amerikanische Außenpolitik, und ich weiß nicht, ob die Ansichten zu Israel überhaupt eine Rolle dabei spielen, wie er als Bürgermeister für die New Yorker arbeiten wird“, sagt sie. 

Ein Hund vor einem New Yorker Wahllokal trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Jews for Mamdani“.

© REUTERS/Angelina Katsanis

Auch große jüdische Organisationen riefen nach der Wahl zur Versöhnung auf. Die Union for Reform Judaism appellierte etwa, „die Stimmung abzukühlen“ und auf Versöhnung zu setzen. Deutlicher positionierte sich Jonathan Greenblatt von der Anti-Defamation League (ADL): Der künftige Bürgermeister müsse sich klar gegen Antisemitismus stellen und jüdische New Yorker ebenso schützen wie alle anderen Bürger, forderte er.

Mamdani vertritt Überzeugungen, die im Widerspruch zu den wichtigsten Werten unserer Gemeinschaft stehen.

Mehrere jüdische Organisationen

Die ADL kündigte an, eine Hotline zum Melden antisemitischer Vorfälle in der Stadt einzurichten und einen „Mamdani-Monitor“ zu betreiben, um seine Politik im Hinblick auf den Schutz jüdischen Lebens in der Stadt zu beobachten. Mehrere Wohlfahrtsverbände, darunter die UJA-Federation of New York, erklärten, Mamdani vertrete „Überzeugungen, die im Widerspruch zu den wichtigsten Werten unserer Gemeinschaft stehen“. 

Dabei hatte Mamdani im Wahlkampf versucht, die Sorgen der jüdischen New Yorker zu zerstreuen. Demonstrativ pflegte er die Kontakte in die jüdische Community, trat dort an wichtigen Feiertagen auf. Zudem versprach er, ein Department gegen Hasskriminalität gründen zu wollen, und den Polizeischutz vor Synagogen, falls nötig, zu erhöhen.

Mamdani-Unterstützer Brad Lander

© Getty Images via AFP/Andres Kudacki

Zu seinen prominentesten jüdischen Unterstützern – und damit zu jenen 32 Prozent der jüdischen Wählerinnen und Wähler, die ihn gewählt haben – gehört der Rechnungsprüfer der Stadt, Brad Lander, der in den Vorwahlen ebenfalls als Kandidat angetreten war. Später sprach er Mamdani seine Unterstützung aus. Der liberale jüdische Politiker rief dazu auf, Kritik an Israel nicht automatisch mit Antisemitismus gleichzusetzen. Die Gruppe „Jews for Zohran“, hinter der die antizionistische Organisation Jewish Voice for  Peace steht, macht ebenfalls Wahlkampf für Mamdani.

Zudem dürften viele progressive Jüdinnen und Juden Mamdani gewählt haben, die sich von Netanjahus rechtem Regierungsbündnis distanzieren und in New York eine offenere, universalistische jüdische Position vertreten wollen. Sie verstehen Mamdanis Kurs nicht als Bedrohung, sondern als Korrektiv.

Er wird zeigen müssen, wie ernst er Antisemitismus nimmt

Ob dies dazu führte, dass ein Drittel der jüdischen Stimmen an Mamdani ging, oder seine lokalpolitischen Versprechen der Grund dafür waren, lässt sich kaum sagen. Dennoch wird er jetzt zeigen müssen, wie ernst er Antisemitismus, auch in den eigenen Reihen, tatsächlich nimmt.

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Maya fürchtet eine Normalisierung antisemitischer Übergriffe, ähnlich wie es in rechten Kreisen immer mehr geduldet würde, sich rassistisch oder frauenfeindlich zu äußern. „Mamdani spielt mit einer Form von Identitätspolitik, die viele anspricht: Plötzlich kann man liberal und progressiv sein – und die Schuld liegt nicht mehr bei einem selbst, sondern bei den Juden, bei Israel, beim Zionismus“, sagt sie. „Wir als Juden müssen beweisen, dass wir Humanisten sind und zeigen, dass wir Israel hassen – erst dann werden wir in diesen linken Kreisen akzeptiert.“

Wichtig sei aber auch, dass die rassistischen und islamfeindlichen Angriffe aus der jüdischen Gemeinschaft gegen Mamdani aufhören. Denn: „Er ist natürlich kein verrückter Islamist, der den Dschihad bringt, wie manche behaupten.“