Bis zu zweieinhalb Kubikmeter Chemikalien fassen die großen Kessel, in denen im Industriepark Höchst Ramipril hergestellt wird. Der Wirkstoff wird in Form von Tabletten gegen hohen Blutdruck verordnet. Seit das noch von der Hoechst AG eingereichte Patent abgelaufen ist, wird Ramipril nicht nur hier, sondern auch in vielen anderen Fabriken produziert. Wo genau, schien lange nicht so wichtig – doch das hat sich geändert.

Rund 100 Fachbesucher aus verschiedenen Ländern sind Ende Oktober auf Einladung des Wirkstoffherstellers Euroapi in den Industriepark gekommen, um sich dessen Produktionsanlagen anzuschauen. Das vor drei Jahren vom Hoechst-Nachfolger Sanofi abgespaltene Unternehmen nutzte eine Branchenmesse, um Kunden und einigen Journalisten seine Arbeit zu präsentieren.

Euroapi produziert in Frankfurt-Höchst und an vier weiteren Standorten in Europa etwa 200 verschiedene pharmazeutische Wirkstoffe. Im Branchenjargon heißen sie Active Pharmaceutical Ingredients, die Abkürzung API steckt im Namen des Unternehmens. Vor der Abspaltung 2022 teilte Sanofi mit, Euroapi solle helfen sicherzustellen, dass auf dem Alten Kontinent weiter Wirkstoffe hergestellt würden, „die für Patienten in Europa und darüber hinaus von kritischer Bedeutung sind“.

China lässt den Westen seine Marktmacht spüren

Schon damals erfolgte die Produktion von Wirkstoffen für Generika, also nicht patentgeschützte Medikamente, überwiegend in Asien. Mehr als 50 Prozent der zertifizierten Zulassungen für die Herstellung solcher Wirkstoffe entfallen laut einer Studie, die das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im Oktober im Auftrag des Verbands Pro Generika erstellt hat, seit mindestens zehn Jahren auf Hersteller in Indien und China.

Zwar werden diese Vorprodukte oft noch in Europa zu Tabletten, Tropfen oder Salben verarbeitet – aber die Abhängigkeit von den Zulieferungen besonders aus China ist ein Thema, das mittlerweile auch die Politik beschäftigt. Schließlich hat Peking mit Exportbeschränkungen für Seltene Erden und zuletzt auch im Konflikt um den Chip-Hersteller Nexperia wiederholt die Abhängigkeit anderer Volkswirtschaften von chinesischen Zulieferern als Druckmittel eingesetzt.

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Außerdem können Lieferketten reißen, auch ohne dass dies politisch beabsichtigt wäre. So legte China im Kampf gegen das Coronavirus bis in den Herbst 2022 hinein immer wieder Fabriken und ganze Container-Häfen still. In Europa, das damals von einer ungewöhnlich heftigen Erkältungswelle heimgesucht wurde, wurden daraufhin Fieber- und Antibiotikasäfte für Kinder knapp. Das lag nicht nur, aber auch an der Abhängigkeit von China: Mehr als ein Drittel der Produktionsstandorte für Paracetamol, das Kindern eben in Form von Fiebersaft verabreicht wird, befinden sich der IW-Studie zufolge in der Volksrepublik. Ähnlich verhält es sich bei Amoxicillin, einem Antibiotikum.

Metamizol-Produktion wird ruhend gestellt

Der Vorstandsvorsitzende von Euroapi, David Seignolle, sieht in den Erfahrungen der vergangenen Jahre einen klaren Beleg dafür, dass europäische Wirkstoffhersteller gebraucht würden. „Die öffentliche Gesundheit hat genug gelitten“, sagte der Franzose am Rande der Veranstaltung im Industriepark Höchst.

Das Problem: Preislich können europäische Hersteller mit den Wirkstoffproduzenten in Asien in vielen Fällen nicht konkurrieren. So hat Euroapi, das seit der Abspaltung von Sanofi rote Zahlen schreibt, vor einem Jahr angekündigt, sich bis 2027 nach und nach von 13 Wirkstoffen zu trennen.

In Frankfurt soll Ende dieses Jahres die Produktionsanlage für das Schmerzmittel Metamizol eingemottet werden, wie Seignolle bestätigte – es ist die letzte in Europa. Die Zahl der Euroapi-Beschäftigten in Höchst dürfte aufgrund dieser Entscheidung von derzeit noch 750 auf weniger als 700 sinken. Mit der Herstellung des vor allem in Krankenhäusern verwendeten Schmerzmittels Metamizol in Deutschland sei man einfach nicht mehr wettbewerbsfähig, erläuterte Seignolle.

Fördermittel für Investitionen in Frankreich

Der Euroapi-Chef wies darauf hin, dass sein Unternehmen in Frankreich Fördermittel erhalte, um in effizientere Verfahren investieren zu können. Die Regierung in Paris hat angekündigt, Investitionen an den französischen Euroapi-Standorten Vertolaye und Saint-Aubin-lès-Elbeuf mit bis zu 140 Millionen Euro zu unterstützen. Diese Investitionsvorhaben wurden von der EU-Kommission auf eine Liste von Projekten gesetzt, die einen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie leisten sollen und für die deshalb Ausnahmen vom EU-Beihilferecht gelten.

Solche „Important Projects of Common European Interest“ (IPCEI), wie sie im EU-Jargon heißen, gibt es auch in Deutschland – bislang allerdings nicht im Gesundheitssektor. „Wenn uns die Versorgungssicherheit in geo- und handelspolitisch unwägbaren Zeiten etwas wert ist, benötigen wir Programme zum Ausbau strategischer Produktionskapazitäten, insbesondere für kritische Wirkstoffe, Biopharmazeutika und Medizintechnik“, sagte dazu am Donnerstag der Vorstandsvorsitzende des Chemieverbandes VCI Hessen, Joachim Kreysing. Er ist im Hauptberuf Geschäftsführer von Infraserv, der Betreibergesellschaft des Industrieparks Höchst.

Bei Subventionen besteht allerdings das Risiko, dass sie nutzlos verpuffen. Das zeigt auch ein Blick auf die IPCEI-Projekte, die in Deutschland für andere Branchen aufgelegt wurden: An einem davon war der mittlerweile insolvente Batteriehersteller Northvolt beteiligt.

Diskussion über Sparpolitik der Krankenkassen

Eine andere Möglichkeit, die Herstellung pharmazeutischer Wirkstoffe in Europa zu befördern oder zumindest die bestehenden Produktionsstätten zu erhalten, wäre eine Änderung der Preispolitik der Krankenkassen. Wenn diese Verträge für die Versorgung ihrer Versicherten mit Medikamenten ausschreiben, geht der Zuschlag in der Regel an den Anbieter mit den niedrigsten Preisen. Nach den Erfahrungen im Winter 2022/2023 wurde für Antibiotika bereits festgelegt, dass bei der Ausschreibung neuer Verträge stets ein Anbieter mit Wirkstoffen aus europäischer Produktion zum Zuge kommen muss – sofern es einen gibt. So sieht es das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz vor.

Über die Ausweitung dieser Regelung zugunsten europäischer Produzenten auf weitere Medikamente wird diskutiert. Allerdings ließe sich die Abhängigkeit von asiatischen Zulieferern auch dadurch nicht ganz beseitigen: Auch Unternehmen, die Wirkstoffe hier produzieren wie Euroapi, beziehen einen Teil der dafür nötigen Basischemikalien aus Asien. Am Standort Höchst liegt der Anteil der aus Asien bezogenen Vorprodukte nach Unternehmensangaben bei 25 Prozent.

Euroapi-Chef Seignolle sagte dazu, trotzdem ließe sich über Vorgaben für die Wertschöpfung in Europa einiges ändern: „Wenn wir in Vertolaye Kortikosteroide herstellen, brauchen wir dafür 25 Schritte – bei einigen unserer Wettbewerber erfolgen nur fünf davon in Europa.“