Regensburg. Wenn’s im Fußball so etwas wie eine Katharsis gibt, dann fand sie im von Pyro und Herbst vernebelten Jahnstadion am Sonntagabend statt: 4000 Löwenfans – not amused – und über 11.000 begeisterte Oberpfälzer erleben die Rückkehr des alten, kampf- und spielfreudigen Jahn.

Die Löwen als Leibspeise des SSV Jahn: Nach der Sensations-Relegation in München heute die Wiedergeburt im Jahn-Stadion. Foto: jrh
Der SSV Jahn zeigt gegen 1860 München nicht nur Herz, sondern Fußball – und wie! Die beste Saisonleistung, ein entfesseltes Team und eine Kulisse, die sich wie eine Wiedergeburt anfühlt. Die beste Saisonleistung in Hälfte 1 reicht zwar zunächst nur für ein schmeichelhaftes 1:0 – aus Sicht der Münchener – die Regensburger zeigten weit mehr als das geforderte Kämpferherz.
Mit spielerischen Ideen, Esprit, selbstbewussten Solos schnüren die Rotweißen die Blauen im eigenen Strafraum ein. Der Knoten platzt dann paradoxerweise erst in Hälfte 2, nachdem die verunsicherten Löwen die erste nennenswerte Chance vergeben: ein Latten-Knaller nach Ecke. Als man schon befürchten muss, Regensburg wolle das Spiel verwalten, geht es Schlag auf Schlag.
Poldi Wurms langes Bein nach einer Ecke verlängert Eric Hottmanns Kopfball am zweiten Pfosten zum 2:0 über die Linie. Den überfälligen Elfer nach Rempler gegen den hyperaktiven Hottmann – nach einem klar nicht gegebenen in Aue, samt dem Innenraumverbot für Cheftrainer Michael Wimmer nach seiner berechtigten Kritik und ein möglicher in Hälfte 1 – verwandelt der überragende Noel Eichinger clever. Und Dann belohnt sich auch noch Philipp Müller, der bisher immer wieder mal durch Missgeschicke aufgefallen war, mit dem coolen Schlusspunkt.
Kollektive Erlösung in Rot und Weiß
Von Beginn an ist es ein Spiel auf ein Tor: Der Jahn drückt, läuft an, kombiniert – mit Esprit, Selbstvertrauen und einer Prise Wut im Bauch. Lucas Hermes eröffnet den Torreigen nach 32 Minuten nach sehenswerter Vorarbeit von Noel Eichinger, der über rechts in den Strafraum zieht und querlegt. Der Ball zappelt im Netz, das Stadion bebt.
Schon da ist klar: Hier spielt kein potenzieller Absteiger. Hier wächst etwas zusammen. Doch trotz Chancen im Minutentakt – Latte durch Benedikt Bauer, Fast-Treffer durch Eric Hottmann – geht’s nur mit einem 1:0 in die Kabine.

Die Löwen als Leibspeise des SSV Jahn: Nach der Sensations-Relegation in München heute die Wiedergeburt im Jahn-Stadion. Foto: jrh
Wenn der Knoten platzt
Nach der Pause fast der Schock: Nachdem sich der Pyro-Nebel endlich einigermaßen verzogen hat, ein Lattentreffer von Sigurd Haugen (61.) – der mögliche Kipppunkt bleibt aus. Aber diesmal bleibt das Glück in Regensburg. Statt in Panik zu verfallen, spielt der Jahn einfach weiter Fußball. Dann kommt die Szene, die sinnbildlich für die Wandlung steht: Ecke Hottmann, Kopfballverlängerung, Jugendnationaltalent Leopold Wurm, den der Jahn als Abwehrchef halten konnte, streckt sein langes Bein dazwischen – 2:0. Das Stadion explodiert.
Kurz darauf der fällige Elfer: Hottmann wird weggerempelt, Eichinger verlädt Löwen-Keeper Thomas Dähne und verwandelt eiskalt. Und als Philipp Müller, der in dieser Saison oft mit sich und seinen übermotivierten Missgeschicken haderte – wie den verursachten Elfer gegen Stuttgart –, den Ball zum 4:0 ins Netz schlenzt, ist die Wiederauferstehung perfekt.

Die Löwen als Leibspeise des SSV Jahn: Nach der Sensations-Relegation in München heute die Wiedergeburt im Jahn-Stadion. Foto: jrh
Eine letzte Frage: Ist Achims Kader doch ganz tough?
Dass Cheftrainer Michael Wimmer wegen seiner Kritik an der Elfer-Posse von Aue auf der Tribüne sitzt, scheint die Mannschaft eher beflügelt als gehemmt zu haben. Co-Trainer Munier Raychouni zieht an der Seitenlinie die Fäden – und seine Jungs liefern ab: taktisch klug, emotional aufgeladen, aber immer mit kühlem Kopf.
Und diese Spitze darf auch mal sein: Vielleicht sollte man Achim Beierlorzer, dessen Sportchefsessel ja noch vakant ist, einfach reaktivieren. Der ehemalige Monstermentalitäts-Macher hat, wenn man diese Truppe heute gesehen hat, offenbar doch nicht so weit danebengelegen bei seiner Kaderzusammenstellung – eine Truppe mit Mentalität, Charakter und Talent. Vielleicht ist das die Lehre aus den Worten von Christian Keller: Gute Mannschaften brauchen Zeit. Geduld zahlt sich aus.

Die Löwen als Leibspeise des SSV Jahn: Nach der Sensations-Relegation in München heute die Wiedergeburt im Jahn-Stadion. Foto: jrh
Die Höhepunkte des Spiels
- 2. Minute: Bauer testet Dähne früh aus der Distanz.
- 10. Minute: Bauer trifft nach Vorlage von Stolze die Latte.
- 32. Minute (1:0): Hermes vollendet nach Eichinger-Dribbling ins lange Eck.
- 61. Minute: Haugen trifft die Latte – Glück für den Jahn.
- 75. Minute (2:0): Wurm stochert den Ball nach Hottmanns Kopfballverlängerung über die Linie.
- 81. Minute (3:0): Eichinger verwandelt Elfer nach Foul an Hottmann.
- 86. Minute (4:0): Müller trifft nach Zuspiel von Adrian Fein flach ins linke Eck.

Löwentrainer Markus Kauczinski ist fassungslos: Nach der Sensations-Relegation in München heute die Wiedergeburt im Jahn-Stadion. Foto: jrh
Stimmen zum Spiel
Munier Raychouni (Co-Trainer SSV Jahn): „Wir sind sehr gut gestartet, haben viele Torchancen erspielt – leider nur ein Tor. Nach dem Lattentreffer in der zweiten Halbzeit hätte das Spiel kippen können, aber wir haben uns stark befreit und in Blickrichtung unserer Fans drei Tore gemacht. Das war heute in allen Belangen ein sehr gutes Spiel.“
Leopold Wurm (Torschütze zum 2:0): „Besser geht’s fast nicht. Wir waren von der ersten Sekunde an besser, haben sie im eigenen Strafraum festgenagelt. Ich glaube, die hatten in der ersten Halbzeit einen Torschuss – ansonsten nichts. Ich habe ja relativ lange Beine, die habe ich mal eingesetzt.“
Markus Kauczinski (Trainer 1860 München): „Ich bin fassungslos. Das war ein Totalabsturz vom Anfang bis zum Ende. Jahn Regensburg war in allen Belangen überlegen – läuferisch, kämpferisch, mental. Wir waren in jeder Sekunde einen Schritt zu spät.“
Pokalfight in der Länderspielpause
Der 4:0-Derbytriumph gegen 1860 München ist mehr als ein Befreiungsschlag – er ist ein Statement. Der Jahn steht jetzt bei 17 Punkten und rückt bis auf einen Zähler an die Löwen heran.
Nächste Aufgaben: Am kommenden Dienstag wartet im Bayerischen Totopokal-Viertelfinale der FC Ingolstadt – ein echter Prüfstein für die wiedererstarkten Regensburger.
Danach geht’s zum Traditionsduell an den Tivoli in Aachen – ein Sechs-Punkte-Spiel im Abstiegskampf, das nach diesem Auftritt durchaus mit Selbstbewusstsein angegangen werden darf.