Die Buchmesse „Seitenwechsel“ hat nach Schätzungen von MDR-Reportern am Samstag und Sonntag mehrere Tausend Menschen auf die Messe in Halle gezogen. Die Messehalle war an beiden Tagen voll, bei einzelnen Veranstaltungen mussten Teile des Publikums wegen Überfüllung auf dem Boden sitzen. Die Stimmung auf der Messe war an beiden Tagen friedlich.
Keine freie Berichterstattung möglich
Die Veranstalter von „Seitenwechsel“ gewährten nur ausgewählten Journalisten Zugang zu der Veranstaltung. Einzelne MDR-Reporter durften auf das Gelände. Aber auch für sie galt das allgemeine Verbot zu filmen, zu fotografieren oder Tonaufnahmen zu machen.
Offenbar wurden allerdings auch Ausnahmen gemacht. Der AfD-nahe Youtube-Kanal „Utopia TV Deutschland“ streamte an beiden Tagen mehrere Stunden von der „Seitenwechsel“-Buchmesse. Auch der langjährige Funktionär der Partei Die Heimat, früher NPD, Sebastian Schmidtke streamte von dort. Ebenso der rechtsextreme Sender Auf1, der vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Auch das Publikum konnte oft ungehindert Aufnahmen machen.
Rechte Buchmesse mit extremistischen Akteuren
Die Veranstaltung „Seitenwechsel“ gilt als umstritten, weil neben konservativen und rechten Ausstellern auch Akteure der rechtsextremen Szene anwesend waren. Darunter befanden sich der Verlag Antaios, der seit 2024 vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wird, und der Jungeuropa Verlag des Aktivisten der Neuen Rechten Philip Stein. Aufgrund des Ausstellerverzeichnisses wurde die Veranstaltung in der Öffentlichkeit als „rechte Buchmesse“ wahrgenommen. Bekannte oder etablierte Publikumsverlage hatten nach Angaben der Veranstalter abgesagt.
Neben zentralen Verlagen der Neuen Rechten und dem rechtsextremen Compact-Magazin waren auch zahlreiche Verlage für Militärgeschichte und Militaria vertreten. Laut MDR-Reportern vertrieben sie Publikationen, welche die Schuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg und deutsche Kriegsverbrechen relativierten und verharmlosten. Außerdem hätten mehrere Aussteller verschwörungsmythologische Inhalte angeboten oder den Klimawandel geleugnet.
Neben den rechtsextremen Akteuren traten bei „Seitenwechsel“ auch bekannte konservative Autoren wie Matthias Matussek, Hans-Georg Maaßen oder Uwe Tellkamp auf. Die ehemalige sächsische Landeschefin von Bündnis90/Die Grünen, Antje Hermenau, präsentierte bei „Seitenwechsel“ ihren Essayband „Das große Egal“. Sie sagte MDR KULTUR im Vorfeld: „Ich habe kein Problem damit, auf dieser Messe zu sein. Wie manche Leute manche Verlage einstufen, ist oft sehr subjektiv. Ich werde mich mit den Leuten unterhalten, die ich gerne treffen möchte, und das sind auch relativ viele. Es sind nämlich Rechte meistens, nur einfache Konservative.“
Kubitschek: Buchmesse ist ein „Dammbruch“
Antaios-Verleger und Publizist Götz Kubitschek, der bei mehreren laut Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuften Organisationen aktiv ist, bezeichnete „Seitenwechsel“ bei einem seiner Auftritte auf der Messe als „Dammbruch“. Die Besucher seien „der lesende Teil des Aufbruchs in eine bessere Zukunft für unsere Nation“. Ihm gefalle die Atmosphäre der Buchmesse, sie erinnere ihn an die 68er-Bewegung.
Auch andere geladene Autoren und Publizisten zeigten sich erfreut über das große Publikumsinteresse. Einige sprachen von einer „Zeitenwende“ und einem „Befreiungsschlag“. Das Publikum selbst wirkte laut MDR-Reportern sehr zufrieden mit den Themen und der Stimmung auf der Messe. So gab es zum Beispiel immer wieder Applaus, wenn vom „widerständigen“ oder „unbeugsamen“ Osten die Rede war.
„Rechtsextreme fühlten sich sicher“
Der freie Reporter Thomas Datt, der immer wieder über rechte Veranstaltungen und rechtsextreme Netzwerke berichtet, war für MDR KULTUR vor Ort. Er erzählte von mehreren rechtsextremen Akteuren, die auf der „Seitenwechsel“-Büchermesse aufgetreten sind.
Darunter war die Partei „Freie Sachsen“, die vom sächsischen Verfassungsschutz als „rechtsextreme Gruppierung mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen“ eingestuft wird. Außerdem habe der rechtsextreme Anwalt Dubravko Mandic, der auch eine Kanzlei in Leipzig unterhält, einen eigenen Stand gehabt, an dem unter anderem eine Checkliste für Verhalten bei Hausdurchsuchungen verteilt worden sei. Daneben sichtete Datt Akteure der „Identitären Bewegung“ und der ehemaligen AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ sowie AfD-Politiker.
Rechtsextreme fühlten sich sicher. Für sie war es wie ein Heimspiel.
Thomas Datt, MDR-Reporter
Szenetypische Kleidung war laut Datt eher die Ausnahme. Den Einschätzungen des Journalisten zufolge besuchten auffällig viele Frauen die Veranstaltung, mehr als bei herkömmlichen Szenetreffs oder Demonstrationen. Datts Fazit: „Rechtsextreme fühlten sich sicher. Für sie war es wie ein Heimspiel – nur, dass das Publikum nicht mehr nur aus ihren Kameraden bestand, sondern auch aus mittelalten, konservativen Ehepaaren.“
„Seitenwechsel“-Organisatorin sieht sich im „Endkampf“
„Seitenwechsel“ wurde von der Dresdner Buchhändlerin und Verlegerin Susanne Dagen veranstaltet. Dagen, die als kulturpolitische Sprecherin der AfD-Fraktion im Dresdner Stadtrat sitzt, hatte die Veranstaltung als „geistige Notwehr“ bezeichnet, da aus ihrer Sicht vor allem die großen Buchmessen in Frankfurt und Leipzig in den vergangenen Jahren „politisch immer enger“ geworden seien. Schon diese Ankündigung brachte große mediale Aufmerksamkeit mit sich.