Irgendwie musste FDP-Stadtrat Sven Morlok noch eine kleine Feldschlacht austragen an diesem 29. Oktober in der Ratsversammlung beim letzten öffentlichen Punkt auf der Tagesordnung. Der Punkt klang erst einmal ganz harmlos: „Überplanmäßige Aufwendungen 2025 nach § 78 in Anlehnung an § 79 (1) SächsGemO in der Grundversorgung und Hilfen nach SGB XII, Grundversorgung für Arbeitssuchende nach SGB II, Eingliederungshilfe nach SGB IX sowie Bildungs- und Teilhabeleistungen für Empfänger WOGG bzw. BKGG“.

Da wäre früher auch kein Linke-Stadtrat aufgestanden, um eine Rede zu halten. Doch diesmal hatte Linke-Stadtrat Volker Külow die Nase voll.

Er hatte die Vorlage aus dem Sozialamt bis zu Ende gelesen, bis zu der Stelle, an der auch das Sozialamt erstmals deutlich formulierte, wie Leipzig durch falsche Entscheidungen in Bund und Land jetzt in den Ruin getrieben wird. Anders kann man das nicht formulieren.

Insgesamt listete die Vorlage – wieder einmal – nur auf, welche Posten im Sozialetat schon zur Jahresmitte mit Millionensummen über die Haushaltsansätze hinaus belastet wurden. Also mit Geld, das Leipzig nicht hat und über Kassenkredite finanzieren muss. Also über Schulden. Einfach mal aufgelistet:

13,7 Millionen Euro für Grundsicherung und Hilfen nach dem SGB XII
5,1 Millionen Euro für Grundversorgung für Arbeitssuchende nach SGB II
6,4 Millionen Euro für Eingliederungshilfe nach dem SGB IX
1,1 Millionen Euro für Bildungs- und Teilhabeleistungen für Empfänger WOGG und BKGG

So weit, so nichts Neues. Diesen Mehraufwendungen hätte auch die Linksfraktion früher ohne Kommentar zugestimmt, so Volker Külow. Doch die Vorlage aus dem Sozialdezernat ist nur ein Ausschnitt, ein geradezu winziger Teil der Sozialausgaben, die in Leipzig gerade ungebremst aus dem Ruder laufen. Normalerweise müssten die Sozialausgaben komplett von Bund und Land gegenfinanziert werden. „Wer bestellt, der auch bezahlt“, merkte Külow an.

Auf die Kommunen abgewälzt

Doch Bund und Land wälzen immer mehr Sozialausgaben auf die Kommunen ab, ohne sie gegenzufinanzieren. Das ist schon seit ein paar Jahren so. Aber seit 2022, so Külow, haben sich die Sozialausgaben in Leipzig verdoppelt. Und darin steckt, so Külow „politischer Sprengstoff“.

Und zwar echter. Das merkte Leipzig schon 2024, als diese aus dem Ruder laufenden Sozialausgaben den Leipziger Haushalt derart aufblähten, dass Leipzig in diesem Jahr gleich 500 Millionen Euro zusätzlicher Kredite aufnehmen musste. Nicht für echte Investitionen, nicht für laufende Verwaltungsausgaben oder Personal, sondern allein aufgrund der explodierenden Sozialausgaben.

Welche Dimensionen das angenommen hat, hat das Sozialamt erstmals in dieser Deutlichkeit in der Vorlage formuliert: „Die Netto-Aufwendungen im Sozialbereich betragen gemäß V-Ist zum 30.06.2025 rund 352,8 Mio. EUR (inkl. KSV-Umlage). Es handelt sich um Pflichtaufgaben ohne jegliche Finanzierungsbeteiligung durch Bund oder Land.

Diese erhebliche Belastung für die Stadt Leipzig ist kaum noch zu bewältigen, ohne dass Aufgaben in anderen Bereichen gekürzt werden oder wegfallen müssen. So haben sich z. B. die Aufwendungen für die Hilfe zur Pflege innerhalb von 3 Jahren nahezu verdoppelt; die KSV-Umlage ist gegenüber 2020 um 40 % (+ 61 Mio. EUR) angestiegen.“

Die Befürchtungen stehen bei einer Dreiviertelmilliarde

Was Volker Külow dazu animierte, im Sozialdezernat nachzufragen, ob das nun eigentlich bedeutet, dass sich diese Summe bis zum Jahresende auch noch verdoppelt.

Die Antwort hat ihn dann selber schockiert. Denn die lautete: Das Sozialdezernat rechne bis Jahresende mit einer Dreiviertelmilliarde Euro an Sozialausgaben, die durch die Zuweisungen von Bund und Land nicht gedeckt sind. In Ziffern: 750.000.000 Euro.

Man kann es auch so formulieren: Schon in diesem Jashr wird Leipzig der Haushalt um die Ohren fliegen.

Eine völlig fehlplatzierte Streiterei

Und Sven Morlok? Der hängte sich einfach an Külows Vorwurf in Richtung Sächsische Staatsregierung auf und warf ihm bzw. seiner Partei vor, doch dem sächsischen Knauserhaushalt 2025/2026, in dem sich die Minderheitsregierung aus CDU und SPD auf Kosten der Kommunen eine „Schwarze Null“ zusammenspart, zugestimmt zu haben.

Folge: Ein kurzes Wortgefecht zwischen Morlok und Külow, wer denn jetzt Schuld daran sei, dass die Kommunalfinanzierung auf Landesebene derart aus dem Ruder gelaufen sei. Also völlig am Thema vorbei, als hätte Morlok ablenken wollen von dem, was Külow da am Rednerpult tatsächlich gesagt hatte: Dass alle Leipziger Sparanstrengungen nichts helfen werden, das Schuldendesaster zu vermeiden.

Allein die – demografisch bedingten – Sozialausgaben werden Leipzig die finanziellen Standbeine weghauen. Und zwar nicht erst in drei Jahren, sondern viel früher.

Und weder auf Landes-, noch auf Bundesebene ist das geringste Zeichen auszumachen, das dort auch nur ein maßgeblicher Minister begriffen hätte, was da gerade passiert.

Ausgaben ohne jede Deckung

Und Külow verwies auch noch auf die noch immer nicht vorgelegte Zuarbeit aus dem Finanzdezernat, das der Linksfraktion eigentlich zuarbeiten wollte, wie viele Pflichtaufgaben der Stadt in welcher Größenordnung von Bund und Land nicht ausfinanziert sind. Wo also die Kommune ihre sauer erarbeiteten Steuereinnahmen hergeben muss, um Bundes- und Landesaufgaben zu finanzieren. Und weil das nicht reicht, immer höhere Schulden aufnehmen muss.

Külows Vermutung: Die Summe liegt inzwischen wohl über 1 Milliarde Euro.

Eine Dimension, die nicht nur Stadträte erschrecken sollte. Und nichts ist falscher, als wenn sich nun ausgerechnet FDP und Linkspartei zoffen, wer von beiden schuld an der Misere ist. Diese Suppe haben andere Parteien verbockt.

Ach ja: Die Ratsversammlung stimmte den in der Vorlage genannten Mehrausgaben mit 52:0 Stimmen einhellig zu.