​Unter dem Titel »Lichtw:orte. Leipziger Lichtlyrik« werden vom 3. bis 9. November jeden Abend ab 17 Uhr Gedichte auf die Fassade des Leipziger Uniriesen projiziert. Die Texte beschäftigen sich thematisch mit »Flucht und Zuflucht«, verbinden das Gedenken an die Pogromnacht mit der aktuellen Fluchtkrise. Wir haben mit den Autorinnen Özlem Özgül Dündar, Kerstin Preiwuß und Sibylla Vričić Hausmann aus dem Kuratorium des Projekts – zu dem auch die Autorin Anja Utler gehört – ​über die Hintergründe und Themen gesprochen.​

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Gedichte am Uniriesen zu präsentieren?

Preiwuß: Gedichte gehören in die Öffentlichkeit, weil es Texte sind, die am Stück wahrgenommen werden können: Man kann sie lesen, man kann sie als Bild sehen. Das ist eine Chance der Literatur, die häufiger genutzt werden sollte. Es gibt in der Leipziger Partnerstadt Krakau seit über zehn Jahren eine sehr ambitionierte Form der Projektion von Gedichten in der Öffentlichkeit. Unabhängig von Krakau, aber auch im Bunde mit Krakau, haben wir uns das überlegt, damit diese literarische Form im diesjährigen Themenjahr »Mehr als eine Geschichte. Buchstadt Leipzig« präsent ist.


Welchen Vorteil hatte es für die Veranstaltung, Teil des Themenjahres zu sein?

Preiwuß: Dieses Jahr waren für die Literatur Dinge möglich, die sonst sicherlich schwerer durchsetzbar gewesen wären. Die Stadt Leipzig hat uns diese Idee umsetzen lassen, hat uns vertraut und unterstützt. Ich weiß nicht, ob wir dieses zentrale Gebäude auf dem Augustplatz sonst bespielen hätten können – mit Gedichten, vor denen die meisten Menschen seit der Schule eher Angst haben.


Jeder Tag hat ein anderes Thema. Wie haben Sie dieses und die jeweiligen Texte ausgewählt?

Vričić Hausmann: Wir hatten von Anfang an das Gefühl, dass bestimmte Aspekte repräsentiert sein müssen: Vielsprachigkeit, der Wunsch nach einem sicheren Ort, der aber auch verbunden ist mit dem schlechten Gewissen: Selbst ist man in Sicherheit, aber viele andere nicht. Natürlich spielt auch die Pogromnacht am 9. November 1938 eine Rolle in den Texten.

Dündar: Das Thema Zuflucht stand schon zur Antragsstellung fest. Dann haben wir überlegt: Was gehört alles zu diesem Thema? Die verschiedenen Aspekte haben wir dann als eine Reise angeordnet, mit Ausblick auf den Sonntag, der als Tag der Pogromnacht thematisch schon feststand und auf den die anderen Tage hinführen sollten. Das spielte auch eine Rolle bei der Auswahl der Gedichte. Das letzte Gedicht eines jeden Abends führt schon hin zum darauffolgenden Tag.

Preiwuß: Uns war wichtig, dass die Gedichte zugänglich sind. Es gibt sehr viele Varianten von Dichtung, nicht jede eignet sich für die Projektion in der Öffentlichkeit. Man musste die Gedichte und die Aussage gut erfassen können. Auch im Sinne von »Gefühlsdokumenten«, das ist ein Wort von Swetlana Alexejwitsch.

Vričić Hausmann: Die Gedichte sollten auch nicht belehren. Sie kommunizieren auf der bildlichen, aber auch auf der emotionalen Ebene und das ist ein ganz besonderes Merkmal von Poesie. Zusätzlich sollten dazu noch verschiedene Zeiten angesprochen werden, ältere und neuere Gedichte. Es gab auch unterschiedliche Arten von Gedichten: Ein Liedtext des Rappers Apsilon ist dabei, sehr erzählerische, sehr verknappte Gedichte, hohe Literatur und welche, die auch auf einer Pop-Ebene funktionieren, zum Beispiel von Mascha Kaléko.


Die Texte werden nicht einfach nur projiziert, sondern auch animiert. Was war da die Überlegung dahinter?

Vričić Hausmann: Wir haben die Tage zwischen uns aufgeteilt und verschiedene Ansätze verfolgt. Der Tag, an dem es um Mehrsprachigkeit geht, konnte etwas spielerischer sein und mit vielen verschiedenen Visualisierungen experimentieren. Der 8. November als Vortag des Pogroms thematisiert vor allem die Verfolgung. Da wollte ich mich auf ein, zwei Visualisierungen begrenzen, um das Gedenken ruhiger und geordneter zu gestalten.

Dündar: Manche Elemente sind eher illustrierend und folgen den Bildern, die wir beim Lesen hatten. Aber es ist auch eine Mischung geworden aus »Was kann die Grafik denn umsetzen?« und »Was funktioniert auf diesem Gebäude?«


Ist es geplant, das Projekt nächstes Jahr fortzuführen?

Preiwuß: Das Projekt wird nicht verstetigt, aber ich kann alle ermutigen, es auszuprobieren. Denn es braucht nicht viel: öffentlichen Raum, eine Idee und Beharrlichkeit, um die Gelder zu akquirieren.

> »Lichtw:orte. Leipziger Lichtlyrik«, 3.-9. November, Uniriese auf dem Augustusplatz. Weitere Hintergrundinformationen und die Gedichte selbst sind auf der Webseite der Deutschen Nationalbibliothek nachlesbar: https://www.dnb.de/DE/Kulturell/Veranstaltungskalender/Einzel/20251103Lichtworte.html