Autobiografische Züge trägt das Romandebüt von Leon Engler. Bei der Lesart in Esslingen stellte er das Werk vor.

Zarte Klänge einer E-Gitarre füllen den Kutschersaal in der Stadtbücherei Esslingen. Gebannt lauschen die Zuhörer den meditativen Saitenklängen, die Leon Engler seinem Instrument entlockt. Doch er ist nicht als Musiker engagiert. Im Rahmen der 31. Esslinger Literaturtage „Lesart 2025“ stellte er seinen Debüt-Roman „Botanik des Wahnsinns“ vor.

An seiner Seite im Kutschersaal der Bücherei sitzt Dominique Caina, die in der Literaturreihe die Lesungen für Erwachsene kuratiert. Zunächst begrüßte Büchereileiter Kevin Butler die Gäste, dann moderierte sie den Abend. Zunächst zeigt Caina die Stränge auf, die den Aufbau des viel beachteten Erstlingsromans von Leon Engler bestimmen.

Da ist zum einen die Gegenwart des Ich-Erzählers, der Tagebuch schreibt und als Therapeut in der Psychiatrie arbeitet. Dann die Rückblenden in die Vergangenheit seiner Vorfahren und essayistische Passagen, etwa über die Geschichte der Psychiatrie. Über viele Seiten wird das bewegte Leben des Protagonisten beschrieben. Zwar wird Engler an keiner Stelle namentlich benannt, doch schnell ist klar: Es geht um sein Leben.

Dennoch stellt der Autor klar: „Ich habe keine Autobiografie geschrieben, sondern ein Roman, in dem sich Recherche, Realität und Fiktion vermischen.“ In „Botanik des Wahnsinns“ spürt er der Frage nach, ob der Wahnsinn, wenn er sich seit drei Generationen in einer Familie eingenistet hat, unentrinnbar das Schicksal der Nachkommen ist.

In München aufgewachsenen

Dass in der Familie des in München aufgewachsenen Autors nicht alles mit normalen Dingen zugeht, wird schon im ersten Kapitel klar. Die Wohnung seiner alkoholsüchtigen, verwahrlosten Mutter wird zwangsgeräumt, doch die nimmt es leicht: „Kein Problem. Es ist sowieso Zeit für einen Ortswechsel“. Komplett ist das Chaos, als durch eine Verwechslung alle persönlichen Dinge der Mutter in der Müllverbrennungsanlage landen. So ist die Vergangenheit ausgelöscht.

Bei allem Irrsinn des Lebens taucht in Englers Roman auch Humoriges auf, etwa wenn er von seiner Mathematiklehrerin erzählt, deren Markenzeichen abgeschnittene Krawatten sind. Augenzwinkernd blickt er auf die suizidgefährdete Großmutter, die mit ihren Inkontinenz-Windeln in einer eigenen geistigen Welt lebt.

Seine Angst, den Wahnsinn der Vorfahren geerbt zu haben, treibt den Protagonisten hinaus in die Welt. Doch nach seiner Flucht aus München hält er es auch nicht in der Enge einer Wohnung in New York aus, flieht weiter nach Paris. Auch hier treibt ihn die Platzangst in seiner Mini-Wohnung weiter nach Wien, wo er zunächst Theaterwissenschaft studiert, später in Köln Psychologie.

Mit filigranen Gitarrenklängen endet die Lesung

Weder sein skurriler Kontakt mit einem buchverrückten Wohnungsnachbarn in Wien, noch seine Arbeit als Psychologe in einem psychiatrischen Krankenhaus erlösen den Protagonisten des Buchs von seinen Ängsten, doch noch dem Wahnsinn zu verfallen. Ganz im Gegenteil: In der Psychiatrie und beim Studium der Bücher von Sigmund Freud, Friedrich Nietzsche und Ingeborg Bachmann erkennt er, dass seelische Leiden schwer zu heilen sind. So erkennt er: Das Los der Menschen ist, zu scheitern.

Englers Roman bezieht die Spannung aus einem untergründig spürbaren Konflikt mit der Realität. Und dennoch ist dem Autor mit seinem Debüt, trotz der düsteren Ausgangslage, ein heiteres, zutiefst menschliches Buch geglückt. Die Lesung endet, wie sie begonnen hat: Mit filigranen Gitarrenklängen, in die sich als Zeichen, dass das Leben weitergeht, monotone Herzgeräusche mischen.