Liebe Leserin, lieber Leser,
dieses
seltsame Geräusch werde ich nicht mehr los. Stellen Sie sich bitte
vor, wie einige Hundert Menschen es brüllen, sie rasten völlig aus
vor Freude: „Peeeter! Peeeeeeeeeter!“
Sieben
Wochen ist das schon her, und damals bei der SPD-Wahlparty war es,
als wäre gerade Taylor Swift ins Bürgermeisteramt gewählt worden.
Peter Tschentscher war diese
Huldigung natürlich kaum geheuer, große Ankündigungen kamen am
Wahlabend nicht mehr von ihm, allerdings auch danach nicht.
Vielleicht legt sich Hamburg also nach einem hitzigen Wahlkampf
einfach zurück ins Bett, Licht aus, Klappe zu. Ist das gut für die
Stadt?
Daran
kann man zweifeln, im Rathaus ist es so still, dass man kaum
mitbekam, wie gestern die
Koalitionsverhandlungen zu Ende gingen. Rot-Grün hat sich geeinigt,
zumindest habe ich nichts Gegenteiliges gehört, und es sind keine
weiteren Verhandlungstermine mehr angesetzt. Der Koalitionsvertrag
soll noch präsentiert werden, mutmaßlich wird auch das
unspektakulär. Ich stelle mir vor, wie Tschentscher unter
„Peeeeter“-Sprechchören das Werk auf einen Tisch legt und sich
wieder zurückzieht.
10.000
neue Wohnungen pro Jahr, schnellere Bauverfahren, weniger Bürokratie,
das sind Eckpfeiler der Neuauflage von Rot-Grün, die schon enthüllt
wurden. Tschentschers Drohungen vor der Wahl, den Grünen die
Verkehrsbehörde wegzunehmen oder die Landespolitik in einer
Koalition mit der CDU durchzurütteln, waren wohl nur Theaterdonner.
Und natürlich ist diese Art von Politik hochprofessionell, auch
wohltuend beim Blick in alle Welt. Nur wäre es schön, in Hamburg
mal wieder eine verrückte Idee aufgehen zu sehen.
© ZON
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Ich
musste gestern an den Vorschlag der CDU denken, große Pontons auf
der Binnenalster schwimmen zu lassen, mit Cafés und Restaurants.
Oder daran, die Willy-Brandt-Straße zu überdeckeln und zu begrünen.
Oder an die Vorstellung, was passieren würde, gäbe man ein großes
Stück der HafenCity nicht an Einkaufscentermagnaten, sondern an
Künstlerinnen und Künstler. Oder an eine
Seilbahn … ach nein, lassen wir das bitte für alle Ewigkeit.
Tagträumereien, vielleicht, aber uns würde
interessieren, ob wir damit allein sind. Falls
Sie Ideen haben, die ein bisschen Schwung in die Politik bringen
würden, schreiben Sie uns gern an hamburg@zeit.de,
und genauso, wenn Sie die Stille genießen.
Kommen
Sie entspannt durch den Tag!
Ihr
Christoph Heinemann
PS:
In der jüngsten Ausgabe der ZEIT:Hamburg hat mein Kollege Florian
Zinnecker bereits einen kleinen Weckruf an die Politik formuliert.
Ich empfehle Ihnen seinen Text weiterhin sehr, Sie finden ihn hier
(Z+).
WAS HEUTE IN HAMBURG WICHTIG IST
© David Hammersen/dpa
Die
Initiative „Hamburg Werbefrei“
hat ab sofort drei Wochen Zeit, die benötigten 66.000 Unterschriften
für ein erfolgreiches Volksbegehren zu sammeln. Sie hat sich selbst
ein noch ehrgeizigeres Ziel von 80.000 Unterschriften gesetzt. Per
Volksentscheid will die Initiative dafür sorgen, dass die Zahl von
Werbeflächen im öffentlichen Raum deutlich reduziert wird und
bestimmte Reklameanlagen verboten werden.
Hamburg
kann im Fall einer Olympia-Bewerbung
offenbar auf die Unterstützung der
neuen Bundesregierung zählen. Gegenüber der Sport
Bild sagte der frühere hessische
Ministerpräsident und Vorstandsmitglied des Deutschen Olympischen
Sportbundes, Volker Bouffier, der designierte Kanzler Friedrich Merz
habe zugesagt, hinter einer Bewerbung zu stehen. Auch Berlin,
München, Leipzig und die Region Rhein-Ruhr kommen als
Austragungsorte für die Sommerspiele 2040 infrage.
Die
Polizei sucht mit Fotos aus einer Überwachungskamera nach einem
Mann, der am vorvergangenen Samstag in Billstedt eine 30
Jahre alte Rollstuhlfahrerin mit einem Messer attackiert
haben soll. Er griff mutmaßlich auch einen 60 Jahre alten Mann an.
Die Fotos sind hier
(LINK: https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/6337/6018093)
abrufbar. Auf keinen Fall sollen Zeugen den Verdächtigen ansprechen,
sondern die 110 wählen.
In aller Kürze
• Im Prozess gegen einen Schrotthändler, der
den Kupferhersteller Aurubis mit
Wucherpreisen um einen Millionenbetrag betrogen haben soll, fordert
die Staatsanwaltschaft fünf Jahre Haft. Die Verteidigung plädiert
auf Freispruch •
Der aus dem Iran geflohene und in Hamburg lebende Regisseur
Mohammad Rasoulof bringt die Themen
Flucht und Exil auf die Theaterbühne. Mitte Juni wird seine
Inszenierung Destination: Origin
in Berlin uraufgeführt •
Unbekannte haben laut Polizei eine Amphibien-Zaunanlage
in Moorburg auf einer Länge von vier Kilometern beschädigt. Die
Ermittler suchen nun Zeugen zu dem Vorfall
THEMA DES TAGES
© Sebastian Gollnow/dpa
Morgens: Nazi-Memes teilen. Mittags: Dein Freund und Helfer.
15
Hamburger Polizisten sollen bei WhatsApp rechtsextreme Nachrichten
getauscht haben. Auszüge der Chats, die der ZEIT vorliegen, werfen
die Frage auf: Warum zeigte niemand die Kollegen an? Lesen Sie hier
einen Auszug aus dem Artikel von Christoph Heinemann und Tom Kroll.
Keine
der Nachrichten ließ die Empfänger aufschrecken, gar etwas zu den
Vorgesetzten sagen. Nicht die sexistischen Witze, nicht die Memes mit
einem betenden Muslim in herabwürdigender Pose, nicht einmal die
Grafiken mit Soldaten der Wehrmacht an einem Maschinengewehr, wozu
geschrieben stand: „Wir entstauben unsere Waffen und stellen die
Ordnung wieder her.“
Der
Mann, der die Nachrichten versandte, war André Bäcker, ein
Polizeihauptkommissar in Hamburg,
er schickte das alles mutmaßlich an mindestens einen Kollegen über
WhatsApp. Die Wehrmachtsoldaten teilte er offenbar gleich zweimal, am
2. Oktober 2017 und 19. September 2018. Doch nicht nur der Chat
dieser beiden Beamten steht jetzt im Fokus, sondern auch mindestens
eine Chatgruppe, ermittelt wird gegen insgesamt 15
Beamte, die rechtsextreme Nachrichten ausgetauscht haben sollen.
Über Jahre ging das nach dem Verdacht interner Ermittler so, von
2016 bis 2021, aber niemand, der das mitbekam, konterte offenbar oder
schrieb wenigstens „Hör auf mit dem Unsinn“.
Wie
kann das sein? Erst recht unter Polizisten, die in ihrem Eid
geschworen haben, das Gesetz zu verteidigen?
Skandale
um rassistische Chatgruppen von Polizisten häufen sich seit Jahren
im gesamten Bundesgebiet, und auch in diesen anderen Fällen blieben
die Nachrichten teilweise länger unentdeckt. In Essen wurden im Jahr
2020 29 Polizisten wegen rassistischer, antisemitischer und
NS-verherrlichender Posts zunächst suspendiert. Auch in Lahr,
Münster und Sachsen-Anhalt flogen Chatgruppen auf. In
Nordrhein-Westfalen nannten sich junge Beamte „Secret Hitler Crew“.
In Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg gab es
selbst Fälle an Polizeischulen.
Auch
im Fall André Bäcker, der eigentlich anders heißt und inzwischen
im Ruhestand ist, sind die Chats nur aufgeflogen, weil der Beamte,
dem er mutmaßlich die Memes und Grafiken mit den Wehrmachtsoldaten
schickte, vor wenigen Jahren wegen einer anderen Straftat in das
Visier der Staatsanwaltschaft geriet. Die Ermittler stellten damals
sein Handy sicher und stießen dabei auf die Chats und noch mehr
Beamte, die in den Gruppen waren. Bei einem weiteren Hamburger
Polizisten, der ebenfalls Ärger mit der Justiz hatte, war es
ähnlich.
Worauf
die Ermittler in den Chatprotokollen gestoßen sind, warum
Polizeiforscher eine „Mauer des Schweigens“ sehen und wieso
unsicher ist, ob die Verdächtigen bestraft werden, lesen Sie in der
ungekürzten Fassung auf ZEIT ONLINE.
DER SATZ
© Jochen Tack/dpa
„Der
größte Auftraggeber von allen fragt bislang kaum grünen Stahl
nach: der deutsche Staat.“
Der
Staat fördert den klimafreundlichen Umbau der Stahlindustrie mit
Milliarden Euro, in Hamburg wird der grüne Stahl beim Bau der neuen
U-Bahn-Linie 5 verwendet. Warum das noch eine Seltenheit ist,
beschreibt die ZEIT-Redakteurin Ricarda Richter in der Rubrik „Womit
keiner rechnet“ – den
ganzen Artikel lesen Sie hier.
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In
der letzten Aprilwoche erinnern die Armenier an den versuchten
Genozid 1915 an ihrem Volk. Die Journalistin Laura Cwiertnia erzählt
in ihrem Roman Auf
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die Geschichte einer armenischen Familie über vier Generationen.
In einer szenischen Lesung im MalerSaal des Schauspielhauses
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„Auf
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26.4., 20 Uhr; MalerSaal, Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Tickets
gibt es hier
MEINE STADT
Genuss pur © Ulrike Ellmer
HAMBURGER SCHNACK
In
der U3 vom Borgweg Richtung Schlump. Plötzlich werden in kurzen
Abständen Stationen angesagt, die wir längst passiert haben. Auch
die Infoscreens zeigen die falschen Bahnhöfe an. Amüsierte Blicke,
leichte Verwirrung. Da schaltet sich der Zugführer ein: „Meine
Damen und Herren, vertrauen Sie dem System im Moment nicht. Es spinnt
herum. Ich guck mal, ob ich das irgendwie reparieren kann. Wenn
nicht, wird’s lustig!“
Gehört
von Katja Fülscher
Das war
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