blickfeld: Welcher Begriff von der Holsteiner Treppe hat Ihnen am meisten zugesagt?
Karin Röhrich: Ich habe mich für Begeisterung entschieden, weil sie für mich sehr viel bündelt. Ich bin jemand, bei dem man schnell Begeisterung entfacht und ich bin auch jemand, der das schnell bei anderen tun kann. Mich begeistert insbesondere die Arbeit in der Bibliothek, aber mich begeistert auch Wuppertal. Auf der Treppe stehen auch viele Begriffe mit negativer Konnotation, aber ich gehe immer vom Besten aus, ohne Probleme kleinzureden oder auszublenden.
blickfeld: Was begeistert Sie ganz besonders an Wuppertal?
Karin Röhrich: Ich mag an Wuppertal ganz doll, dass ich es so gut kenne. Ich bin gebürtige Remscheiderin, aber Wuppertal begleitet mich schon mein ganzes Leben lang. Das fing schon in der Schule an, als ich mich als Jugendliche allmählich aus dem eigenen Dunstkreis herausbewegt habe. Wuppertal war für uns das Ausgehziel, das Einkaufsziel und auch das Ziel für Kultur. Ich habe mich später entschieden, hier zu studieren, weil ich noch aus der Schulzeit diese Bindung hatte. Die Topografie hat mich tatsächlich auch begeistert – die Höhen und die Tallage. Ich mag die Gegensätze zwischen ganz urban, etwa wenn man zum Ölberg oder über den Rott geht und ganz viel Natur drumherum. Diese Chance, Natur immer um sich herum zu haben und gleichzeitig doch in der Großstadt zu sein, das finde ich ganz reizvoll.
blickfeld: Wie würden Sie Ihren persönlichen Beitrag zu Wuppertal beschreiben?
Karin Röhrich: Mein Mann und ich sind hierher gezogen, ich bin Mitglied im Rotary-Club Wuppertal-Süd, an dem ich besonders die Hands-On-Aktionen mag. Neben meiner Funktion als Bibliotheksleitung bin ich auch Mitglied der Stadtverwaltung in der ganzen Vielfalt ihrer Aufgaben. Ich besuche sehr gern die vielen kulturellen Angebote der Stadt und fühle mich als Netzwerkerin für Wuppertal.
Die Zentralbibliothek Wuppertal – Foto: mw
„Die Bibliothek ist ein absolut konsumfreier Ort“
blickfeld: Und welchen Beitrag leisten Sie als Leiterin der Stadtbibliothek?
Karin Röhrich: Die Bibliothek leistet einen wichtigen Beitrag zur Teilhabe – an zehn Standorten sind wir da, um die Menschen möglichst niedrigschwellig zu erreichen: Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Senioren – egal, welcher Herkunft, welchen Alters, welcher Orientierung. Ich weiß nicht, ob das so klar ist: die Menschen können einfach in unsere Standorte reingehen und alles nutzen – sie müssen dafür keine Bibliothekskarte haben, die Bibliothek ist ein absolut konsumfreier Ort. Das ist ein sehr hohes Gut in der Innenstadt und in den Quartieren. Bei uns kann man einfach da sein und das ist ein großer Beitrag, den wir für Wuppertal leisten. Mit Teilhabe ist natürlich auch gemeint, dass wir den Zugang zu Informationen und Medien bieten, Leseförderung machen und auch Beratung zu neuen technischen Errungenschaften. Man kann seine Schallplatten digitalisieren, Schach spielen, es gibt Gaming-Events für Jugendliche. Das sind nur einige Beispiele.
blickfeld: Eine Kooperation zwischen der Stadtbibliothek und der Westdeutschen Zeitung läuft unter dem Slogan: Nur Lesen war gestern, heute ist Abenteuer, heute ist Vielfalt. Könnten Sie das etwas aufschlüsseln?
Karin Röhrich: Die Bibliothek ist kein Ort, an dem nur Bücher aufbewahrt werden. Die Bibliothek ist dazu da, um Dinge zu erleben, die Fantasie anzuregen, die Menschen auf eine Reise zu schicken, entweder durch die Medien, die wir anbieten, oder durch unsere Angebote.
Zum Beispiel kommt vormittags eine Schulklasse oder eine KiTa-Gruppe oder beides hierher und dann machen wir mit den Mädchen und Jungen ein Bilderbuchkino. Die Kolleginnen digitalisieren ein ausgewähltes Buch, zeigen die Bilder und lesen dazu vor. Auch das meint: Nur Lesen war gestern. Wir versuchen, alle Sinne anzusprechen.
Karin Röhrich – Foto: Stadtbibliothek Wuppertal
Wuppertaler Stadtbibliothek als dritter Ort „neben dem Zuhause und dem Arbeits-, Ausbildungs- oder Studienplatz“
Wir sagen, dass wir uns zu einem dritten Ort neben dem Zuhause und dem Arbeits-, Ausbildungs- oder Studienplatz entwickeln. Wir möchten den Menschen anbieten, bei uns zu sein. Und weil wir wissen, dass es immer Menschen gibt, die nicht zu uns kommen, weil ihre Mobilität eingeschränkt ist oder weil sie sich nicht trauen, wollen wir ab 2025 verstärkt versuchen, mit der Bibliothek an andere Orte zu gehen. In den Sommerferien 2024 haben wir das schon ausprobiert, dass die Kollegen mit dem Lastenfahrrad auf Spielplätze gefahren sind. Jetzt wollen wir mit einem Bücherrucksack in Altenheime gehen, zu Menschen, die nicht mehr zu uns kommen können. Und das ist etwas, was wir übers Ehrenamt machen.
blickfeld: Man findet in der Zentralbibliothek am Nachmittag kaum einen freien Tisch, ich weiß nicht, ob das allgemein so bekannt ist.
Karin Röhrich: Das ist eins unserer großen Themen: Wir brauchen unter anderem einen größeren Standort, um den Bedarf bei den Menschen zu erfüllen. Einer der Kollegen aus der Bibliotheksleitung sagt immer: Es gibt drei wesentliche Dinge für eine gute Bibliothek: W-Lan, Steckdose und Kaffeeautomat. Er sagt das zwar halb als Scherz, aber da ist was dran. Sie können bei uns kostenlos ins Internet gehen, auch wenn Sie zu Hause kein eigenes Endgerät haben, und diese Nachfrage steigt bei uns stetig. Insbesondere, um in Ruhe zu lernen oder zu arbeiten.
blickfeld: Und dass die Bibliothek ein konsumfreier Ort ist, macht sich sehr schnell bemerkbar. Das fängt schon bei einer kostenlosen Toilette an…
Karin Röhrich: Ein ganz wichtiges Thema tatsächlich…
blickfeld: … oder bei Ihrem kostenlosen Kaffeeautomaten, der auf Spendenbasis funktioniert.
blickfeld-Reihe „Talgesichter“
Holsteiner Treppe – Foto: xedel
In unserer Reihe „Talgesichter“ interviewt die blickfeld-Redaktion Wuppertaler Persönlichkeiten, die kulturell, sozial oder auf anderer Ebene zum gesellschaftlichen Miteinander in unserer Stadt beitragen. In den Beiträgen sprechen wir mit ihnen über ihr Engagement und über die Zukunft der Stadt.
Die bunte „Holsteiner Treppe“ in Elberfeld dient als verbindendes Element der Reihe. Ihre 112 Stufen verbalisieren Emotionen, die an der Stirnseite in Versalien des Schrifttyps „Humanist“ montiert sind. Geschaffen wurde das Kunstwerk mit dem Namen „SCALA – Der Gefühle“ vom Düsseldorfer Künstler Horst Gläsker. Die Gesprächspartner:innen der Reihe wählen vorab einen der dort abgebildeten Begriffe, der im Beitrag vertieft wird.
Die Reihe wird im gesamten Jahr 2025 fortgesetzt. Die blickfeld-Redaktion freut sich über Vorschläge für Wuppertaler Persönlichkeiten sowie auf Initiativen von Bürger:innen, die selbst Porträts im Rahmen der Reihe „Talgesichter“ veröffentlichen möchten. Interessierte können sich hierzu unter redaktion (at) blickfeld-wuppertal.de melden.
blickfeld: Aber könnten Sie vielleicht noch erzählen, was so viele Menschen bei Ihnen in der Bibliothek eigentlich tun?
Karin Röhrich: Es ist ganz unterschiedlich. Die Schülerinnen und Schüler sowie Studierenden nutzen bei uns die Möglichkeit, in Ruhe etwas auf ihrem eigenen Endgerät zu machen. Es kommen immer viele Eltern und Kinder, die nicht nur Medien für Zuhause suchen, sondern auch unsere Angebote in der Kinderbibliothek nutzen, angefangen bei den Bücherbabys über den Geschichtenzug bis hin zum klassischen Vorlesen mit unseren ehrenamtlichen Lesepatinnen und -paten.
Klassische Nutzer kommen zum Beispiel nachmittags, um Zeitschriften zu lesen. Schülerinnen und Schüler machen hier ihre Hausaufgaben oder steigen in die Facharbeitsrecherche ein. Dann nutzen sie gerne die Beratung durch mein Team.
Manche Menschen tun sich bei uns zusammen, nutzen die Bibliothek als Treffpunkt. Es gibt viele weitere Angebote, die wir gemeinsam mit Kooperationspartnerinnen und -partner durchführen, etwa den Treffpunkt Deutsch, der von Ehrenamtlichen getragen wird.
Begeistert, „wie viele Menschen hier ehrenamtlich aktiv sind und wie vielfältig das ehrenamtliche Engagement ist“
blickfeld: Im kommenden Jahr sind rund 30 Prozent der öffentlichen Bibliotheken von den kommunalen Kürzungsmaßnahmen betroffen. Der Vorsitzende des Deutschen Bibliotheksverbands Volker Heller sagt dazu, dass es gerade jetzt zu Zeiten von Bildungsmisere und dem Zuwachs demokratiefeindlicher Einstellungen starke Bibliotheken braucht. Fühlen Sie sich den kommenden Herausforderungen gewachsen?
Karin Röhrich: Ich stimme Volker Heller absolut zu. Bibliotheken sind Orte gelebter Demokratie, allein dadurch, dass wir Informationen in der Breite zur Verfügung stellen, wie wir es tun. Sie können hier umfassende Informationen finden und nicht nur solche, die nur eine Richtung vorgeben. Informationsfreiheit ist ein hohes Gut unserer Demokratie. Ich bin niemand, der sich in ein Jammertal zurückzieht und sagt, oh, das ist jetzt alles so schlimm mit den Einsparungen, das erfreut den Kämmerer ja genauso wenig wie uns alle, die wir hier tätig sind. Jetzt ist Kreativität gefragt. Wir haben manchmal die Möglichkeit, Unterstützung und Geld von anderen Stellen zu bekommen, etwa durch Förderanträge beim Land, beim Bund, bei der EU, bei Stiftungen. Kooperationen sind ein großes Thema. Mich begeistert auch an Wuppertal, wie viele Menschen hier ehrenamtlich aktiv sind und wie vielfältig das ehrenamtliche Engagement ist.
Als Bibliothek haben wir zum Glück auch einen engagierten Förderverein, der uns immer wieder unterstützt. Der Förderverein hat uns zum Beispiel mit anderen Unterstützern ermöglicht, dass wir eine Bibliothek der Dinge einrichten konnten.
Die LeihBar im Erdgeschoss der Zentralbibliothek – Foto: Stadtbibliothek Wuppertal
blickfeld: Die Bibliothek ist Teil der Sharing Economy in der Stadt?
Karin Röhrich: Genau, wenn Sie die Schwebebahn backen wollen, können Sie sich die Backform dazu hier ausleihen. Das finde ich sowieso wichtig, dass die Dinge, die man nur zwei oder drei Mal im Jahr braucht, bei uns ausgeliehen werden, anstatt dass sie in vielfacher Ausführung im Schrank stehen und überwiegend verstauben. Das hat etwas mit Ressourcenschonung zu tun. Und die Leihbar-Mini in der Kinderbibliothek schont nicht nur die Ressourcen und den Geldbeutel, sondern ermöglicht Familien auch Teilhabe. Wuppertal hat eine Bevölkerungsstruktur, in der es im Vergleich zu NRW überdurchschnittlich viele Kinder gibt, die in Familien mit Bürgergeld-Bezug leben. Hier ermöglichen wir Chancengleichheit übers Verleihen. Familien können zum Beispiel neue Spiele leihen, um einfach auch als Kind oder Heranwachsender Dinge auszuprobieren und dadurch vielleicht die eigenen Fähigkeiten zu entdecken. Das ist mir total wichtig.
Stadtbibliothek als Beitrag, „die Innenstadt attraktiver zu machen“
blickfeld: Was möchten Sie für Wuppertal verändern?
Karin Röhrich: Ich würde gerne den Standort der Zentralbibliothek verändern. Damit würde ich gerne dazu beitragen, die Innenstadt attraktiver zu machen. Das ist mir ein großer Herzenswunsch und das ist etwas, was wir als Bibliothek aktiv tun könnten. Ich sage mal als Stichwort Bibliotheksgarten mitten in der Stadt, die Bibliothek als Ort, wo Sie vielleicht im Sommer reinkommen, weil es Ihnen draußen zu heiß ist, die Bibliothek als Wohnzimmer der Stadt.
Unabhängig von der Bibliothek: Als Fan des öffentlichen Nahverkehrs und des Fahrradfahrens würde ich mir wünschen, dass der andiskutierte Fahrradrundweg realisiert wird. Eine Verbindung zwischen der Nordbahn- und der Sambatrasse. Eine Verbindung von Barmen, um auf die Barmer Höhen zu kommen. Und ich würde mich auch freuen, wenn die B7 eine Perspektive hätte, die nicht von Autos dominiert ist. Und natürlich würde ich mir wünschen, dass die Menschen, die in prekären Verhältnissen leben, die Chance bekommen, in bessere Lebensverhältnisse zu kommen.
In unserem Team sind wir uns alle einig: Wir stehen für Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit. Das ist ein Begeisterungsthema und bei allen Kolleginnen und -kollegen hier spürt man die Begeisterung für das, was sie tun. »ge«
Das Gespräch führte Evgenia Gavrilova
Kurzinfo: Stadtbibliothek Wuppertal