Man könnte sagen, Christoph Reiser hat das Handwerk in die Wiege gelegt bekommen. Immerhin ist sein Vater schon lange als Steinmetz und Bildhauer mit eigenem Betrieb tätig.
„Da habe ich immer wieder ausgeholfen“, erinnert sich der 23-jährige. Gedrängt habe ihn sein Vater nie. Und doch ist auch er ins Handwerk eingestiegen, begann ein Steinbildhauerlehre.
Reiser holt den Bundessieg
Dabei war er ziemlich erfolgreich. Nicht nur schloss Reiser im vergangenen Jahr seine Ausbildung mit der Note 1,1 im praktischen Bereich ab. Im Herbst holte er mit seinem Gesellenstück – einem Adler als Wasserspeier – den ersten Platz unter allen Steinbildhauer-Azubis in der Region Stuttgart.
Später kürte in eine Jury sogar zum Landessieger. Doch da war für Reiser noch nicht Schluss. Der Landessieg war eine Qualifikation für den Bundeswettbewerb in Halle an er Saale.
Ohne großen Druck sei er dorthin gereist, erinnert Reiser sich. Dort sah er sich einem Sandsteinblock gegenüber. Aus diesem sollte er innerhalb von sechs Stunden eine Blattmaske klopfen. „Das war anspruchsvoll“, so Reiser. Es gehe um Schnelligkeit und Kreativität.
Und die Umsetzung gelang Reiser wohl am besten. Denn die Jury kürte ihn zum Bundessieger. „Aus dem Häuschen“ seien seine Eltern und sein Chef gewesen, als er ihnen am Telefon vom Erfolg erzählte. Er selbst natürlich auch. Und vor wenigen Wochen wurde er sogar von Bürgermeister Markus Wendel im Gemeinderat geehrt.
Handwerk statt Studium
Seine Ausbildung hat Reiser bei Steudle Natursteine in Weil der Stadt absolviert. Nach dem Abitur 2020 am Hermann-Hesse-Gymnasium war für ihn schnell klar, dass er eine handwerkliche Ausbildung machen möchte. Ein Studium – zumal während der Pandemie – habe ihn nicht gereizt. „Mit einer Lehre macht man nichts falsch“, findet er. Lieber etwas Handfestes, als „blind in irgendein BWL-Studium zu gehen“.
Sein Ausbildungsbetrieb sei familiär gewesen. Reiser hat sich wohlgefühlt – und offensichtlich viel gelernt. „Mein Chef ist emphatisch und hat mir gute, konstruktive Kritik gegeben“, so Reiser. Gefallen hat ihm auch die Berufsschulzeit in Freiburg, wo er viele neue Freunde gefunden habe. Einer davon begleitete ihn nach Halle – und holte ebenfalls den Bundessieg, aber in der Kategorie der Steinmetze.
Wie ein Kunstwerk entsteht
Der Adler, den Reiser als Gesellenstück fertigte, hängt bei seinen Eltern am Haus. Bis der fertig war, musste Reiser viel Arbeit investieren.
Erst modellierte er den Vogel in Ton, dann fertige er ein Gipsmodel. Auf dessen Grundlage übertrug er die Fixpunkte auf den Stein, den er bearbeitete. Erst grob mit der Flex, dann feiner mit Hammer und Meisel. Durch grobe und feine Spitzhiebe gelang ihm, dem Stein eine Struktur zu geben, die nach Gefieder aussieht.
Besonders den filigranen Schnabel herauszuarbeiten, sei schwierig gewesen. „Da hat man nur eine Chance“, sagt er. Und mehr brauchte er auch nicht.
Freiheit ist ihm wichtig
Dass er einen Adler als Motiv gewählt hat, ist kein Zufall. Reiser ist Fan der Frankfurter Eintracht. Deren Wappentier ist ein Adler. Aber er sieht noch weitere Parallelen. „Der Adler steht für Weitsicht und Freiheit“, sagt Reiser. Und Freiheit ist ihm wichtig.
Obwohl es ihn in seinem Ausbildungsbetrieb gut gefallen hat, hat er einen neuen Pfad eingeschlagen. Er war zum Arbeiten in der Schweiz, für ein Erasmus-Projekt in der Toskana und reiste in die USA.
Der Bundessieg gebe ihm die Möglichkeit, auf der ganzen Welt Arbeit zu finden, sagt er. Die Auszeichnung sei ein Alleinstellungsmerkmal, deutsches Handwerk weltweit respektiert. „Ich habe die Freiheit, ein selbstständiger Handwerker zu sein“, ist Reiser glücklich. So könne er seine ganz eigene Walz machen, reisen und arbeiten. Vielleicht mache er in ein paar Jahren seinen Techniker und Meister. Bis dahin genießt er seine Freiheit.
Unter die Autoren gegangen
Zudem ist Reiser unter die Autoren gegangen und hat ein Buch geschrieben. Es heißt „Mentalismus“ und dreht sich um „unsere Psyche“, so Reiser. „Es geht darum, unser kollektives Bewusstsein aufs nächste Level bringen“, sagt er.
Die Idee zum Buch sei ihm bei seinem Aufenthalt in der Toskana gekommen. Dass er als Handwerker jetzt auch noch Bücher schreibt, ist für ihn kein Widerspruch. „Bei beidem geht es darum, etwas zu hinterlassen. Das eine eher klar formuliert, wohingegen im Stein mehr mit Symbolen übermittelt wird“, erklärt Reiser. Er hat schon 50 Exemplare verkauft.