Der Kampf der Nationalverbände um Fußballtalente hat sich durch den gesellschaftlichen Wandel verschärft. Fast die Hälfte der deutschen Fünfjährigen besitzt einen zweiten Pass. Der DFB denkt über eine wegweisende Idee nach.

Am Freitag (20.45 Uhr/RTL live) trifft die deutsche Nationalmannschaft in der WM-Qualifikation auf Luxemburg. Die DFB-Elf will mit einem Sieg beim Fußball-Zwerg und drei Tage später in Leipzig gegen die Slowakei das Ticket für die Weltmeisterschaft 2026 sichern.

Das große Ziel für die nahe Zukunft ist gesetzt. Doch der Verband richtet den Blick weiter, um sich auch in den kommenden Jahren im Wettbewerb mit anderen Nationen zu behaupten. Schon in der Vergangenheit hatte der DFB – meist erfolgreich – um seine größten Talente gekämpft. Allerdings tummeln sich auch in anderen Nationalmannschaften Spieler, die in Deutschland über Jahre ausgebildet wurden. Ein Fakt, in dem DFB-Geschäftsführer Andreas Rettig Ungerechtigkeit und womöglich auch wirtschaftliches Potenzial erkennt.

So prüft der Verband nun, ob es bei Nationalmannschafts-Wechseln von Talenten die Möglichkeit auf Entschädigungszahlungen gibt. „Es erschließt sich mir überhaupt nicht, warum ein Spieler, der über fünf Jahre in erster Linie bei seinem Verein, aber dann auch bei dem Verband als Juniorpartner ausgebildet wurde, zum Nulltarif den Nationalverband wechseln kann“, sagt Rettig.

Andreas Rettig fordert Fairness ein

„Wir prüfen derzeit, ob es die Chance auf Ausbildungsentschädigungen beim Nationalverbandwechsel gibt. Dieses Thema ist bislang noch nicht im großen Umfang angegangen worden. Aber Ausbildung muss sich eben für beide Seiten lohnen, den Auszubildenden und den Ausbilder“, führte Rettig im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur aus.

Der Wechsel von Talenten ist nicht neu, aber durch den gesellschaftlichen Wandel wird dieses Thema immer größer. „In Deutschland besitzen 43 Prozent der unter Fünfjährigen eine doppelte Staatsangehörigkeit. Wenn sie zehn oder zwölf Jahre älter sind, können sie sich entscheiden: Ist mir der Adler lieber als beispielsweise der Halbmond?“, sagte Rettig. „Wir haben im Verband die Kaderlisten von der U15 bis zur U21 analysiert: Dort liegt der Anteil deutlich über den genannten 43 Prozent. Es gibt Jahrgänge, in denen sieben oder acht Spieler in der Startelf zwei Pässe besitzen.“

Neu ist das Werben um die Stars von Morgen nicht. Aber das Ausmaß der Nationalitätenfrage nimmt in den Multi-Kulti-Gesellschaften zu. „Jetzt verschärft sich das in einem Land wie Deutschland, in dem wir zum Glück diese kulturelle Vielfalt haben. Diese Vielfalt bringt aber auch die Wahlmöglichkeiten mit sich: Spieler können für das Land der Mutter, des Vaters oder sogar für eine dritte Option antreten“, sagte Rettig.

Jamal Musiala, der vor und nach zwei U16-Länderspielen für den DFB mit überschaubarem Erfolg in Nachwuchsteams der Three Lions auflief, entschied sich zum Beispiel als ein ganz großer Star für Schwarz-Rot-Gold. Bayern-Verteidiger Josip Stanisic (Kroatien), Juve-Star Kenan Yildiz oder Frankfurts Sturm-Talent Can Uzun (beide Türkei) etwa zogen andere Auswahltrikots vor.

Im aktuellen Aufgebot der deutschen U21, die in der EM-Qualifikation am Freitag in Fürth gegen Malta und vier Tage später in Georgien antritt, steht eine Reihe von Spielern, die mehr als eine Option haben. Drei Beispiele: Bei Stürmer Nicolo Tresoldi vom Champions-League-Club FC Brügge wurde wiederholt spekuliert, ob er künftig für Italien oder weiter für Deutschland aufläuft. Torhüter Mio Backhaus (Werder Bremen) darf mit einer WM-Teilnahme für Japan liebäugeln. Und der Wolfsburger Stürmer Dzenan Pejcinovic kann sogar zwischen Deutschland, Montenegro und Bosnien und damit drei Optionen wählen.

Am Wochenende hatte der in Berlin geborene Leverkusener Ibrahim Maza angekündigt, für Algerien spielen zu wollen. „Deutschland hat großartige Spitzenspieler auf dieser Position. Es wäre sehr schwer für mich, dort zu spielen. Ich dachte, auf der Position des Spielmachers wäre es sehr schwierig, Spielzeit zu bekommen. Mein Ziel war es, an der Weltmeisterschaft teilzunehmen. Auf dieser Position, mit Spielern wie Musiala, Wirtz und anderen, dachte ich, dass ich – rein sportlich betrachtet – bessere Chancen hätte, mit Algerien bei der Weltmeisterschaft zu spielen“, begründete der Nachwuchsspieler, der in mehreren Juniorenteams des DFB ausgebildet wurde.

Eine Erklärung, zu der sich auch Bundestrainer Julian Nagelsmann am Montag geäußert hatte: „Das Thema werden wir noch öfter haben. Er ist ein sehr guter Spieler. Wir akzeptieren seine Entscheidung. Nationalmannschaft hat nichts damit zu tun, dass ich als Spieler das Gefühl habe: ,Will ich da spielen, oder will ich da nicht spielen.‘ Es geht darum, ob ich stolz bin, für das Land zu spielen oder nicht. Und nicht darum, ob ein Musiala da spielt oder ein Wirtz. Ich bin stolz darauf, für mein Land zu spielen.“