Der manövrierunfähige Öltanker "Eventin".

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Stand: 11.11.2025 11:37 Uhr

Seit Monaten liegt die Eventin vor Rügen, der Öltanker wird Russlands Schattenflotte zugerechnet. Die Sorge wächst, dass aus dem Schiff Öl austreten könnte. Doch laut NDR-Recherchen wird die Eventin vorerst nicht in einen Hafen gebracht.

Von Alexa Höber, Henning Strüber, Martina Rathke, NDR

Im Januar trieb die Eventin nach einem Maschinenschaden manövrierunfähig und unbeleuchtet auf der Ostsee auf Rügen zu. Der Öltanker wird der sogenannten russischen Schattenflotte zugerechnet und hat nach Angaben von Behörden knapp 100.000 Tonnen Öl geladen. Der deutsche Zoll beschlagnahmte die Eventin. Das Bundesfinanzministerium begründete diese Maßnahme gegenüber dem NDR mit Sanktionsbestimmungen der EU.

Notschlepper zogen die Eventin im Januar an einen Liegeplatz vor Sassnitz, östlich der Insel Rügen. Dort liegt das Schiff bis heute. Doch warum ändert sich seit Monaten nichts an der Situation? Carmen Kannengießer, Kreistagsabgeordnete der Wählergemeinschaft für Rügen, kritisiert, die Bundesregierung gehe sehr lax mit der Situation um und bringe die Bevölkerung in ziemliche Ängste. Ganz in der Nähe des Liegeplatzes der Eventin liegen der Nationalpark Jasmund und die berühmte Kreideküste Rügens.

Komplizierte Rechtsfragen

Der deutsche Zoll nahm wohl an, er könne nach der Beschlagnahmung das Schiff und das geladene Öl schnell verwerten. Doch dagegen wehrte sich der bisherige Eigner des Schiffes, die Laliya Shipping Corp., eine Gesellschaft, die auf den Marschallinseln registriert ist. Sie reichte Klage beim Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern ein.

Laut NDR-Recherche argumentiert sie, der Zoll habe keine rechtliche Grundlage für die Beschlagnahmung der Eventin gehabt, da sich an Bord kein sanktioniertes Öl befinde. Es handele sich bei der Ladung entgegen der Angaben auf dem Frachtbrief nicht um Schweröl, das von EU-Sanktionen erfasst sei, sondern um raffiniertes Öl, das nicht unter die EU-Sanktionen falle. Außerdem sei die Eventin nicht absichtlich, sondern infolge des technischen Defekts in deutsche Hoheitsgewässer geraten.

Es habe daher keine willentliche Einfuhr von russischem Öl ins deutsche Küstenmeer gegeben. Somit liege auch kein Sanktionsverstoß vor. Jedes Schiff könne sich zudem während einer Havarie auf das Nothafenrecht berufen. Die komplizierten Rechtsfragen ließen sich am Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern nicht klären. Mittlerweile beschäftigt sich der Bundesfinanzhof mit dem Fall. Eine Entscheidung wird es wohl frühestens Ende des Jahres geben. „Bis zur gerichtlichen Entscheidung haben weitere Vollzugsmaßnahmen zu unterbleiben“, so das Bundesfinanzministerium gegenüber dem NDR.

Eigentümerfirma klagt auch gegen die EU

Die Recherche zeigt jetzt, dass der bisherige Eigentümer der Eventin am 25. April noch eine weitere Klage eingereicht hat und von der Anwältin Henrike Koch aus Hamburg vertreten wird. Diese Klage richtet sich gegen den Rat der Europäischen Union. Die EU hatte die Eventin am 24. Februar als Schattentanker gelistet. Dafür gebe es keine ausreichenden Belege, so die Begründung für die Klage. Die Hamburger Anwältin beantwortete Fragen zum aktuellen Stand dieses Rechtsstreits auf EU-Ebene nicht.

Der Fall zeigt, wie schwierig es ist, auf diesem Weg die Einhaltung internationaler Umwelt- und Sicherheitsstandards zu gewährleisten. Insbesondere alte Öltanker wie die 19 Jahre alte Eventin stellen ein erhebliches Risiko für die Meere dar. Sie gelten als Substandard-Schiffe, da sie meist schlecht gewartet sind. Besonders problematisch ist, wenn sie in ökologisch sensiblen Seegebieten wie der Ostsee unterwegs sind.

Nach dem internationalen Seerecht ist Deutschland verpflichtet, Umweltgefahren zu minimieren, die sich durch die Schifffahrt für die Ostsee ergeben. Die Internationale Seeschifffahrts-Organisation hat weltweit 17 Meeresgebiete als besonders empfindlich definiert. Dazu zählt die UN-Unterorganisation auch die Ostsee.

Das Internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (MARPOL) erlaubt Staaten, in solchen sensiblen Seegebieten besondere Maßnahmen zu deren Schutz zu ergreifen. Darunter fallen auch Einschränkungen für Öltanker.

Auch das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) verpflichtet alle Staaten, insbesondere aber Küstenstaaten, aktiv Maßnahmen zum Schutz der Meeresumwelt zu ergreifen.

Umgang mit Risiko-Schiffen

Genau hier versuchen Julian Pawlak und sein Team anzusetzen. Pawlak ist akademischer Koordinator des interdisziplinären Forschungsschwerpunktes Maritime Sicherheit (iFMS), einer Kooperation mit dem Bundesministerium der Verteidigung (BMVg). In den kommenden Tagen soll veröffentlicht werden, welche Möglichkeiten internationales Seerecht bietet, den hohen Umweltrisiken durch Substandard-Schiffe zu begegnen.

Einer der wenigen, die den Öltanker Eventin aus nächster Nähe gesehen haben, ist der Schiffsingenieur Patrick Gielow. Er hat den technischen Zustand des Tankers überprüft. Das Ergebnis fiel positiv aus. Die Eventin sei in einem „wirklich guten technischen Zustand“. Dennoch, so Gielow, bleibe ein Restrisiko.

Greenpeace warnt vor Worst-Case-Szenario

Die Umweltorganisation Greenpeace warnt vor der Gefahr eines Ölaustritts aus der Eventin und gab beim renommierten Helmholtz-Zentrum Hereon Simulationen in Auftrag. Welches Öl die Eventin genau geladen hat, ist bisher nicht öffentlich bekannt. Daher wurde mit verschiedenen Ölsorten und jeweils unterschiedlichen Strömungs- und Windverhältnissen simuliert.

Der „Worst-Case“: Bei Wetterlagen vergleichbar der starken Sturmflut im Oktober 2023 vor Rügen könnte das Öl innerhalb kurzer Zeit die nahegelegene Küste erreichen, und das bei Bedingungen, unter denen eine frühzeitige Ölbekämpfung kaum möglich wäre.
Zur Ölausbreitungs-Simulation des Helmholtz-Zentrums Hereon wollte sich die Generalzolldirektion nicht äußern und verwies auf das laufende Gerichtsverfahren.

Die Bewertung der Seesicherheit und Gefährdungslage durch die zuständigen Sicherheitsbehörden erfolge aber fortlaufend, wobei insbesondere mögliche Wetterentwicklungen stets berücksichtigt würden.