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Die globale Machtfrage ist offen, große Mächte wie die USA und Russland wollen ihre Sphären erweitern. Experte Tim Marshall sieht ein geopolitisches Drama – und erklärt die Hintergründe.
Die friedlichen Zeiten scheinen vorbei, Macht wird global immer mehr zur entscheidenden Währung. Russland will die Ukraine unterwerfen, unter Donald Trump scheinen nun die USA auf Expansionskurs gehen zu wollen. Trump will Grönland tatsächlich als Teil der Vereinigten Staaten sehen, warnt Tim Marshall, renommierter Experte für Geopolitik und Autor von Bestsellern wie „Die Macht der Geographie im 21. Jahrhundert“.
Wie geht Trump vor? Was steckt hinter seinen Äußerungen zu Kanada und Gaza? Warum will Russland die Ukraine kontrollieren? Und welche Rolle spielt die Geografie in der Geopolitik? Diese Fragen beantwortet Tim Marshall im Gespräch.
t-online: Herr Marshall, alte Krisen flammen rund um den Globus auf, neue Konkurrenzkämpfe gesellen sich hinzu. Sieht so die neue Weltordnung aus, in der Macht die zentrale Währung ist?
Tim Marshall: Wir haben ein neues Zeitalter betreten, das geopolitische Drama ist schon seit einiger Zeit im Gange. Diverse Großmächte rivalisieren miteinander, kleinere Staaten wollen gerne mitmischen. Die alte Weltordnung bröckelt, das macht die Menschen ziemlich nervös. Aus verständlichen Gründen, denn über Generationen hatten sie sich an eine gewisse Stabilität gewöhnt. Aber solche Verschiebungen von Macht und Ordnung, wie wir sie gerade erleben, hat es schon immer gegeben. Es wird auch in Zukunft so sein.
Haben wir bis vor kurzer Zeit also in einer Art historischen Anomalie gelebt?
Das trifft zu. Der Kalte Krieg war von einer Bipolarität zwischen den USA und der Sowjetunion geprägt, dann gab es einen kurzen unipolaren Moment der Vereinigten Staaten. Damit ist es jetzt vorbei. Nun tritt wieder der Fall ein, der in der menschlichen Geschichte der Normalfall gewesen ist: Unterschiedliche Akteure versuchen ihre Machtansprüche durchzusetzen: Weltreiche entstehen, Weltreiche brechen zusammen, Bündnisse werden geschlossen, irgendwann lösen sie sich wieder auf. Damit haben wir es jetzt zu tun.
Tim Marshall, 1959 in Leeds geboren, ist britischer Journalist, Autor und Experte für Außen- und Geopolitik. Marshall hat internationale Bestseller wie „Die Macht der Geographie“ und „Die Macht der Geographie im 21. Jahrhundert“ veröffentlicht, 2023 erschien sein Buch „Die Geografie der Zukunft. Wie der Kampf um Vorherrschaft im All unsere Welt verändern wird„.
Geopolitik ist mittlerweile ein viel benutztes politisches Stichwort. Sie haben mehrere Bücher – wie „Die Macht der Geographie im 21. Jahrhundert“ – zu diesem Thema geschrieben und weisen auf die besondere Bedeutung der Geografie hin.
Die Geografie ist ein oft unterschätzter, aber ein entscheidender Faktor. Denn die Geografie entscheidet darüber, was Politiker erreichen können – und was nicht. Jeder Staat hat eine geografische Ausgangssituation, von der er sich nicht freimachen kann. Eine Inselnation wie meine Heimat Großbritannien hat andere Voraussetzungen als ein kontinentaler Staat wie Russland. Gebirge und Wüsten, Meere und Flüsse, aber auch Straßen, Brücken, Flugplätze, Eisenbahnlinien und Pipelines sind enorm wichtige Faktoren.
Nun hat Donald Trump international reichlich Aufregung mit seinen Äußerungen etwa zu Grönland, Kanada und Gaza verursacht. Was steckt dahinter?
Gehen wir einmal der Reihe nach durch: Kanada ist einfach, Trump machte sich über den früheren Premier Justin Trudeau lustig, indem er ihn als „Gouverneur“ tituliert hat. Für Trump war das ein Witz. Ein fragwürdiger Humor, aber eben Humor. Wir sollten Trump todernst nehmen, aber nicht immer wörtlich.
Wie ist dann die Umbenennung des Golfs von Mexiko in „Golf von Amerika“ zu verstehen?
Was wir Briten den „English Channel“ nennen, ist für die Franzosen „La Manche“ und für euch Deutsche der „Ärmelkanal“. Für uns Briten sind es die „Falklandinseln“ im Südatlantik, die Argentinier bezeichnen sie als „Islas Malvinas“, die Chinesen nennen das „Südchinesische Meer“ einfach „Südmeer“, für die Philippinen ist es das „Westphilippinische Meer“. Worauf will ich hinaus? Jedes Land, jeder Staat hat bestimmte Bezeichnungen für geografische Regionen. Trump konnte es wohl einfach nicht akzeptieren, dass der „Golf von Mexiko“ so hieß. Wir sollten das nicht überbewerten. Klar, Trump ist streitlustig, aber brisant wird es eher an anderer Stelle.
Womit wir bei Grönland angelangt sind?