Die Bundesbank kritisiert die Regierung für ihren ausschweifenden Umgang mit den Staatsfinanzen. Schon in wenigen Jahren würde der Schuldenstand so auf ein bedenkliches Niveau steigen. Auch ein Drei-Stufen-Plan, zurück zu soliden Staatsfinanzen, wird präsentiert.
Die aktuelle Bundesregierung kann finanziell aus dem Vollen schöpfen. Seit der Reform der Schuldenbremse hat sie einen Spielraum, von dem die Ampel-Koalition nur träumen konnte. Allerdings nutzt sie diesen weidlich aus und droht damit, die Staatsfinanzen auf Dauer zu zerrütten, wenn es bei der aktuellen Rechtslage bleibt. Schon in wenigen Jahren würde sich der Schuldenstand Richtung 100 Prozent der Wirtschaftsleistung bewegen.
Die Bundesbank schlägt daher Alarm und fordert eine neuerliche, grundlegende Reform der Schuldenbremse. Am Dienstag hat sie dazu ein Konzept vorgelegt. Es beinhaltet einen Drei-Stufen-Plan, der zurück zu soliden Staatsfinanzen führen soll. Gleichzeitig soll er dem Bund aber auch neue Möglichkeiten der Finanzierung geben, allerdings in Abhängigkeit von der Wirtschaftslage und der Gesamtverschuldung.
Am 18. März hatte der Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Grünen eine Änderung des Grundgesetzes beschlossen. Dadurch wurde ein neuer Schulden-Sondertopf, genannt Sondervermögen, in Höhe von 500 Milliarden Euro geschaffen. Über eine Laufzeit von zwölf Jahren sollen damit zusätzliche Investitionen in Infrastruktur und Klimaneutralität finanziert werden. Zudem dürfen Verteidigungsausgaben, die ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) übersteigen, in unbegrenzter Höhe auf Kredit finanziert werden. Schließlich wurde den Ländern eine strukturelle Neuverschuldung in Höhe von 0,35 Prozent des BIP pro Jahr eingeräumt.
All diese Maßnahmen unterstützt die Bundesbank in ihrer nun veröffentlichten Stellungnahme ausdrücklich. „Um den großen Herausforderungen bei Verteidigung und Infrastruktur Rechnung zu tragen, gibt es nunmehr umfangreiche Verschuldungsmöglichkeiten“, heißt es darin. „Dies ist vorübergehend nachvollziehbar.“ Doch dies dürfe kein Dauerzustand werden, denn sonst drohe eine Schieflage. „Aufgrund der unbegrenzten Verschuldungsmöglichkeiten für Verteidigungsausgaben sind damit aber längerfristig weder solide Staatsfinanzen noch die Einhaltung der EU-Regeln gewährleistet.“
Denn die Bundesbank geht davon aus, dass die jährliche Neuverschuldung des Bundes aufgrund dieser neuen Regeln bis 2027 auf vier Prozent pro Jahr steigen und bis 2035 auf diesem Niveau bleiben wird. Danach, wenn das Sondervermögen aufgebraucht ist, könne sie wieder auf drei Prozent sinken. Dennoch wären die Folgen langfristig verheerend. „Die Schuldenquote steigt damit Richtung 90 Prozent 2040 und im weiteren Verlauf über 100 Prozent“, so die Bundesbank. Deutschland würde dann ein Schuldenniveau erreichen, auf dem Frankreich heute schon ist – und dieses ist bekanntlich nicht gerade nachhaltig.
Deshalb müsse das Ziel sein, langfristig wieder solide Staatsfinanzen zu erreichen, indem die Defizite auf ein tragfähiges Niveau begrenzt werden. Dass dies nicht über Nacht erreicht werden kann, ist klar. Daher fordert die Bundesbank auch nicht, nun rasch und radikal das Ruder herumzureißen. Vielmehr schlägt sie ein dreistufiges Konzept vor, das die Defizite und die Schulden planvoll und stetig reduziert, dabei aber gleichzeitig Investitionen absichert.
In der ersten Phase, die bis 2029 dauern soll, würden die derzeitigen Regeln fortgelten. Allerdings müsse dabei sichergestellt werden, dass das Sondervermögen nur für zusätzliche Investitionen verwendet wird, wie es vorgesehen war, und die zusätzlichen Kreditspielräume im Verteidigungsetat nur diesem Bereich zugutekommen. „Derzeit ist aber geplant, einen Teil anders zu verwenden“, kritisiert die Bundesbank.
Geld wird teilweise zweckentfremdet
Tatsächlich haben zahlreiche Ökonomen – auch jene der Bundesbank – inzwischen nachgewiesen, dass die Regierung Investitionen, die bisher über den regulären Haushalt finanziert wurden, über das Sondervermögen laufen lässt. Dadurch entstehen Spielräume im Kernhaushalt, beispielsweise für eine Ausweitung der Mütterrente, eine Erhöhung der Pendlerpauschale und die Senkung der Mehrwertsteuer für die Gastronomie. Während die Ampel noch verzweifelt sparen musste, kann Schwarz-Rot plötzlich sogar neue Geschenke verteilen. Die Bundesbank verlangt mit ihrer Stellungnahme, dass diese Zweckentfremdung endet.
In einer zweiten Phase, die von 2030 bis 2035 dauern soll, sieht der Vorschlag der Bundesbank vor, dass die Verteidigungsausgaben zunehmend ohne Sonderkredite finanziert werden, also wieder über den Kernhaushalt. Dazu solle die Schwelle, ab der Sonderkredite möglich sind, um 0,5 Prozentpunkte pro Jahr angehoben werden, 2030 also auf 1,5 Prozent, 2031 auf zwei Prozent und so weiter, bis 2035 vier Prozent erreicht sind. Parallel sollen die 2030 noch im Sondervermögen vorhandenen Mittel relativ gleichmäßig auf die Zeit bis 2035 verteilt werden. Das jährliche Defizit würde dann nach den Berechnungen der Bundesbank am Ende nur noch bei rund einem Prozent des BIP liegen.
Ab 2036 schließlich sollten neue Regeln greifen. So soll der Bund dann dauerhaft einen Kreditspielraum von 0,8 Prozent des BIP erhalten, allerdings nur für zusätzliche Sachinvestitionen. Damit würde de facto der Kreditspielraum aus dem Sondervermögen verstetigt, aber gleichzeitig in den regulären Haushalt eingegliedert.
Weiterer Spielraum hängt von Schuldenstand ab
Darüber hinaus solle es einen frei verfügbaren Kreditspielraum geben, der allerdings von der jeweiligen Lage bei den Staatsschulden abhängig wäre. Läge die Schuldenquote unter 60 Prozent sollten für Bund und Länder jeweils 0,35 Prozent des BIP als weitere Neuverschuldung möglich sein. Die Gesamtneuverschuldung, inklusive jener für Sachinvestitionen, wäre dann auf 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung begrenzt. Läge die Schuldenquote jedoch über 60 Prozent des BIP sänke der zusätzliche Spielraum für Bund und Länder auf 0,1 Prozent, inklusive der Schuldenquote für Sachinvestitionen wäre damit nur mehr eine Neuverschuldung in Höhe von einem Prozent des BIP möglich.
Voraussichtlich würde über viele Jahre hinweg dieser Wert gelten, denn die Gesamtverschuldung dürfte noch lange über 60 Prozent verharren. Aber immerhin gäbe es auf Basis der Bundesbank-Vorschläge die Chance, dass dieser Wert wieder erreicht werden kann, wenn auch erst Mitte der 50er-Jahre, so die Prognose der Bundesbank.
Auf jeden Fall wäre der Weg dorthin anspruchsvoll, umso mehr als die gegenwärtige Regierung durch die geplanten Zusatzausgaben für Mütterrente, Pendlerpauschale und Gastronomie die finanziellen Spielräume dauerhaft einengen wird. Künftige Regierungen stünden daher vor enormen Herausforderungen, sollte der von der Bundesbank vorgeschlagene Pfad wirklich umgesetzt werden.
Eine Entlastung gestehen die Notenbanker den Finanzpolitikern dann aber doch immerhin zu. Denn bisher ist im Grundgesetz verankert, dass die Notlagenkredite, die zuletzt im Rahmen der Corona-Krise aufgenommen wurden, im Rahmen eines Tilgungsplans zurückgezahlt werden müssen. Diese Pflicht könne entfallen, so die Bundesbank. „Die strengere Kreditgrenze oberhalb der 60 Prozent-Schwelle für die Schuldenquote sollte die Wiederannäherung an die Schwelle absichern“, argumentiert sie. Entscheidend wäre dann jedoch, dass sich die Politiker auch wirklich an diese Kreditgrenzen halten – und nicht erneut nach Ausnahmeregeln suchen.
Ihren Vorschlag wird die Bundesbank nun an die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission zur Reform der Schuldenbremse weiterleiten. Diese hatte Mitte September ihre Arbeit aufgenommen und soll bis Jahresende Vorschläge für eine Überarbeitung der im Grundgesetz verankerten Schuldenregel machen. Der Arbeitsgruppe gehören 15 Experten an, geleitet wird sie gemeinsam vom ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD), dem früheren niedersächsischen Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) und dem ehemaligen Bildungsstaatssekretär Stefan Müller (CSU). Jeder Vorschlag braucht am Ende aber eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und damit neben den Stimmen von Union, SPD und Grünen auch Stimmen der Linken oder der AfD.
Frank Stocker ist Wirtschafts- und Finanzkorrespondent in Frankfurt. Er berichtet über Geldanlage, Finanzmärkte, Konjunktur und Zinspolitik. Zudem hat er Bücher zur Inflation von 1923 und zur Geschichte der D-Mark veröffentlicht.