Die Berliner Pfarrerin Lena Müller steht aktuell im Mittelpunkt einer Debatte, die vor allem eines ist: verzerrt.

Am 8. November vermeldete die „Bild“: „Aus vier mach eins! Die Berliner Pfarrerin Lena Müller (33) traute im Sommer bei einem ‚Pop-up-Hochzeitsfestival‘ vier Männer und machte sie so zu einem Ehepaar. Dabei ist Polygamie, also Vielehe, in Deutschland verboten.“

Die Springer-Zeitung suggeriert also nonchalant, eine evangelische Pfarrerin habe vier Männer miteinander verheiratet. Womöglich ein gefundenes Fressen für ein Medium, dass seit seiner Gründung gut davon lebt, gezielt Empörung, Angst und Ressentiments in der Bevölkerung zu schüren.

Der tatsächliche Hintergrund ist komplexer. „Vorwürfe von Polygamie in diesem Kontext sind gegenstands- und haltlos“, stellte Bischof Christian Stäblein von der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) umgehend klar. In einer offiziellen Stellungnahme betonte er: „Die Evangelische Kirche traut nur Paare, die zuvor standesamtlich verheiratet wurden. Alles andere ist keine Trauung im juristischen Sinne.“

Segnen ist nicht trauen

Tatsächlich hatte Müller im Sommer im Rahmen eines Pop-up-Hochzeitsfestivals eine gottesdienstliche Segnung für vier Männer vollzogen, die sich als polyamore Gemeinschaft verstehen.

Wie sie gegenüber der „Ostfriesen-Zeitung“ erklärte, handelte es sich um eine kleine gottesdienstliche Zeremonie: „Die vier Männer haben sich schon länger gekannt. In diesem Jahr sind sie als polyamore Konstellation zusammengekommen.“ Sie hätten sich einen Trauspruch aus dem 1. Korintherbrief ausgesucht: ‚Die Liebe hört nie auf.‘

Gegenüber der „Rheinischen Post“ betonte Müller auch, die Beziehung sei nicht ins Kirchenbuch eingetragen worden, weil dafür eine standesamtliche Trauung erforderlich gewesen wäre – und das sei in dieser Konstellation nicht möglich.

Die „Bild“-Zeitung hat also einen wichtigen Punkt übersehen oder bewusst ignoriert: Es gibt einen Unterschied zwischen Segnen und Trauen. Evangelische Trauungen setzen eine vorangegangene standesamtliche Ehe voraus. Das Segnen selbst kann dagegen flexibel gestaltet werden – auch in Form kleiner, experimenteller Gottesdienste wie beim Pop-up-Hochzeitsfestival, das es in ähnlicher Form auch in Bayern gibt, als „Einfach heiraten“.

Solidarität statt Spaltung

Die inhaltlich überzogene Berichterstattung löste erwartbar einen Sturm der Entrüstung aus. Auf ihrem Instagram-Account erhielt Pfarrerin Müller zahlreiche Hasskommentare.

Die Landeskirche zeigte sich solidarisch: „Wir sind entsetzt über den Hass, der ihr entgegenschlägt. Wir stehen an ihrer Seite und verurteilen diese Angriffe aufs Schärfste. Wir stehen an der Seite derer, die Anfeindungen erleben“, hieß es in einem Statement auf Instagram.

Auch das yeet-Netzwerk stellte sich in einem Instagram-Post hinter Müller. Die Religionspädagogin Jule Grothe schrieb: „Eine Pfarrerin hat bei einem Pop-Up-Hochzeitsevent eine polyamore Beziehung gesegnet, weil Gottes Segen allen Menschen gilt.“ Und Pfarrer Alex Brandl ergänzte: „Wir müssen nicht einer Meinung sein, um zusammenzustehen, wenn jemand Hass abbekommt.“

Die Debatte zeigt, wie Medienberichte, die auf Übertreibung und verkürzte Darstellung setzen, leicht falsche Empörung erzeugen können. Indem die „Bild“ aus einer Segnung eine angebliche Polygamie machte, schuf sie ein Feindbild, das Hass und Spaltung fördert.

Kein Skandal, sondern ein Lehrstück

Der vermeintliche Skandal ist ein Lehrstück dafür, wie wichtig differenzierte Wahrnehmung in Zeiten von Social Media und Klickjournalismus ist. Nicht jede kirchliche Segnung ist eine Ehe, nicht jeder mediale Aufreger entspricht der Wirklichkeit – und höchstwahrscheinlich bewusst geschürte Empörung darf nie das Sprechen und Handeln einer ganzen Institution bestimmen.

Kirche darf sich durch derartige Kampagnen nicht spalten lassen, sondern muss Pfarrpersonen schützen, die in den Fokus falsch begründeter Kritik geraten – auch dann, wenn sie möglicherweise nicht alle Meinungen mit ihnen teilen.