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Donald Trumps Friedensplan für Gaza müsste so langsam in Phase 2 übergehen. Doch stattdessen scheint die Initiative an ihre Grenzen zu stoßen.
Washington – Die Waffenruhe im Gazastreifen und die Übergabe der israelischen Geiseln durch die Hamas – im Gegenzug für inhaftierte Palästinenser – sollten nur der Anfang sein. Der 20 Punkte umfassende Friedensplan, der vor allem US-Präsident Donald Trump zugeschrieben wird, sieht auch den Wiederaufbau der völlig zerstörten Infrastruktur und eine Stabilisierung der Region vor. Den zweiten Schritt. Doch nicht nur wegen mehrerer Zwischenfälle scheinen die Zweifel zu wachsen, ob die Initiative der USA, von Katar, von Ägypten und der Türkei tatsächlich halten kann, was sie verspricht.
Wohin führt sein Friedensplan für den Gazastreifen? US-Präsident Donald Trump hat die Lage im Krisengebiet samt der Widerstandsfähigkeit der Hamas womöglich unterschätzt. © IMAGO / Anadolu Agency, IMAGO / ABACAPRESS
Wie Politico berichtet, sind Beamte aus der Trump-Administration zutiefst besorgt, dass Schwierigkeiten bei der Umsetzung vieler Eckpunkte den Plan zum Scheitern verurteilen könnten. Dies gehe aus Dokumenten vor, die dem US-Portal vorliegen würden. Unter anderem werde das Fehlen eines klaren Wegs bemängelt. Die Unterlagen seien Vertretern von Außen- und Verteidigungsministerium, von Nichtregierungsorganisationen und von privaten Unternehmen wie dem Thinktank RAND während eines Symposiums gezeigt worden.
Trump und der Friedensplan: Eingeweihte Experten zweifeln an erfolgreichem Übergang zu Phase 2
Auf einer von dem Medium auch veröffentlichten Folie ist ein Pfeil mit einem Fragezeichen versehen, der von Phase 1 zu Phase 2 weist. So werde auch die Frage aufgeworfen, ob die geplante Internationale Stabilisierungstruppe tatsächlich zum Einsatz komme. Ein Beamter eines US-Verbündeten, der selbst nicht dabei gewesen sei, habe die Authentizität der Dokumente bestätigt. Zudem habe ein Beamter aus dem Pentagon bestätigt, dass die Unterlagen die Bedenken innerhalb der Regierung widerspiegeln würden.
Ein Teilnehmer des Symposiums, der am Friedensprozess beteiligt ist, aber nicht der Trump-Administration angehört, monierte demnach, der US-Präsident habe sich in eine Zwickmühle manövriert. Denn der Republikaner habe beim Streben nach einer Lösung im Gaza-Krieg nicht die nötige Geduld gezeigt. Um den Plan umzusetzen, mangele es an Ressourcen und Partnern.
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David Schenker, der in Trumps erster Amtszeit als Staatssekretär für Nahost-Angelegenheiten fungierte, gab laut dem Artikel zu bedenken, dass die US-Regierung mit einer Handvoll Mitarbeitern eine Vielzahl von Krisen rund um den Globus bewältige, allein Gaza aber ein Fulltime-Job sei. „Man braucht handlungsfähige Beamte, um das Projekt zu einem Erfolg zu führen. Die Regierung feierte nach dem anfänglichen Waffenstillstand und der Freilassung der Geiseln ihren Erfolg, doch die eigentliche Arbeit liegt noch vor uns“, warnte der Diplomat.
Trump und der Gaza-Krieg: Ziehen sich USA wegen America First schnell aus der Region zurück?
Die größten Hürden sind vielfältig. Dazu zählen dem Bericht zufolge die Einrichtung der erwähnten Stabilisierungstruppe, Israels Zögern, sich aus Gaza zurückzuziehen, und die Demonstration der Stärke durch die Hamas. Die Terrororganisation verübte nach Inkrafttreten der Waffenruhe Hinrichtungen auf offener Straße und scheint gar nicht daran zu denken, die Waffen abzugeben. Und auch die Frage, wie wichtige Institutionen – etwa der Friedensrat – zu besetzen seien, müssten noch beantwortet werden.
Ein US-Beamter, der mit den internen Regierungsdiskussionen über Gaza vertraut ist, gibt zudem zu bedenken, dass Trump das Interesse schnell verlieren könnte: „Die wichtigere Frage lautet, ob es ratsam oder mit der ‚America First’-Agenda des Präsidenten vereinbar ist, dass sich die Vereinigten Staaten langfristig in Gaza engagieren. Dies wird derzeit geklärt.“
Spielen noch immer eine wichtige Rolle im Gazastreifen: Hamas-Kämpfer werden bei der Suche nach den sterblichen Überresten der getöteten Geiseln gebraucht. © Omar AL-QATTAA / AFPScheitert Trumps Gaza-Plan? Nahost-Experte hofft auf Macron und Starmer
Auch Dr. Neil Quilliam, Associate Fellow beim britischen Thinktank Chatham House, erwähnt in einem Beitrag, dass die Erfolgsaussichten von Trumps Friedensplan vor allem von dessen Engagement abhängen werden. Es komme vor allem auf die Trump-„Flüsterer“ an, zu denen er den saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman, Vereinigte-Arabische-Emirate-Präsident Muhammad bin Zayid Al Nahyan, den katarischen Emir Tamim bin Hamad Al Thani, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, den britischen Premierminister Keir Starmer und Ungarns Präsident Viktor Orbán zählt.
„Wenn es den Staat- und Regierungschefs der Golfstaaten und Europas gelingt, ihren privilegierten Zugang zum US-Präsidenten zu nutzen und ihm das Gefühl zu geben, eine zentrale Rolle im Geschehen zu spielen, hat der Gaza-Plan eine Chance“, schreibt der Nahost- und Nordafrika-Experte: „Gelingt das nicht, wird er scheitern.“
Frieden im Gazastreifen: Gebiet bleibt wohl geteilt – Hamas herrscht weiterhin in großem Teil
Derweil berichtet die internationale Nachrichtenagentur Reuters, eine Teilung des Gazastreifens in ein von Israel kontrolliertes und ein von der Hamas beherrschtes Gebiet werde immer wahrscheinlicher. Sechs europäische Beamte, die direkten Einblick in die Bemühungen zur Umsetzung in die nächste Phase des Friedensplans hätten, erklärten demnach, dieser sei faktisch zum Stillstand gekommen. Daher werde sich der Wiederaufbau voraussichtlich auf das von Israel kontrollierte Gebiet beschränken.
Aufräumarbeiten um Gazastreifen: Mit Baggern und Lastwagen wird Schutt aus völlig zerstörten Siedlungen abtransportiert. © Omar AL-QATTAA / AFP
Gaza könnte also auf Jahre hinaus geteilt werden. Das israelische Militär kann derzeit 53 Prozent des Küstenstreifens für sich beanspruchen, darunter die Grenzstadt Rafah und Teile von Gaza-Stadt. Eigentlich sieht der Friedensplan vor, dass sich Jerusalems Truppen von der sogenannten gelben Linie, die Gaza teilt, zurückziehen soll. Doch nun werde diese mutmaßlich zur faktischen Grenze, heißt es unter Berufung auf 18 Quellen, darunter die sechs europäischen Beamten und ein ehemaliger US-Beamter.
Waffenruhe in Gaza: USA wollen wohl Siedlungen im von Israel kontrollierten Gebiet bauen
The Atlantic schreibt sogar darüber, diese Linie könnte konkreter werden, da die USA den Plan unterstützen würden, Tausende Palästinenser auf der von Israel kontrollierten Seite unterzubringen. Dort sollen sogenannte Alternate Safe Communities entstehen. Vorgesehen sind sie für überprüfte Gaza-Bewohner. Die große Mehrheit der Bevölkerung lebt aber in dem Gebiet, in dem noch immer die Hamas das Sagen hat.
Aus einer E-Mail von Lieutenant General Patrick Frank, der die Umsetzung des Friedensplans militärisch koordiniert, gehe hervor, dass jede Siedlung über ein medizinisches Zentrum, eine Schule, ein Verwaltungsgebäude und „provisorische Unterkünfte für etwa 25.000 Menschen“ verfügen soll. Insgesamt leben rund zwei Millionen Menschen in Gaza.
Bis zum 8. November sollen 69.176 Todesopfer infolge des nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 ausgebrochenen Kriegs zu beklagen sein. Darunter sind mehr als 20.000 Kinder, wie den von der WHO veröffentlichten Daten zu entnehmen ist. Diese beruhen auf Angaben des von der Hamas kontrollierten palästinensischen Gesundheitsministeriums. Demnach kamen seit Beginn der Waffenruhe am 10. Oktober bereits knapp 2000 Menschen im Gazastreifen ums Leben. (Quellen: Politico, Chatham House, Reuters, The Atlantic, WHO) (mg)