Politiker von Union und SPD haben nach einem mehrwöchigen Streit über das neue Wehrdienstgesetz eine grundsätzliche Einigung erzielt.
Über das Ergebnis eines abendlichen Gesprächs wurden am Donnerstagfrüh um 8 Uhr zunächst die Fraktionen informiert, dann gab es eine Pressekonferenz mit den Verhandlern der beiden Parteien.
Das sind die wichtigsten Punkte der Einigung:
- Alle 18-jährigen Männer müssen zur Musterung, Frauen können. Danach gibt es keinen verpflichtenden Dienst. Niemand muss also aktiv den Dienst an der Waffe verweigern.
- Wenn es aus diesem Pool nicht genug Freiwillige gibt, kann der Bundestag über eine sogenannte Bedarfswehrpflicht entscheiden. Dann könnte der Wehrdienst zur Wehrpflicht werden. Ziel ist, dass die Zahl der aktiven Soldaten bis 2035 von derzeit 183.000 auf 255.000 bis 270.000 steigt.
- Greift diese Bedarfswehrpflicht, kann aus dem Pool der Gemusterten ausgelost werden, wer zur Bundeswehr muss. Eine allgemeine Wehrpflicht, bei der wie früher alle zum Bund müssen, gäbe es auch dann nicht.
- Details darüber, wie diese neue Wehrpflicht genau geregelt werden könnte, werden in einem weiteren Gesetz geregelt. Hier ist also noch Raum für Verhandlungen.
- Wer länger als zwölf Monate dient, wird „Soldat auf Zeit“, wer sich kürzer zur Verfügung stellt, der wird „freiwillig Wehrdienstleistender“. Die Bezahlung der Dienstleistenden soll deutlich angehoben werden. „Wer freiwillig dient, erhält rund 2600 Euro brutto monatlich. Ab einer Verpflichtungszeit von einem Jahr wird ein Führerscheinzuschuss für Pkw oder Lkw gewährt“, heißt es.
In einem vor einigen Wochen am Widerspruch des Verteidigungsministers gescheiterten Kompromiss sollte noch ausgelost werden, wer überhaupt in einem ersten Schritt gemustert wird. Das ist nun vom Tisch.
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Der Zeitplan für die Einführung des neuen Wehrdienstes:
- Stimmt der Bundestag zu, wird das Gesetz zum 1. Januar 2026 in Kraft treten.
- Alle 18-Jährigen – Männer und Frauen – erhalten dann einen Fragebogen zu ihrer Motivation und Eignung. Männer müssen ihn beantworten, Frauen können. Ebenso wird die Musterung für alle Männer, die ab dem 1. Januar 2008 geboren wurden, wieder zur Pflicht.
- Im ersten Jahr sollen zunächst um die 20.000 Freiwillige aus einem Jahrgang gewonnen werden.
- Für das Bundeswehrpersonal gebe es nun einen „verbindlichen Aufwuchspfad“ im Gesetzentwurf, sagte Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) in Berlin. Fraktionsvize Norbert Röttgen erläuterte, dass es für die Jahre 2026 bis 2035 jeweils einen „Korridor“ gebe. Für nächstes Jahr liege dieser bei 186.000 bis 190.000 aktiven Soldatinnen und Soldaten, 2035 seien es dann 255.000 bis 270.000. Das Bundesverteidigungsministerium werde halbjährlich über den Personalbestand berichten.
Parallel zur Stärkung der Bundeswehr sollen auch die zivilen Freiwilligendienste ausgebaut werden. Dafür werden im kommenden Jahr 50 Millionen Euro zusätzlich bereitgestellt, ab 2027 dann 80 Millionen Euro jährlich. Damit sollen über 15.000 neue Plätze geschaffen werden, etwa in Kitas, Schulen, Pflegeeinrichtungen sowie im Klima- und Katastrophenschutz.
Ziel ist es, dass sich jährlich mehr als 100.000 junge Menschen in einem Freiwilligendienst engagieren. Die zusätzlichen Mittel sollen es den Trägern zudem ermöglichen, die Vergütung für die Freiwilligen zu erhöhen.
Das waren die strittigen Punkte
Im Oktober hatte die Unionsfraktion das schon vom Kabinett verabschiedete Gesetz zum neuen Wehrdienst wegen Bedenken gestoppt. Dann hatte wiederum Pistorius den Vorschlag einer Verhandlergruppe aus Union und SPD gestoppt. Jetzt gibt es also den dritten Anlauf.
Strittig waren zuletzt Zielmarken für den Aufwuchs der Truppe und das Auswahlverfahren für den Fall, dass sich nicht ausreichend Männer und Frauen für einen freiwilligen Dienst melden. Diskutiert wurde auch über den künftigen Status der Wehrdienstleistenden. Unter anderem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte zuletzt wieder eine Dienstpflicht für alle ins Spiel gebracht.
Die Union hat sich bei den aktuellen Verhandlungen bei den festgelegten Zielmarken für eine Aufstockung der Truppe durchgesetzt. Bis 2035 sollen jährliche Ziele festgelegt werden. Werden die nicht erfüllt, kann der Bundestag die Wehrpflicht wieder einführen, muss aber nicht.
80.000 Soldaten fehlen zur vollständigen Truppenstärke
Wegen der Bedrohung durch Russland und der deswegen veränderten Nato-Planungen soll die Bundeswehr um rund 80.000 auf 260.000 Männer und Frauen in der stehenden Truppe wachsen. Zudem soll es 200.000 Reservisten geben, deren Zahl vor allem mit dem neuen Wehrdienst gesteigert werden soll.
Das bisherige Ziel von 203.000 Soldaten wurde allerdings nie erreicht. Vor allem Politiker der Union haben wiederholt angezweifelt, dass Freiwilligkeit ausreichen wird, um einen ausreichend schnellen Aufwuchs der Bundeswehr zu garantieren. In den Koalitionsverhandlungen hatte sich die SPD aber mit der Forderung nach Freiwilligkeit durchgesetzt.
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Die Wehrpflicht wurde 2011 ausgesetzt, ist aber weiter im Grundgesetz verankert. Sie kann mit einfacher Mehrheit im Bundestag wieder eingeführt werden und tritt auch in Kraft, wenn der Bundestag den Spannungs- oder Verteidigungsfall feststellt.
Das Grundgesetz sieht die Wehrpflicht für Männer vor. Um die Frage, ob und wie Frauen eingebunden werden sollen, gibt es immer wieder Diskussionen, ohne dass eine Mehrheit für eine Änderung des Grundgesetzes aktuell erkennbar wäre. (ben, mit Agenturen)