Christian Adomnicai lebt am äußersten Stadtrand von Düsseldorf. Sein Schulweg führt ihn durch die verschiedenen Ecken der Stadt. „Ich sehe die Unterschiede“, sagt er. Mehr als 1,3 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland sind von Alltagsarmut betroffen. Adomnicai, heute 18 Jahre alt, war einer von ihnen. „Man bekommt oft keinerlei Perspektive geboten“, sagt er. Armut bedeute Einschränkung in jedem Bereich des Lebens.

Adomnicai ist einer von 23 Jugendlichen, die erstmals am jährlichen Unicef-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland mitgearbeitet haben. Der diesjährige Fokus lag, auch auf Wunsch der beteiligten Jugendlichen, auf Kinderarmut. Es fehlt oft schon an der Erfüllung grundlegender Bedürfnisse, etwa vollwertige Mahlzeiten ein zweites Paar Schuhe. Zudem werden die betroffenen Kinder von sozialer Teilhabe ausgeschlossen, da sie sich etwa keinen Kinobesuch leisten können. Sie lesen im Durchschnitt weniger, treiben weniger Sport und treffen weniger Freunde.

Nur in wenigen Ländern in Europa klafft die Schere zwischen Arm und Reich so weit auseinander wie in Deutschland

Für Familien gäbe es zwar zusätzliche finanzielle Hilfen, diese kommen jedoch häufig nicht bei den Betroffenen an. „Wir haben ein komplexes System mit vielen verfügbaren Leistungen“, sagt Sabine Walper, Direktorin des Deutschen Jugendinstituts. „Aber der Großteil kennt sie nicht, weil das System zu kompliziert ist.“ Laut Studien werden zwischen 37 und 56 Prozent der verfügbaren Leistungen nicht abgerufen. Auch Michael Hose, CDU-Bundestagsmitglied und Vorsitzender der Kinderkommission, sieht das Problem. „Wir werden den Anforderungen an vielen Stellen finanziell gerecht, aber wir bekommen das Geld nicht an die Menschen“, sagt er.

Nur in wenigen Ländern in Europa klafft die Schere zwischen Arm und Reich so weit auseinander wie in Deutschland. Kinder aus ärmeren Familien werden im Schnitt weniger gefördert als Kinder aus reicheren Familien. Je jünger die Heranwachsenden sind, desto stärker ist die Auswirkung. „Frühkindliche Förderung richtet das Gleis aus für die spätere Entwicklung“, erklärt Walper. Frühe Armut habe langfristige nachteilige Effekte, vor allem für die kognitive Entwicklung.

Laut Pisa-Erhebung hat jedes vierte Kind in Deutschland Probleme beim lesen

„Die Lösung ist offensichtlich“, sagt Michael Hose. „Je früher man Familien unterstützt, desto besser ist das.“ Als Positivbeispiel nennt er das Startchancenprogramm, welches Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler über die kommenden zehn Jahre rund 20 Milliarden Euro unterstützt.

Walper fordert, dieses Programm auf Kitas auszuweiten, damit Kinder so früh wie möglich in das Bildungssystem aufgenommen werden. Laut der letzten Pisa-Erhebung hat jedes vierte Schulkind Probleme beim Lesen – Tendenz steigend. Eine ähnliche Entwicklung ist bei der Digitalkompetenz zu beobachten. Im Jahr 2013 hatten 29 Prozent der Achtklässlerinnen und Achtklässler Probleme im Umgang mit digitalen Medien. Inzwischen ist dieser Anteil auf 41 Prozent gestiegen. Bei Kindern aus Haushalten mit niedrigen Einkommen liegt der Wert noch höher.

Kinderarmut zeigt sich besonders deutlich auf dem Wohnungsmarkt

Die Notlage armutsbetroffener Kinder in Deutschland verschärft sich weiter, wenn man auf den Wohnungsmarkt blickt. Rund 44 Prozent der armutsgefährdeten Kinder in Deutschland leben in überbelegten Wohnungen; viele Familien haben kein Geld, um zu heizen. Weitere 130.000 Kinder in Deutschland werden kommunal untergebracht, da sie sonst kein Dach über dem Kopf hätten.

Und auch gesundheitlich geht es Kindern und Jugendlichen in Deutschland zunehmend schlechter. Rund 40 Prozent gaben an, mehrmals die Woche unter körperlichen Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Schlafproblemen zu leiden, ein Höchstwert. 2014 lag der Wert bei noch 24 Prozent.

Jugendliche fordern mehr Mitbestimmung: Etwa bei der Wehrpflicht oder Bildungsthemen

Neben all den düsteren Nachrichten vermeldet der Bericht auch Positives: 87 Prozent der Fünf-bis Elfjährigen geben an, häufig oder sehr oft zu lachen. Zudem sind viele Kinder und Jugendliche insgesamt sehr zufrieden mit ihrem Leben, auch wenn der Wert mit steigendem Alter abnimmt.

Neben Verbesserungen ihrer Lebenssituation fordern die am Bericht beteiligten Jugendlichen eines: Mitbestimmung. So auch die heute 19-jährige Carolina Dobras. „Ich hatte im letzten Jahr das Gefühl, etwas für die Gesellschaft machen zu wollen“, sagt sie. Über Umwege ist sie schließlich zur Unicef gekommen. „Es braucht mehr Strukturen, die wirklich Einfluss auf Entscheidungen haben“, fordert sie. Weder bei der Wehrpflicht noch bei Bildungsthemen werde ihre Generation gefragt, obwohl diese Themen sie direkt betreffen. „Es wird für und nicht mit uns entschieden.“

  • Michael Stelzl

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