„Wer will ein Glas Bowle mit Alkohol“ – diese Frage schallt in einem mit etwa 30 Personen gefüllten Raum durch die Luft. Sofort gehen mindestens zehn Hände hoch. Wenige Minuten später stehen Kristallgläser mit spritzigem Inhalt (mehrere Stücke Dosenananas inklusive) vor jenen, die zuvor die Hand gehoben hatten, auf dem Tisch. Gleich daneben: Teller voller Speisen, die ihren kulinarischen Höhepunkt wohl Mitte des 20. Jahrhunderts hatten. Herzlich Willkommen beim 60er-Jahre Nostalgie-Buffet im Zentrum Plus in Düsseldorf-Mörsenbroich.

Dort hatten sich rund 30 interessierte Senioren eingefunden – gemeinsam sollte geschlemmt werden. Aber nicht nur. „Heute wollen wir nicht nur essen, sondern gemeinsam eine Reise in die Vergangenheit unternehmen“, sagte Nana Buadze, Leiterin der Caritas-Einrichtung. Ehrenamtliche rund um Brigitte Hense sowie Helmy und Jürgen Steppen hatten verschiedene Köstlichkeiten zubereitet, alles mit Bezug zu den 60er-Jahren. Und so wurden gefüllte Eier, Schinkenröllchen mit Spargel, ein Käse-Igel, Tomatenpilze, Minifrikadellen, Herings- und Rindfleischsalat, Suppe mit Markklößchen und Eierstich und sogar Toast Hawaii serviert. Mehr Nostalgie geht kaum.

Das kam gut bei den vielen Senioren an, die ihren Weg nach Mörsenbroich gefunden hatten. Und da Essen auch immer mit Erinnerungen zusammenhängt, dauerte es nicht lange, bis die großen Ereignisse der 1960er-Jahre Mittelpunkt der Gespräche waren. „Teilen Sie Ihre Erinnerungen heute mit uns hier“, hatte Nana Buadze vorher gebeten. Gesagt, getan.

Da war etwa Birgit, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte – sich aber lebendig an viele historische Ereignisse erinnern konnte. Und sogar an ihre eigene Kindheit zurückdachte, besonders als sie die Buchstabennudeln in der Suppe sah. „Das hatte ich zuletzt als kleines Kind“, sagte sie. Ein anderes Erwachsenwerden sei das damals gewesen, so wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Vieles war nicht verfügbar, viele Orte in den Städten zwar von Trümmern befreit, aber noch nicht wieder aufgebaut. Gleichzeitig veränderten Wirtschaftswunder und Gastarbeiter die damalige, noch junge Bundesrepublik. „Früher war eben nicht alles selbstverständlich – und schon gar nicht verfügbar“, sagt Birgit.

Dass vieles früher besser war, darauf konnten sich alle einigen. Aber eben vieles auch nicht – Stichwort Frauen- oder Homosexuellenrechte. „Wir haben viel gekämpft zur damaligen Zeit“, sagte etwa Frau Florian. Damals seien in der Gesellschaft noch Überreste der NS-Zeit erkennbar gewesen. „Man sagte damals nicht, jemand sei schwul. Stattdessen war das ein 175er“, sagt Florian. Das bezieht sich auf den ehemaligen Paragraphen 175 des Strafgesetzbuches, der in der Nazizeit entstand und Homosexualität, zumeist zwischen Männern, als „widernatürliche Unzucht“ beschrieb. Das muss man erstmal sacken lassen. Ebenfalls heute unvorstellbar: Dass Frauen zum damligen Zeitpunkt noch die Erlaubnis ihres Ehemanns brauchten, um eine Arbeit aufzunehmen. Oder, dass es auf Mädchenschulen eine Rock- oder Kleidpflicht gab.

Nicht nur der gesellschaftliche Wandel war eines der großen Themen – die Musik war es auch, schließlich waren die Beatles und Beach Boys seinerzeit äußerst beliebt. Das konnten die Teilnehmenden des Buffets dann noch vertiefen – schließlich folgen noch Desserts. Dann wurden kalte Schnauze und rote Grütze mit Vanillesauce serviert. Ganz wie damals.