Eine Besucherin geht am Bild „Holstentor (pink)" von Andy Warhol in der Ausstellung "Perspektivwechsel" in der Kunsthalle Rostock vorbei. (09.11.2021)

Stand: 13.11.2025 15:55 Uhr

Hoher Besuch in Hamburg und Lübeck: Kein Geringerer als der US-Künstler Andy Warhol kommt am 13. November 1980 in den Norden und präsentiert dabei „seinen“ Michel und „sein“ Holstentor – im Pop-Art-Stil.

von Kathrin Otto und Ole Neugebauer

Jener 13. November ist ein trüber Herbsttag. Es nieselt – keine Besonderheit in Norddeutschland. Besonders ist, dass sich ein ganz besonderer Künstler angekündigt hat. Auf seiner Deutschland-Tour macht nämlich Andy Warhol in Hamburg und Lübeck Station. Er hat für seine Reihe „Monumenta Germaniae“ auch zwei Bauwerke in den Hansestädten gewürdigt: den Michel und das Holstentor. Zur Reihe gehören auch der Kölner Dom, der Berliner Reichstag und die Vorburg der Drachenburg im Siebengebirge.

Hamburger Michel als Pop-Art-Werk

Pop-Art-Künstler Andy Warhol 1980 in Hamburg bei der Präsentation seiner Architekturmalerei vor dem "Michel".

Pop-Art-Künstler Andy Warhol präsentiert 1980 „seinen“ Michel.

In Hamburg hat Andy Warhol eine große Anhängerschaft. In der Galerie Levy in Pöseldorf wird die neue Bilderreihe Warhols mit den deutschen Sehenswürdigkeiten in Pop-Art ausgestellt. Der Hamburger Michel hat einen Preis von 50.000 D-Mark. Der Besuch in der Galerie dauert nicht lange. Nach 20 Minuten ist Andy Warhol schon wieder weg. Seine Bilder verkauft er alle.

Für den NDR berichtet damals der US-amerikanische Reporter Jay Tuck über Warhols Besuch. Der Journalist lässt sich von dem Künstler zwei deutsche Campbell’s-Konservendosen, die er für jeweils 1,95 D-Mark gekauft hat, signieren. „Die deutschen Dosen sind besser, auf den amerikanischen kann man nicht schreiben“, bemerkt Warhol mit dem Anflug leichter Begeisterung. Ein Kunsthändler schätzt den Wert der Dosen nach dem Interview auf je 3.000 D-Mark. Eine der Dosen existiert nicht mehr. Laut Tuck ist sie irgendwann „explodiert. Der Inhalt wollte raus“. Die andere Dose habe er einem Freund geschenkt.

Ausstellung in Lübecker Möbelhaus

Andy Warhol kommt an jenem Tag auch nach Lübeck. Auf diesen Besuch freut sich schon Heiner Reese (1932-2019), gelernter Tischler und Möbelhaus-Inhaber. In dessen Laden soll der US-Künstler eine Ausstellung seiner Werke eröffnen. Begleitet wird der Pop-Art-Mitbegründer von Christopher Makos, einem US-Fotografen, mit dem er eng zusammenarbeitet. Von Makos stammen viele der Fotografien, die Warhol mit seiner speziellen Siebdrucktechnik bearbeitet und verfremdet.

Andy Warhol – Aus der Werbung in die Kunst

Bilder von Andy Warhol in der Hamburger Kunsthalle

Die „Campbell’s Soup Cans“ gehören zu Andy Warhols bekanntesten Bildern.

Andy Warhol, 1928 in Pittsburgh geboren, entschloss sich nach einer bereits sehr erfolgreichen Karriere als Werbegrafiker und Illustrator Anfang der 1960er-Jahre, in die Kunstszene zu wechseln. Er experimentiert mit dem bis dahin als eher unkünstlerisch geltenden Siebdruckverfahren und Acrylfarben und produziert erste – und heute weltbekannte – Serien wie die „Campbell’s Soup Cans“, die „Coca Cola Bottles“ oder die „Dollar Bills“.

Warhol bringt also alltägliche Gegenstände in die Kunst, schreckt aber auch nicht davor zurück, Pressefotos mit Szenen wie Autounfällen oder Flugzeugabstürzen in seinen Bildern zu verarbeiten. Mitte der 1960er-Jahre produziert er zahlreiche Porträt-Serien berühmter Personen wie Marilyn Monroe, Elvis Presley oder Mao Tse Tung.

Marzipan und Lübecker Rotspon für den Pop-Art-Künstler

Andy Warhol bei einer Vernissage in Lübeck

Andy Warhol (l.) mit Wolfgang Tschechne (M.), dem damaligen Leiter der Kulturredaktion der „Lübecker Nachrichten“, und Heiner Reese.

An diesem Abend im November werden Andy Warhol und Christopher Makos zunächst im Lübecker Rathaus empfangen – wo sie zur Begrüßung Marzipan und Lübecker Rotspon erhalten. Anschließend fährt Heiner Reese mit den beiden zu einem Essen in die Lübecker Schiffergesellschaft. An diesen Besuch erinnert er sich vor einigen Jahren im Gespräch mit dem NDR noch gut – vor allen Dingen an das Dessert und Andy Warhols große Begeisterung: „Der anwesende Reporter von den ‚Lübecker Nachrichten‘ musste früher los, um seinen Artikel zu schreiben. Und kaum hatten Christopher Makos und Andy Warhol mitbekommen, dass die Presse weg war, schnappten sie sich die Dessert-Schale vom Tisch und löffelten sie leer“, so Reese.

Warhol-Vernissage im Einrichtungshaus

Andy Warhol bei einer Vernissage in Lübeck

Andy Warhol 1980 bei der Vernissage in Lübeck – im Hintergrund das „Holstentor“.

Im Anschluss an das Essen geht es zur Vernissage im Möbelhaus von Heiner Reese. Andy Warhol betritt die rund 2.000 Quadratmeter großen Verkaufsräume, begutachtet kurz seine rund 150 Arbeiten an den Wänden und nickt zustimmend. Dann macht er das, was er damals oft macht, wenn ihm der Trubel um seine Person zu groß ist: Er setzt seine Kopfhörer auf und lässt die Veranstaltung einfach über sich ergehen. Unter seinen Bildern sind neben bereits bekannten Serien wie „Flowers“, „Marilyn Monroe“ oder „Joseph Beuys“ auch vier ganz neue Werke, die Serie „Holstentor“. Diese vier Bilder waren anlässlich der Ausstellung nach Fotos von Christopher Makos entstanden.

Deutsche Gemäuer als Pop-Art-Kunst

Für Heiner Reese ist es 1980 nicht die erste Ausstellung in seinem Einrichtungshaus. Um die edlen Möbel dort angemessen zu präsentieren, kauft er Zeichnungen und Bilder von Salvador Dalí und anderen bekannten Künstlern. Damit immer wieder neue Werke an den Wänden seiner Verkaufsräume hängen, fängt er an, die Bilder mit Galeristen auszutauschen. Auf diesem Wege lernt er Mitte der 1970er-Jahre auch den Bonner Galeristen Hermann Wünsche kennen, der eng mit Andy Warhol zusammenarbeitet. Wünsche schlägt dem Lübecker Kunstliebhaber eine Warhol-Ausstellung vor, stellt jedoch eine Bedingung. „Ein Bild musste damals gekauft werden“, so schildert es Reese später. „Also hab ich gesagt: Gut, kein Problem, ich kaufe eines.“

Die Ausstellung wird gemeinschaftlich geplant und das „Holstentor“ bei dem Pop-Art-Künstler in Auftrag gegeben. Vier unterschiedliche Versionen davon werden am 13. November erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Die Reihe „Monumenta Germaniae“ hat Andy Warhol auf Anregung Hermann Wünsches gefertigt. Die vier „Holstentore“ sind farblich sehr unterschiedlich, eine Variante ist in Pink, eine andere hat die Farbe von Backstein. Heiner Reese muss sich entscheiden, welches der Bilder er kaufen möchte und wählt die Version in Pink.

Ein Stück Warhol bleibt in Lübeck

Warhols „Holstentor“ geht zunächst in den Besitz von Heiner Reese über, später zieht sich dieser aus dem Kunstgeschäft zurück und verkauft es. Mit der Hilfe einer Stiftung geht das Bild in den Besitz der Museen für Kunst und Kulturgeschichte über und schmückt in der Folge eine Wand in der Lübecker Kunsthalle St. Annen.

Sogar die – zumindest hierzulande – vor allem durch Andy Warhols Bilder berühmt gewordenen Campbell’s Dosen haben ihren Weg in die Hansestadt gefunden. Das Unternehmen aus den USA hat seine Deutschland-Zentrale seit 2002 in Lübeck. Auch dadurch ist der berühmte Pop-Art-Künstler, der 1987 überraschend nach einer Operation an der Gallenblase verstarb, in gewisser Weise bis heute in Lübeck präsent.

Das Holstentor in Lübeck und die St. Petri Kirche am Abend

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