Hamburgs alte rot-grüne Koalition wird auch die neue. Am Donnerstag verkündeten die Spitzen von SPD und Grünen die Einigung auf ein Regierungsprogramm für die kommenden fünf Jahre. Überraschungen gibt es nur im Personaltableau.
Vier Wochen lang haben die Spitzen von SPD und Grünen in Hamburg über eine Fortführung ihrer bereits seit zehn Jahren bestehenden Koalition verhandelt. Am Mittwochabend sind sich die Verhandler einig geworden. Der Koalitionsvertrag steht, war die zentrale Nachricht am Donnerstag, als Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) gemeinsam mit ihren Teams die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen vorstellten.
Auf 148 Seiten steht aufgeschrieben, was sich die rot-grüne Landesregierung für die kommenden fünf Jahre vornimmt. Schwerpunkte des Koalitionsvertrags sind unter anderem die Mobilitätswende, Klimaschutz, Wohnungsbau, Digitalisierung der Verwaltung und die Förderung von Wissenschaft und Innovation. Für die Verkehrswende sollen etwa Fahrradwege weiter ausgebaut werden, die angestoßenen Schnellbahnprojekte fortgesetzt, die Digitalisierung der Verkehrssteuerung verbessert und das Parkraummanagement neu geordnet werden. Tschentscher kündigte etwa einen „Masterplan Parken“ an.
Auf die Frage, ob man den Koalitionsvertrag als eine Art „Weiter-so“ betrachten könne, antwortete der Bürgermeister: „Ja, das ist die Fortführung eines Erfolgskurses, den Sie in den letzten 20 Jahren in Deutschland so nirgendwo nachvollziehen konnten“. Man werde jedoch an verschiedenen Stellen die bisherige Politik nachschärfen oder mit neuen Schwerpunkten versehen.
Dazu passt auch, dass der Senat weitestgehend unverändert bleiben wird. Wie bisher besetzt die SPD neben dem Bürgermeisteramt sieben Senatsposten. Tschentscher will auf die Senatorinnen und Senatoren setzen, die bereits jetzt im Amt sind. Das sind Andreas Dressel (Finanzen) Andy Grote (Inneres), Carsten Brosda (Kultur), Karen Pein (Stadtentwicklung) Ksenija Bekeris (Schule), Melanie Leonhard (Wirtschaft) und Melanie Schlotzhauer (Soziales). Allein der Zuschnitt einzelner Behörden wird sich verändern. So wird Bekeris das Amt für Familie aus der Sozialbehörde übernehmen und damit zusätzlich für Hamburgs Kitas und den Kinderschutz zuständig. Leonhard übernimmt – ebenfalls aus der Sozialbehörde – den Bereich Arbeit. Dressel wird künftig auch die Fachaufsicht über die sieben Hamburger Bezirksämter erhalten.
Klimaschutz wird „Chefinnensache“
Die Grünen stellen vier Senatorinnen und Senatoren – mit einer großen Überraschung. Fegebank, seit zehn Jahren Wissenschaftssenatorin und als solche dreimal zur Ministerin des Jahres in ihrem Fach gewählt, gibt ihre Zuständigkeit auf. Sie macht Platz für Maryam Blumenthal, Co-Vorsitzende der Hamburger Grünen. Fegebank selbst übernimmt stattdessen die Aufgaben des aus gesundheitlichen Gründen ausscheidenden Senators Jens Kerstan und wird Senatorin der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrar.
„Ich werde versuchen, den Spirit, den ich die letzten zehn Jahre versucht habe, in unser Wissenschaftssystem zu tragen, nämlich Dinge zusammenzuführen, in den Klimaschutz zu bringen“, sagte Fegebank. Klimaschutz dürfe nicht nur im Wahlkampf Chefinnensache sein. Er sei „die große Menschheitsaufgabe ist, vor der wir stehen. Denn es geht ja nicht darum, das Klima zu schützen, sondern die Menschheit und das ist weder eine Aufgabe einer Partei, einer Generation oder eines Landes, sondern eine gemeinsame Aufgabe.“ Dafür brauche Klimaschutz Akzeptanz.
Beim BUND etwa kam der Personalwechsel in der Umweltbehörde gut an. Mit Katharina Fegebank, die Zweite Bürgermeisterin bleiben soll, habe der Umwelt- und Klimaschutz in Hamburg eine starke Fürsprecherin, persönlich aber auch im koalitionsinternen Machtgefüge. Die Vorhaben im Koalitionsvertrag bewertet BUND-Chefin Sabine Sommer allerdings insgesamt nicht konsequent genug.
Ebenfalls „Licht und Schatten“ erkennt der Vorsitzende des Industrieverbandes Hamburg, Andreas Pfannenberg, in den Vorhaben für die neue Regierungszeit: „Zu viel Schulterklopfen, zu wenig Ambitionen reichen nicht aus, um die verlorengegangene Wettbewerbsfähigkeit der Industrie wieder auszugleichen. Unsere Hamburger Industrieunternehmen erwarten von der rot-grünen Regierung jetzt schnelle Entlastungen von Bürokratie und einen mutigen strategischen Plan für mehr Investitionen, und die Weiterentwicklung unseres Wirtschaftsstandorts.“
„Lustlos und ideenlos“, kritisiert die Opposition
Deutlich kritischer äußerten sich die Oppositionsparteien. Oppositionsführer Dennis Thering (CDU) nannte den Koalitionsvertrag „ein Dokument der lustlosen Selbstverwaltung.“ Die drängenden Herausforderungen, wie „die wirtschaftliche Zukunftssicherung, eine Verkehrspolitik für alle Hamburgerinnen und Hamburger, mehr Sicherheit rund um die Uhr in der ganzen Stadt und eine Zündung des Bauturbos für mehr bezahlbaren Wohnraum“ verlangten nach „frischen Ideen“ und einem kraftvollen Neuanfang. Doch, so Thering: „Rot-Grün bleibt vage, setzt auf überholte Konzepte und Prüfaufträge.“
Der rot-grüne Koalitionsvertrag zeuge von Ideenlosigkeit, kritisierte Linken-Co-Fraktionschef David Stoop. Wie Thering, stößt auch Stoop sich an den vielen Vorhaben, die Rot-Grün prüfen möchte. Der Senat sollte lieber machen, fordert der Linkenpolitiker. „Für die zentralen Probleme der Stadt findet der Senat keine Lösung, sondern pocht lieber auf ‚strikte Ausgabendisziplin‘. Damit wird sich weder das Problem des Fachkräftemangels in der Verwaltung beheben lassen noch die Unterfinanzierung von Bildung, Wissenschaft und der sozialen Infrastruktur.“
Schon am Sonnabend soll ein Landesparteitag der SPD über den Koalitionsvertrag abstimmen. Die Grünen haben für Montagabend zu einer Landesmitgliederversammlung eingeladen. Sollten beide Parteien zustimmen, ist die Unterzeichnung des Koalitionsvertrags für Dienstag oder Mittwoch kommender Woche vorgesehen. Tschentschers Wiederwahl zum Bürgermeister würde am 7. Mai anstehen.
Redakteurin Julia Witte genannt Vedder arbeitet in der Hamburg-Redaktion von WELT und WELT AM SONNTAG. Seit 2011 berichtet sie über Hamburger Politik.