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Wer an Diabetes leidet, hat oft mit psychischen Belastungen wie Burnout oder Depressionen zu kämpfen. Aber die Zuckerkrankheit kann auch zu Essstörungen führen – mit teils dramatischen Folgen.
▶︎ Die häufigste Form der Essstörung ist das sogenannte Binge-Eating, das mit unkontrollierten Essanfällen einhergeht, erklärt der Psychologe und Psychodiabetologe Prof. Bernhard Kulzer. „Da über 80 Prozent aller Menschen mit Typ-2-Diabetes übergewichtig sind, tritt diese Form der Essstörung vor allem bei Typ-2-Diabetes gehäuft auf.“
Prof. Bernhard Kulzer beim BILD-Vorsorgegipfel 2025. Er leitet das Forschungsinstitut Diabetes (FIDAM), das sich mit medizinischen, psychologischen und sozialen Fragen rund um den Diabetes mellitus beschäftigt
Foto: Niels Starnick/BILD
▶︎ Eine Ess-Brechsucht (Bulimia nervosa) liegt vor, wenn es nach Essanfällen zu absichtlichem Erbrechen kommt. Diese tritt laut Prof. Kulzer sowohl bei Menschen mit Typ-1- als auch bei Typ-2-Diabetes öfter auf als bei Stoffwechselgesunden.
▶︎ Magersucht (Anorexia nervosa) kommt zwar nicht häufiger vor als bei Menschen ohne Diabetes, hat aber in Verbindung mit der Zuckerkrankheit besonders schlimme Konsequenzen. „Denn die Sucht, dünn zu sein, schlägt alles – auch die Diabetesversorgung, die meist absichtlich stark vernachlässigt wird“, weiß Prof. Kulzer.
Diabetes mellitus ist ein Sammelbegriff für verschiedene Stoffwechselerkrankungen, die aber eines gemeinsam haben: dauerhaft zu hohe Blutzuckerwerte. Der Körper braucht Insulin, um Zucker (Glukose) als Energieträger zu verwerten. Fehlt das Hormon oder kann es nicht richtig wirken, gelangt der Zucker nicht in die Körperzellen, sondern bleibt im Blut und kann schwerwiegende Folgen an Gefäßen und Organen verursachen.
Typ-1-Diabetes ist eine unheilbare Autoimmunerkrankung. Die Betroffenen können selbst kein Insulin mehr produzieren und müssen es lebenslang von außen zuführen. Die weitaus häufigste Form, Typ-2-Diabetes, hängt stark mit unserem Lebensstil zusammen: Übergewicht, Bewegungsmangel, eine ungesunde, zucker- und fettreiche Ernährung.
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Foto: BILD
Das Problem des „Insulin-Purging“
Der Psychodiabetologe beklagt: „Oft wird ein sogenanntes ‚Insulin-Purging‘ betrieben.“ Das heißt: Mutwillig wird Insulin nicht gespritzt oder unterdosiert, was zu erhöhten Glukosewerten führt. „Da den Körperzellen wegen des Insulinmangels Kohlenhydrate fehlen, schaltet der Körper auf die Fettverbrennung um, was zu einer Gewichtsreduktion führt“, erklärt er. Insulin-Purging ist besonders bei weiblichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes verbreitet. „Das Schlimme: Dadurch erhöht sich das Risiko für Folgeerkrankungen.“
Unzufriedenheit mit dem Gewicht
Laut der Deutschen Diabetes-Hilfe nehmen mit Beginn der Insulintherapie viele Menschen mit Typ-1-Diabetes an Gewicht zu. In der Pubertät sind daher besonders Mädchen mit Typ-1-Diabetes durchschnittlich schwerer als stoffwechselgesunde Altersgenossinnen. Das könne zu einer Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper führen.
Auch die ständige Auseinandersetzung mit den Themen Lebensmittel, Gewichtsregulation und körperliche Aktivität kann demnach mitverantwortlich für die Entwicklung einer Essstörung sein.
Studien zufolge sind sieben Prozent der Jugendlichen mit Diabetes von Essstörungen betroffen, gegenüber 2,8 Prozent der Jugendlichen ohne Diabetes.
Zur Person: Prof. Dr. Dipl.-Psych. Bernhard Kulzer ist Psychologe, Psychotherapeut und Psychodiabetologe. Er leitet das unabhängige Forschungsinstitut Diabetes (FIDAM) und lehrt an der Uni Bamberg. Seit 2003 ist Prof. Kulzer der Sprecher der AG „Diabetes und Psychologie“ und der Leitlinienkommission „Psychosoziales und Diabetes“ der Deutschen Diabetes Gesellschaft.