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Vor allem ältere und jüngere Menschen sind von der Zunahme der Zahlungsunfähigkeit betroffen, wie der Schuldneratlas 2025 zeigt.

Auf den ersten Blick sieht die Karte aus wie in den vergangenen Jahren. Bayern dunkelgrün mit den wenigsten überschuldeten Menschen, der Rest der Republik heller grün mit rötlichen Flecken für die Städte, in denen besonders viele Rechnungen nicht begleichen können. Doch die zweite Karte im Schuldneratlas 2025 der Auskunftei Creditreform hat es in sich: Sie zeigt, wo binnen eines Jahres die Zahl der Überschuldeten zugenommen hat – bis auf den Norden und Nordosten der Republik überall.

ILLUSTRATION - 14.11.2023, Berlin: Ein Mann hat seinen Kopf auf seine Hände gelegt, während sich vor ihm Geldscheine, Münzen und Bankkarten auf einem Tisch befinden. (zu dpa: „Warum viele in die Überschuldung rutschen - was man tun kann“) Foto: Hannes P Albert/dpa +++ dpa-Bildfunk +++Ein Mann hat seinen Kopf auf seine Hände gelegt, während sich vor ihm Geldscheine, Münzen und Bankkarten auf einem Tisch befinden. © Hannes P Albert/dpa

„Erstmals seit 2018 haben wir wieder mehr Überschuldete registriert“, sagt Patrick-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform. Rund 5,67 Millionen Bundesbürger:innen über 18 Jahren waren am 1. Oktober überschuldet, 111.000 mehr als ein Jahr zuvor. Seit 2018 war die Zahl kontinuierlich gesunken – trotz Euro-Krise, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und Inflation. Der Anteil der Zahlungsunfähigen an allen erwachsenen Bundesbürger:innen, die Überschuldungsquote, betrug 8,16 Prozent.

Firmenpleiten tragen zu finanziellen Nöten bei

„Die finanziellen Reserven vieler Haushalte sind erschöpft“, sagt Bernd Bütow, Creditreform-CEO. „Die Trendwende ist kein Zufall. Sie ist Ausdruck der breiten wirtschaftlichen Ermüdung.“ Auch die Zahl der Firmenpleiten steigt kräftig. Vor allem in der Industrie. Zudem streichen auch große, namhafte Unternehmen wegen der anhaltenden Rezession in großem Umfang Personal. Dabei fallen gut bezahlte Stellen weg.

„Die Überschuldung ist in der gesellschaftlichen Mitte angekommen“, sagt Bütow. Es trifft auch die, die bisher über mehr Geld verfügten und nicht mehr nur diejenigen, die wenig verdienen und wenig haben und deshalb eher in die Gefahr kommen, irgendwann nicht mehr zahlen zu können.

Gründe für die Überschuldung sind Hantzsch zufolge neben der anhaltenden Rezession nebst Jobverlust besonders höhere Ausgaben für Lebenshaltung, Energie und Wohnen. Das trifft vor allem Ältere, dort ist die Zahl der überschuldeten Menschen deutlich gestiegen. Und auch jüngere Menschen stecken häufiger in finanziellen Problemen. Creditreform-Chef Bütow nennt vor allem „Buy now, pay later“ bei Onlinekäufen. Dabei kommt die Ware sofort, muss aber erst später oder in Raten bezahlt werden. Bei dem vor allem bei Jüngeren beliebten Verfahren gehe oft der Überblick über Zahlungsfristen verloren, sagt Bütow.

Art der Überschuldung ändert sich

Auch ein anderes Phänomen lässt die Fachleute von einer Trendwende sprechen. Das betrifft die Art der Überschuldung. Laufen Inkassoverfahren gegen jemanden, der nicht zahlt, geht es um weiche Überschuldung, bei Privatinsolvenz handelt es sich um eine harte. Und beide Formen haben zuletzt zugenommen, was in den 22 Jahren, die Creditreform den Schuldneratlas erstellt, bisher nur dreimal vorgekommen ist.

Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren lässt sich auf der Schuldnerkarte kaum noch ein Unterschied zwischen Ost und West ausmachen. Die Quoten liegen mit 8,13 Prozent (West) und 8,35 Prozent (Ost) fast gleichauf. Und sie haben sich in den vergangenen Jahren angenähert. Während sie im Westen erstmals seit sieben Jahren gestiegen ist, sank sie im Osten zum neunten Mal in Folge. Insgesamt waren Anfang Oktober in Ostdeutschland 880.000 Menschen überschuldet, in Westdeutschland 4,79 Millionen.

Bayern trotz Anstieg mit dem niedrigsten Anteil

Den niedrigsten Anteil an überschuldeten Menschen hat Bayern mit 6,05 Prozent, vor Baden-Württemberg (6,88 Prozent) und Thüringen (7,44), Hamburg und Hessen (beide 8,15) liegen im Mittelfeld. Am Ende der Liste stehen Berlin (10,01), Sachsen-Anhalt (10,73) und Bremen (12,11). Nur in Mecklenburg-Vorpommern sank die absolute Zahl der Überschuldeten. Den Anstieg vor allem in Bayern und Baden-Württemberg bezeichnete Kommunikationsforscher Rainer Bovelet von Synergie 2, der am Atlas mitgearbeitet hat, als groß.

Zwischen den 400 Städten und Gemeinden gibt es ebenfalls große Unterschiede. In 276 verzeichnete Creditreform mehr zahlungsunfähige Menschen. Abwärts ging es vor allem bei einigen Städten im Ruhrgebiet, etwa in Essen und Duisburg. Am Ende der Liste finden sich wie jedes Jahr das rheinland-pfälzische Pirmasens (16,86 Prozent), Gelsenkirchen (17,07) und Bremerhaven. Dort kann fast jeder Fünfte Rechnungen nicht mehr bezahlen.

Unterschiede zwischen Stadt und Land

Ganz oben auf der Liste stehen mit Eichstätt (3,66 Prozent), Erlangen-Höchstett (3,85) und Schweinfurt (4,16) drei bayerische Landkreise mit viel Industrie. Eichstätt führt seit langem. „Die Arbeitslosenquote ist sehr niedrig“, sagt Bovelet. Auch gebe es wohl ein anderes Verhältnis zum Geldausgeben. Grundsätzlich sei die Überschuldung auf dem Land seltener als in der Stadt, sagt der Forscher.

Dass sich auch in kurzer Zeit viel zum Guten wenden kann, beweist Jena. Die Stadt in Thüringen stand vor zwei Jahren noch auf Rang 86 der Liste, in diesem Jahr findet sie sich auf Rang 6 (4,32) – der einzige Ort außerhalb Bayerns in den Top 20. Bovelet spricht von einem Hotspot der Innovation. Jena zieht demnach gut ausgebildete Fachkräfte an.

Insgesamt stehen die Bundesbürgerinnen und -bürger allerdings immer noch besser da als vor mehr als 20 Jahren. 2004 waren rund 6,54 Millionen Erwachsene bundesweit überschuldet, 871.000 mehr als in diesem Jahr. Bis 2020 schwankte die Zahl, überstieg auch schon mal sieben Millionen, die Überschuldungsquote pendelte um zehn Prozent. Seit Corona besserte sich die Lage – wegen staatlicher Hilfen und weil die Deutschen ihr Geld zusammenhielten. Das ändert sich gerade wieder.