Die Gründer der Ostend-Buchhandlung gehen nach 33 Jahren in den Ruhestand. Die Menschen im Osten sorgen für das Startkapital der Nachfolgerinnen.
„Der Prozentsatz an Kunden, die nicht freundlich oder sogar schwierig sind, ist hier so niedrig, wie ich es sonst nirgends erlebt habe und erlebe.“ Im Lächeln von Ulrich Schlote schwingt, als er das sagt, ein klitzekleines bisschen Stolz durch, obwohl das sonst so gar nicht seine Art ist. „In der Königstraße zum Beispiel ist das ganz anders.“
Ulrich Schlote ist 85 und betreibt zusammen mit seiner Schwester Katrin Schlote-Korthals eine Buchhandlung im Stuttgarter Osten. Nach 33 Jahren machen die beiden nun Schluss mit ihrem Geschäft. Jetzt soll eine Crowdfunding-Kampagne helfen, die Ostend-Buchhandlung zu erhalten.
Die Inhaber der Buchhandlung haben an den Standort in Stuttgart-Ost geglaubt
Vor drei Jahrzenten war es ein großes Wagnis, im Stuttgarter Osten eine Buchhandlung zu eröffnen. Ausgerechnet in Stuttgart-Ost. Wie sagte eine Gaisburger Pfarrersfrau damals zu ihnen? „In Ostheim lesen sie doch keine Bücher.“
Die Pfarrersfrau hat sich geirrt, in Stuttgart-Ost werden nach wie vor gedruckte Bücher gelesen, die Ostend-Buchhandlung gibt es immer noch. „Die Anfangszeit war ganz schön schwierig“, erinnern sich die beiden an die Zeit, in der sie sich auch selbst einschränken und erst einmal herausfinden mussten, wie die Menschen im Stuttgarter Osten so ticken, wenn es um Bücher geht.
An der Ecke Ostendstraße/Klingenstraße versuchten sie von Anfang an eine für vermeintliche Fachleute gewagte Mischung. Das Sortiment reichte und reicht von allgemeiner Unterhaltungsliteratur über anspruchsvolle Belletristik bis zu Ratgebern und Kinderbüchern. Eine Beraterin sagte ihnen damals: „Diesen Spagat schaffen Sie nicht.“ Schlote: „Aber wir machen den seit 33 Jahren und ohne den wären wir glaube ich längst weg vom Fenster.“
In den ersten Jahren erlebten sie dann schnell, dass ihre eigene, eher nüchterne und ganz unprätentiöse Art tatsächlich und ziemlich gut zum Charakter der Menschen im Stuttgarter Osten passt. Aktionen zur Kundengewinnung wie Preisausschreiben interessieren dort eher wenige, klassische Werbung beispielsweise auf den direkt vor dem Laden regelmäßig vorbeifahrenden SSB-Omnibussen seien „reine Geldverschwendung“ gewesen, erzählen die beiden.
Eine kleine rote Rutsche war die beste Werbung für die Buchhandlung in Stuttgart-Ost
Die größte Wirkung hatte stattdessen in den 33 Jahren eine ganz kleine Rutsche, die gefühlt schon immer im hinteren Bereich der Buchhandlung auf dem Weg zu den Kinderbüchern steht. Die war einst ein Geschenk des Ravensburger Verlags. Diese Rutsche ist unverändert die wirkungsvollste Gemeinschafts- oder Community-bildende Maßnahme. So manche Eltern, die heute nach Lesestoff für ihren Nachwuchs suchen, sind einst selbst dort schon runtergerutscht und stehen lächelnd und in Erinnerungen schwelgend davor.
So gesehen hat sich für Ulrich Schlote und seine Schwester in den vergangenen drei Jahrzehnten im Laden gar nicht so viel verändert. Kinderbücher sind nach wie vor ein wichtiges Standbein. Die Nachfrage nach Ratgebern, egal ob Reiseführer, Kochbücher oder auch Schwangerschaftsratgeber, sei internetbedingt deutlich zurückgegangen.
Dafür sind mit der gerade auch durch Social Media ausgelösten Young-Adult-Welle (YA) ganz neue, junge Leserinnen und Leser dazu gekommen. Für sie spiele die Optik der Bücher eine wichtige Rolle, auffällig sei, dass diese Gruppe die Bücher auch auf Englisch lese – und dann in der Buchhandlung immer wieder auch Klassiker wie die von Jane Austen entdecke.
Young-Adult- Literatur – hier bei der Frankfurter Buchmesse im Oktober – hat dem Buchhandel eine neue Zielgruppe beschert. Foto: imago/Hannelore Förster
Ulrich Schlote und Katrin Schlote-Korthals gehen zum Jahresende in den Ruhestand. Die Ostend-Buchhandlung wird es aber weiter geben. In diesen Zeiten, in denen Unternehmen oft mangels Nachfolge schließen müssen, haben die beiden tatsächlich Nachfolgerinnen gefunden. Nina Schweikert hat vor beinahe 30 Jahren ihre Ausbildung in der Ostend-Buchhandlung gemacht und war die erste Auszubildende, die die Schlotes übernehmen konnten. Sie ist der Buchhandlung treu geblieben, kennt die Kundschaft und die Kunden kennen sie. Zusammen mit ihrer Freundin Andrea Heidel wird sie die Geschichte der Ostend-Buchhandlung weiterschreiben.
8000 Bücher übernehmen die neuen Inhaberinnen des Buchladens in Stuttgart-Ost
Für so eine Geschäftsübernahme ist Startkapital erforderlich, nicht nur für das Mobiliar, erst recht für die rund 8000 Bücher im Bestand. Dafür haben die beiden Frauen eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, Ziel sind 20.000 Euro bis Ende Januar. Die Kampagne läuft noch mehr als 70 Tage – und es sind schon knapp 15.000 Euro zusammengekommen. Das ist der beste Beweis dafür, wie tief die Buchhandlung im Osten verwurzelt ist und wie viel die Menschen mit ihr verbinden: ein echter Ankerpunkt, Ruhepol und manchmal vielleicht auch Zufluchtsort in der Nachbarschaft in einer sich schnell verändernden Welt.