Fackelmärsche findet unser Kolumnist eigentlich furchtbar – aber wenn die Jugendfeuerwehr damit zu Sankt Martin vor den Kindern her stapft, ist er schwer angefasst – auch wenn kaum einer die Liedtexte mehr kann.
Der Nebel zieht durch das dunkle Dorf. Es ist 18.30 Uhr in Remshalden, Baden-Württemberg. Kinder mit Laternen laufen in Richtung des Feuerwehrhauses. Der Spielmannszug macht sich bereit. Die Bläser und Bläserinnen beginnen zu spielen. „Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne“ singen ein paar mit. So wirklich textsicher ist keiner mehr im Jahr 2025. Auch „Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind/ Sein Roß, das trug ihn fort geschwind“ wird eher undeutlich mitgemurmelt als gesungen. Die Musiker spielen höchstens zwei Strophen der alten Lieder, ehe sie zum nächsten übergehen.
Bestimmt 100, vielleicht auch 200 Menschen sind auf den Berg gefahren, um zum Laternenlauf zu gehen. Vorn führen Mädchen und Jungen der Jugendfeuerwehr mit Fackeln den Zug an. Manchmal fällt ein Stück von den Pechfackeln zu Boden. Funken fliegen. Sicherheitsschuhe stampfen darauf. Die Uniformen der Jugendlichen sind orange und blau. Sie tragen rote Helme mit ihren Namen darauf. Für die Kinder, die mit ihren Laternen laufen, sind die Jugendlichen unendlich groß.
Aus historischen Gründen finde ich Fackelmärsche ziemlich furchtbar. Aber bei der Jugendfeuerwehr habe ich keine Bedenken. Ich finde das alles einfach nur schrecklich schön und rührend. Die Dorfkinder mit ihren selbstgebastelten Laternen in Einhorn-, Giraffen-, Polizeiauto- und Fußball-Form. Die Eltern, die die Kinder an die Hand nehmen, die Laterne wieder aufheben, wenn sie mal aus der Hand rutscht, den Wackelkontakt bei diesen modernen, aber schlechter funktionierenden LED-Lampen in den Laternen durch Schütteln zu beheben versuchen.
Es geht vorbei an den gutbürgerlichen Einfamilienhäusern, in deren Vorgärten ausgehöhlte Kürbisse vor sich hinschimmeln. Da ist der Obststand eines Nebenerwerbslandwirts. Die Äpfel sehen gut aus dieses Jahr. Vor den Häusern stehen Autos von Porsche, Volkswagen und Mercedes. Jeden Tag erreichen einen neue Schreckensmeldungen der Autobauer. Hier stehen sie noch mit einer Mischung aus altem Stolz und Trotz: die guten, alten deutschen Autos. Wie lange noch, frag’ ich mich. Und ich denke an Lutz Meschke, das Porsche-Vorstandsmitglied, das im Februar vorzeitig ausschied. Lutz Meschke hat 11,6 Millionen Euro Abfindung bekommen. Ich freue mich für ihn. Bei Porsche aber ist die Stimmung nicht so gut. In den vergangenen zwei Jahren hat sich der Wert der Porsche-Aktie mehr als halbiert. Und ich frage mich, wie das sein kann, dass einer, der seine Arbeit offenbar eher nicht so gut gemacht hat, eine Abfindung bekommt, für die ich länger arbeiten müsste, als ich leben werde.
Und dann ist der Laternenlauf zu Ende. Man trifft sich wieder vor dem Feuerwehrhaus. Die großen, roten Türen gehen auf. Drin sitzen schon ein paar Feuerwehrmänner vor ihren Bieren. Kostenlose Brezeln werden verteilt. Eine Big Band spielt poppigen Hotel-Jazz. Die Kinder beißen in die Brezeln. „Hmm, schmeckt die gut“, sagt meine Tochter. Und ich schau’ in den Himmel. Und dann wieder auf die Laterne und meine Tochter. Dort oben, da leuchten die Sterne. Und unten, da leuchten wir.