
Europamagazin
Zwei Jahre nach dem Wahlsieg von Ministerpräsident Fico zeigt sich die Slowakei mehr denn je gespalten. Fico treibt den Umbau des Landes voran – und das wirkt sich bis in eine Berghütte der Hohen Tatra aus.
An Premierminister Robert Fico scheiden sich in der Slowakei die Geister. Seine Anhänger sorgen dafür, dass er in der Rangliste der vertrauenswürdigsten Politiker des Landes regelmäßig an der Spitze steht – doch in einem anderen Teil der Gesellschaft gärt der Unmut über Fico.
Immer wieder flammen Proteste auf, immer wieder demonstrieren in vielen Städten Tausende Menschen gegen die Regierung, der sie vorwerfen, das Land von Europa zu entfremden und in Richtung Moskau zu steuern.
Auch in den Bergen ist alles anders
Die gesellschaftliche Spaltung reicht inzwischen bis in die Berge der Hohen Tatra. Dort, auf 2.250 Metern Höhe, liegt die Berghütte „Chata pod Rysmi“.
In den Bergen habe immer der Mensch gegolten, nicht die Weltanschauung, sagt Hüttenwirt Viktor Beránek. Doch nun sei die Politik auch hier oben angekommen. Der Hüttenwirt ist für viele Slowaken das Gesicht der Tatra, eine Legende im Land – und längst auch eine Symbolfigur.
Die Hohe Tatra ist der höchste Teil der Karpaten. Der Großteil der Gebirgsregion liegt in der Slowakei.
Aus politischen Gründen ausgebootet?
Seit 48 Jahren versorgt der heute 74-Jährige auf der Hütte Wanderer und Bergsteiger. Nun soll Schluss sein. Der Pachtvertrag wurde vom slowakischen Tourismus-Bund nicht verlängert.
Beránek glaubt, das habe politische Gründe. Er hatte Premier Fico öffentlich kritisiert, weil dieser die Unterstützung der Ukraine immer wieder infrage stellt. „Ficos Haltung kam mir egoistisch und rücksichtslos vor“, sagt Beránek.
Wenn jemand vom Bären angegriffen wird, dann hilft man ihm. So ist das bei uns in den Bergen.
Nach dem offenen Brief des Hüttenwirts begannen anonyme Drohungen. Gleichzeitig wurde Beránek in regierungsnahen Medien angegriffen.
Der Tourismus-Bund bestreitet jeden politischen Hintergrund des Pächterwechsels, doch für viele Beobachter steht der Fall exemplarisch für den rauer werdenden Umgangston im Land.
In der Berghütte „Chata pod Rysmi“ geht es unter Fico nicht mehr nur um Natur und Freizeit. Die Politik hat die Hütte und ihren Pächter erreicht.
Eine andere Slowakei
Fico führt bereits zum vierten Mal die slowakische Regierung. 2018 musste er nach dem Mord an dem Investigativjournalisten Ján Kuciak zurücktreten, der Verbindungen vom organisierten Verbrechen bis in höchste Regierungskreise aufgedeckt hatte.
Vor zwei Jahren kehrte er aber an die Macht zurück. Seitdem hat er Polizei und Justiz umgebaut, die Antikorruptionsbehörden aufgelöst und den Einfluss auf die öffentlich-rechtlichen Medien ausgeweitet.
Weniger Kontrolle, mehr Ausrichtung nach Osten
In Brüssel verursacht das wachsende Sorgen. EU-Abgeordnete sprechen von einem Angriff auf den Rechtsstaat. Der Grünen-Politiker Daniel Freund war Teil einer parlamentarischen Delegation, die den Vorwürfen im Land selbst auf den Grund gehen sollte.
„Spezial-Staatsanwaltschaft und Polizeibehörden wurden zerschlagen, Verjährungsfristen verkürzt – das alles untergräbt die Kontrolle der Regierung“, sagt er.
Fico inszeniert sich dagegen als Verteidiger nationaler Interessen. Er betont, die Slowakei müsse ihren eigenen Weg gehen – weniger Brüssel, mehr Souveränität, eine selbstständige Außenpolitik „in alle vier Himmelsrichtungen“. Kritiker sehen darin eine Annäherung an Russland.
Hüttenwirt Beránek muss seinen Platz in der Hohen Tatra aufgeben – und will fürs Erste auch die Slowakei verlassen.
Die letzte Saison
Wie tief die Spaltung reicht, zeigt sich auch im Alltag. Viele ältere Slowaken unterstützen Fico, weil sie sich von ihm soziale Sicherheit versprechen. Jüngere dagegen verlassen das Land, aus Frust über Korruption und politischen Stillstand.
Für Viktor Beránek ist es nun definitv: Nach 48 Jahren geht seine letzte Saison auf der „Chata pod Rysmi“ zu Ende. Seine Entscheidung hat er inzwischen getroffen: Er wird nicht nur seine Hütte, sondern auch das Land verlassen – mit dem Caravan, irgendwo in Richtung Norden.
„Bestimmt wird mir das Leben hier fehlen“, sagt er, „aber alles hat sein Ende“. Ein stiller Abschied – und ein Sinnbild für ein Land, das um seine Richtung ringt: zwischen Ost und West, zwischen Wut und Hoffnung, zwischen einem langen, frostigen Winter und dem Wunsch nach einem neuen, slowakischen Frühling, der die Menschen im tief gespaltenen Land wieder zusammenbringen könnte.
Eine längere Reportage zum Thema sehen Sie im Europamagazin – am Sonntag um 12.45 Uhr im Ersten.
