Turnweltmeisterin Angelina Melnikowa hat bei ihrem Debüt in der Bundesliga im Team des TSV Tittmoning-Chemnitz sportlich überzeugt und für großes Interesse in der Esslinger Wettkampfhalle gesorgt. Doch nicht alle finden den Start der Russin in Deutschland gut. Und auch die Chemnitzer Trainerin kommt ins Grübeln.
Esslingen.
Ganz am Ende geriet Angelina Melnikowa ins Stolpern. Nach ihrer letzten Bahn am Boden, die sie mit einem gebückten Doppelsalto beendete, musste die 25-Jährige auf die Matte greifen. Doch sie lächelte souverän über diesen Patzer hinweg, und der Großteil der 1000 Zuschauer auf den Tribünen der Sporthalle Weil in Esslingen applaudierte der Mehrkampf-Weltmeisterin lautstark.
Zum ersten Mal war die russische Kunstturnerin am Samstag bei einem Bundesliga-Wettkampf für die Riege des TSV Tittmoning-Chemnitz an den Start gegangen. Der Coup, mit dem sich der Tagessieger und Tabellenführer beim Finale am 29. November in Heidelberg nach langer Stuttgarter Dominanz erstmals den Titel sichern könnte, gilt als umstritten: Melnikowa genießt beim Turn-Weltverband FIG zwar einen neutralen Status und darf bei dessen Wettkämpfen an die Geräte gehen. Doch engagierte sie sich politisch für die Pro-Putin-Partei „Einiges Russland“. In Baden-Württemberg wollte sie nur Fragen zum Sport beantworten. Sie habe davon „geträumt“, mal die Bundesliga zu erleben, erklärte die Moskauerin. „Ich habe so etwas noch nie mitgemacht.“ Die Polizei hatte vorsichtshalber ein paar Kräfte in die Halle entsandt für den Fall, dass es Proteste geben sollte. Doch es blieb ruhig.
Bachmayer: Ich habe das unterschätzt
Die Chemnitzer Trainerin Tatjana Bachmayer gab zu, die Folgen des Engagements Melnikowas unterschätzt zu haben. „Wir haben uns auf das Urteil der FIG verlassen“, betonte sie. Es sei nicht ihre Aufgabe zu überprüfen, ob eine Turnerin den neutralen Status verdient. Die Altendorfer Europameisterin Karina Schönmaier, die selbst eine russische Mutter hat, sagte: „Ich habe eine neutrale Meinung dazu. Politik hat im Sport nichts zu suchen.“ Sie sehe nur die Sportlerin. Das sahen Turnerinnen aus den Konkurrenzvereinen ähnlich.
Der Esslinger Oberbürgermeister Matthias Klopfer sprach von einer „falschen“ Entscheidung. „Ich wünsche mir, dass die Chemnitzer nach dem Finale noch mal darüber nachdenken, ob sie wirklich mit einer russischen Turnerin mit Nähe zur Putin-Partie hätten starten sollen.“ Michael Götz, der Präsident der Deutschen Turnliga (DTL), kündigte an, man werde „zeitnah“ in Gremien darüber beraten, ob man sich in solchen Fragen weiterhin dem Reglement der FIG anschließen sollte.
Kritik an Doppelmoral
Bachmayer kritisierte „die Doppelmoral“. Nach dem Wettkampf bildeten sich lange Schlangen von Turnerinnen und Zuschauern, die Selfies mit Melnikowa haben wollten und bekamen. Das Publikum hatte die Topscorerin des Tages vor ihren Übungen jeweils nur mit zaghaftem Beifall begrüßt, sie für ihre glänzenden Leistungen dann aber gefeiert. „Jeder kritisiert uns, aber richtet dann das Handy auf sie“, sagte Bachmayer.
Ihr Kollege Anatol Ashurkov verteidigte das eigene Vorgehen als Zeichen für den Frieden. Dass der grausame Ukraine-Krieg weitergeht, kommentierte er nicht. Am eigenen Stützpunkt arbeite neben einer Choreografin, die wie er aus Weißrussland stammt, als Balletttrainerin auch eine Ukrainerin, die vor der Invasion in ihrer Heimat geflüchtet war. „Vielleicht können wir ein Beispiel dafür schaffen, wie der Sport alles zusammenbringt und verbindet“, sagte Bachmayer. Auf die Frage, ob sie Melnikowa im Nachhinein noch einmal verpflichten würde, sagte sie: „Darüber muss ich noch eine Nacht schlafen.“ Auch für das Finale blieb eine feste Zusage aus: „Wer weiß, was noch kommt.“
13.11.2025
Darf diese Russin für Chemnitz turnen?

Sie zeigte sich mit einer Tasche mit dem Z, sie kandidierte in ihrer Geburtsstadt Woronesch für die Pro-Putin-Partei „Einiges Russland“ für den Stadtrat, nun turnt sie in der Bundesliga für die Chemnitzer Riege. Sportlich ist Angelina Melnikowa ein großer Gewinn für das Team, doch ihr Engagement ist umstritten und sorgt für Bauchschmerzen.