Was für die Polizei zunächst als ganz gewöhnliche Vermisstensuche begann, endete in einer Katastrophe. Ein Polizeibeamter hat in Bochum einem zwölfjährigen Mädchen in den Bauch geschossen. Das Kind wurde lebensgefährlich verletzt.
Das Drama ereignete sich in der Nacht von Sonntag auf Montag, 17. November, wie die Polizei Essen am Montagvormittag berichtet; sie hat die Ermittlungen in dem Fall aus Neutralitätsgründen übernommen. Gegen 0.30 Uhr waren Einsatzkräfte der Polizei Bochum mit zwei Streifenwagen zu einem Mehrfamilienhaus an der Reichsstraße im Stadtteil Hamme gefahren. Dort sollte sich das vermisste Mädchen aufhalten.
Gesuchtes Mädchen auf lebenswichtige Medikamente angewiesen
Die Gehörlose hatte sich aus einer Wohngruppe in Münster entfernt. Sie ist auf lebenswichtige Medikamente angewiesen, die sie möglicherweise über einen längeren Zeitraum nicht eingenommen hatte. Betreuer hatten sie am Sonntagvormittag zuletzt gesehen und als vermisst gemeldet.

In einer Wohnung an der Reichsstraße in Bochum-Hamme ist bei einem Polizeieinsatz in der Nacht zu Montag ein zwölfjähriges Mädchen angeschossen und lebensgefährlich verletzt worden.
© FUNKE Foto Services | Michael Korte
Angetroffen wurde das Mädchen nach Angaben der Polizei in der Wohnung der ebenfalls gehörlosen Mutter an der Reichsstraße, einer kleinen Wohnstraße, die nur aus Mehrparteien-Reihenhäusern besteht. Der Mutter war das Sorgerecht und das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das erkrankte Mädchen entzogen worden. Nach Informationen dieser Redaktion soll die Mutter nicht in der Lage gewesen sein, die regelmäßige Versorgung des Kindes mit den Medikamenten sicherzustellen.
Polizei: Beamter wollte mit dem Schuss einen drohenden Angriff abwehren
Nach Polizeiangaben wurde die Wohnungstür zunächst nicht geöffnet, obwohl Geräusche aus der Wohnung im ersten Stock nach außen drangen. Die Einsatzkräfte forderten einen Schlüsseldienst an. Noch bevor dieser eintraf, öffnete die Mutter den Beamten gegen 1.30 Uhr die Tür. Während die Beamten die Räume absuchten, soll die Zwölfjährige mit zwei Messern in der Hand auf die Polizisten zugegangen sein. „Um einen drohenden Angriff mit den Messern abzuwehren“, so die Polizei, setzten die Polizisten nach erstem Erkenntnisstand zeitgleich einen Taser (Elektroschocker) und eine Schusswaffe ein.
Wie Staatsanwalt Jan Finke dieser Redaktion sagte, gab ein Beamter nach bisherigen Erkenntnissen einen Schuss ab und traf das Kind in der Bauchgegend. Das Mädchen, das eine sehr kräftige Statur haben soll, habe zwei Fleischermesser aus der Küchenschublade in den Händen gehabt. Die Beamten blieben unverletzt. Finke zufolge waren vier Beamte vor Ort, mindestens zwei in der Wohnung. Die Mutter war zum Zeitpunkt nicht mehr in der Wohnung, nur ein erwachsener Bruder des Mädchens.
+++ Aus Bochum, für Bochum! Abonnieren Sie hier „Deep im Westen“, unseren kostenlosen Newsletter aus der Redaktion +++
Die Polizisten leisteten sofort Erste Hilfe, bis Rettungskräfte und ein Notarzt eintrafen. Im Bochumer Bergmannsheil wurde das Mädchen operiert. „Sie hat die OP gut überstanden“, sagte ein Polizeisprecher am Nachmittag dieser Redaktion. „Der Zustand des Mädchens ist kritisch, aber stabil.“
Deep im Westen: Jetzt kostenlos anmelden!
Karo, Sarah und Marian bringen Dir am Abend die wichtigsten Bochum-News direkt ins Postfach.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der
Werbevereinbarung
zu.
Noch in der Nacht setzte die Polizei eine Mordkommission ein; das ist obligatorisch bei Schussabgaben dieser Art. Gegen den Beamten, der geschossen hat, wurde ein Verfahren eingeleitet. „Er ist formal als Beschuldigter belehrt worden und macht von seinem Schweigerecht Gebrauch“, sagte Staatsanwalt Finke. Die Ermittlungen sollen nun klären, ob der Schuss verhältnismäßig, vielleicht sogar unausweichlich war, um das eigene Leben zu schützen – oder eben auch nicht.

Nach dem Schuss erschienen weitere Polizeiwagen am Ort des Geschehens. Der 26-jährige Informatiker Jean Pütz spricht von fünf Fahrzeugen. Er wohnt in einem Haus nur einen Steinwurf vom Einsatzort entfernt. Er habe gerade einschlafen wollen und dann plötzlich die Martinshörner der Einsatzwagen gehört, die „immer lauter“ geworden seien. „Ich habe am Fenster geguckt und Blaulicht gesehen. Mich hat die Neugierde gepackt.“

Zeuge Jean Pütz an der Reichsstraße in Bochum: Er wohnt in der Nähe und wollte gerade schlafen gehen, als er den Polizeieinsatz mit Martinshörnern hörte.
© WAZ | Bernd Kiesewetter
Zeuge: „Ich war schockiert, dass ein zwölfjähriges Mädchen angeschossen worden ist“
In einem der Polizeiwagen habe jemand laute, hysterische „Mama!“-Rufe gehört, „und noch irgendwas, das ich nicht verstanden habe“. Die Stimme gehörte einem Mann. Worum es bei dem Einsatz ging, erfuhr er erst am Vormittag darauf durch die Medien. „Ich war schockiert, dass ein zwölfjähriges Mädchen angeschossen worden ist“, sagte Pütz.