Eine Hochhaussiedlung in Hannover aus der Vogelperspektive.

Stand: 17.11.2025 11:39 Uhr

Hannovers Stadtteil Mühlenberg galt lange als Brennpunktviertel. 2.000 Menschen aus 50 Nationen leben dort in oft engen Hochhauswohnungen. Seit 2021 saniert nun die städtische Baugruppe hanova im großen Stil.

Noch vor wenigen Jahren flogen in Mühlenberg Kühlschränke vom Balkon, brannten Dächer und Keller aus und Müllberge zogen die Ratten an. Die städtische Immobilientochter hanova kaufte die marode Hochhaussiedlung mit rund 2.000 Wohnungen und saniert dort nun seit fünf Jahren. Inzwischen hat sich schon einiges verändert. Zum Beispiel haben neue Sammelcontainer für Sperrmüll das Müllproblem entschärft, es gibt einen Mittagstisch für Kinder, außerdem mehr Licht in bislang dunklen Ecken. Für hanova ist Ralf Gehrmann täglich als Quartierskoordinator im Canarisweg unterwegs, um Probleme vor Ort zu lösen.

Herr Gehrmann, in Niedersachsen sorgen gerade zwei soziale Brennpunkte für negative Schlagzeilen – einer in Göttingen, ein anderer in Delmenhorst. Wenn Sie von Schimmel, Müll und Gewalt in solchen Stadtteilen hören, was geht da in Ihnen vor?

Zwei junge Männer sprechen mit einem älteren Mann.

Ralf Gehrmann ist täglich als Quartierskoordinator im Canarisweg unterwegs, um Probleme zu lösen.

Ralf Gehrmann: Vor fünf Jahren war das hier im Canarisweg genauso. Es war hier komplett verwahrlost. Die ganzen Bauminseln waren voller Müll – alles zugestellt, viele Vierbeiner machten sich daran zu schaffen. Das ganze Gebäude hatte marode Fenster, die Wohnungseingangstüren waren in einem ganz schlechten Zustand, es gab Rohrbrüche und deswegen überall Schimmel. Technisch war hier nichts in Ordnung, im Umfeld sehr viel Chaos, sehr viel Dreck. Der schlechte Ruf, der kam nicht von ungefähr.

Jetzt sieht man sich im Viertel um: Es ist blitzsauber und die Bewohner wirken entspannt. Was braucht es denn, um so ein Problemviertel zu „retten“?

Gehrmann: Das erste, was man hier unbedingt braucht, ist Empathie für die Menschen, die hier wohnen. Dass man ihnen zuhört, dass man ihnen Vertrauen schenkt. Anfangs hat sich kein Mieter getraut, zu sagen, dass hier etwas kaputt war. Es braucht einen verlässlichen Ansprechpartner hier vor Ort, um etwas zu verändern.

Der Canarisweg in Hannover-Mühlenberg

  • Hochhaussiedlung aus den 70er Jahren
  • bis zu 13 Stockwerke
  • rund 2.000 Menschen aus knapp 50 Nationen
  • „jüngster“ Stadtteil Hannovers
  • 2020 von der städtischen Immobilientochter hanova gekauft
  • seit 2020 läuft die Sanierung
  • hanova investiert rund 45 Millionen in den Canarisweg 
  • geplanter Sanierungsabschluss: Ende 2026

Sie haben aber nicht nur zugehört, oder? Was haben Sie konkret angeschoben, um beispielsweise das Müllproblem zu lösen?

Gehrmann:  Grundsätzlich ist es wichtig, dass erst gar keine Müllinseln entstehen, dass alles schnell weggefahren wird. Sonst wächst der Berg. 

Sie haben also nur den Abholtakt geändert? Nach dem Motto: „Aus den Augen, aus dem Sinn?“

Ein  Mann steht in einem Haus vor einem Baugerüst.

Hanova kaufte die marode Hochaussiedlung und saniert nun seit fünf Jahren. Rolf Gehrmann ist immer vor Ort.

Gehrmann: Natürlich nicht. Wir haben zusätzlich Geld in die Hand genommen, uns mit der Stadt und den Abfallentsorgern zusammengesetzt, mehr Container aufgestellt und einen neuen Sperrmüllplatz gebaut. Und wir reinigen die Flächen nun selbst. Am Anfang war es noch so, dass wir die Mieter oft angesprochen haben, weil sie es gar nicht so kannten. Bei ihnen wurde der Müll einfach nur vor die Tür gestellt. Das wollten wir hier nicht so haben und haben erklären können, dass es so auch für alle viel schöner und viel besser aussieht. Das wird hier sehr gut angenommen und mittlerweile, wie Sie im Umfeld hier auch überall erkennen können, ist es sehr ordentlich und sehr sauber.

Und es wird auch kontrolliert? Die Polizei ist hier im Viertel regelmäßig unterwegs. 

Gehrmann: Ja, es gibt hier sogenannte Dreierstreifen: Abfallfahnder, Ordnungsdienst und Kontaktbeamte. Alle bestätigen uns, dass es hier besser aussieht und friedlicher zugeht, als in der Vergangenheit.

Glauben Sie denn, dass hanova mit den sanierten Wohnungen und dem Umfeld dauerhaft Erfolg haben kann?

Ein Dachgeschoss eines saniertes Hochhauses.

Trotz der Sanierungen und aller Veränderungen: Der Name Canarisweg ist nach wie vor negativ behaftet.

Gehrmann: Sagen wir es mal so: Ich bin hier tatsächlich seit fünf Jahren in einem besonderen Viertel. Das hat mich auch verändert, mein Herz weit gemacht. Im Gegensatz zu dem eigentlichen Ruf, den der Canarisweg hat, sind hier 90 bis 95 Prozent der Menschen unheimlich lieb und grundsätzlich auch nicht anders als wir. Auch sie möchten gerne eine Wohnung haben, möchten Sicherheit haben und vor allem das Beste für ihre Kinder. Niemand möchte, dass sein Kind mit Drogen dealt. Die Menschen haben es hier natürlich schwerer. Deshalb unterstützen wir auch die Nachbarschaftsvereine und die sozialen Projekte im Viertel. 

Wer konnte, hat bisher einen großen Bogen um eine Wohnung im Canarisweg gemacht. Hat sich das schon geändert?

Gehrmann: Oh ja! Mittlerweile haben wir jede Menge Anfragen von neuen Mietern. Das sind meistens Mieter mit einem Bezug zum Canarisweg, die erzählen, dass es hier jetzt sauber und ordentlich ist. Grundsätzlich ist der Name Canarisweg aber noch sehr negativ behaftet. Das bleibt ein großes Problem, nicht nur für die neuen Mieter, sondern auch für Mieter, die sich nach außen bewerben, sei es auf Arbeitsplätze oder für einen Platz in einer Schule. Schön wäre es sicherlich, wenn wir nach Abschluss der Arbeiten den Namen ändern könnten, vielleicht Sonnengasse, irgendwas Schönes, was Positives.

Das Interview führte Katrin Heineking, NDR Niedersachsen.

Wer ist Ralf Gehrmann?

  • Ralf Gehrmann ist 59 Jahre alt, verheiratet und hat vier Kinder
  • Ausbildung zum Schlosser bei VW
  • seit 1998 bei hanova
  • 2000: Kaufmann der Wohnungs,- und Immobilienwirtschaft bei hanova
  • Zusatzausbildung als Mediator und Sozialberater der Wohnungswirtschaft
  • seit Dezember 2020 Quartierskoordinator im Canarisweg 

Am Zaun einer Grundschule hängen Schilder mit Begrüßungen in mehreren Sprachen.

Fast eine halbe Million Euro soll in 19 Projekte in Niedersachsen fließen – vom Familiencafé bis zum Sprachprojekt.

Eine Person mit Gummihandschuhen pflanzt in einem Garten einen kleinen Baum ein.

Dabei lernen die Fünftklässler einer Integrierten Gesamtschule von einem Förster, was beim Pflanzen zu beachten ist.

Blick auf einen Häuserblock in Göttingen.

Die Stadt will Mehrheitseignerin des Gebäudekomplexes im Hagenweg werden – um ihn dann sanieren oder abreißen zu können.

Blick auf den Schulhof der IGS Stöcken.

Nach der IGS Büssingweg hat nun die zweite Schule in Hannover einen Brandbrief an die Schulverwaltung verfasst.