Von den Füßen aus zieht die Kälte hoch in den Körper, von oben tröpfelt der Regen auf den Kopf herab: Es ist ein ungemütlicher Morgen in der Maxvorstadt, und dazu passt das Treffen zwischen zwei Baustellen in der Türkenstraße – auf der einen Seite die Hausnummer 50, auf der andern die 54.
Dazwischen, vor dem bereits fertiggestellten Neubau mit der Nummer 52, entrollt mehr als ein Dutzend Menschen ein gelbes Transparent, mit dem sie auf eine Kundgebung am 7. Februar in München hinweisen wollen. Das Motto: „Uns glangts!“ Es geht um die nach Angaben der Organisatoren „größte Mietendemo in München seit 2018“.
Es ist ein breites Bündnis aus Initiativen, Vereinen, Verbänden und zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich zusammengetan haben, um ihr gemeinsames Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen: Es geht um die Forderung nach sozialem Bauen und vor allem sozialem Wohnen, um einen Mietendeckel, den Erhalt von günstigem Wohnraum, die Verhinderung von Bodenspekulation, insbesondere des Verkaufs von Immobilien und Grundstücken aus der öffentlichen Hand an private Investoren.
Tilman Schaich von der Initiative „#ausspekuliert“ ist einer der Mitwirkenden, der Aktivist, der bereits vor sieben Jahren „zehntausend Menschen in München auf die Straße gebracht“ hat, um gegen steigende Mieten und zunehmende Immobilienspekulation zu protestieren. „Seitdem hat keine Regierungspartei etwas dagegen getan“, klagt er nun im Nieselregen.
„Die Frustration über die Situation in München ist groß“, berichtet Julia Richter, die sich in der Gruppe „Mehr Lärm für München“ für die kreative Szene der Stadt engagiert. Die ist ebenfalls von den Verdrängungsmechanismen auf dem Immobilienmarkt betroffen, ebenso wie es soziale Einrichtungen sind. Wenn denen erst einmal Räume gekündigt worden seien, müssten sie oft die Arbeit komplett einstellen, weil sie keine günstigen Räumlichkeiten mehr fänden, berichtet Karin Majewski, die Geschäftsführerin des Bezirks Oberbayern im Paritätischen Wohlfahrtsverband. Auch Angestellte in sozialen Berufen könnten sich kaum noch Wohnungen in München leisten, fügt sie hinzu.
Aus all diesen Gründen habe das entstandene Netzwerk beschlossen, für den 7. Februar 2026 wieder eine große Kundgebung auf dem Odeonsplatz zu organisieren. Einen Monat vor der Kommunalwahl „wollen wir nochmal unsere ganze Wut auf die Straße tragen“, sagt Julia Richter. Mit der Forderung „Mieten runter“ sollen indes nicht nur Münchnerinnen und Münchner mobilisiert werden, erklärt Matthias Weinzierl, der Koordinator der „Kampagne Mietenstopp“ und Moderator des Treffens. Nach seinen Vorstellungen sollen an diesem Tag, dem 7. Februar 2026, bundesweit Menschen für einen besseren Mieterschutz demonstrieren.
Auch gegen Leerstände wie in der Türkenstraße richtet sich der Protest
Weinzierl hält den Treffpunkt des Medientermins in der Türkenstraße für den „idealen Ort“, um die Gründe für die Kundgebung zu erläutern. „Anhand dieser drei Gebäude können wir erzählen, was in München los ist“, sagt er.
Stefan Sasse kann zum Beispiel etwas über die Türkenstraße 50 erzählen, einem Mietshaus mit einst 57 Wohnungen, aus dem er als letzter Mieter ausgezogen ist. 2020 wurde das Gebäude an einen Investor verkauft, den Konzern Legat Living; eine Tochterfirma baut das Gebäude jetzt um in Eigentumswohnungen zu Quadratmeterpreisen von 20 000 Euro und mehr, wie er berichtet. Mit einer Rückkehr von früher dort ansässigen und tätigen Kleingewerbetreibenden sei da nicht mehr zu rechnen. Ein „unwiederbringliches soziales Gefüge ist jetzt weg“, sagt Sasse.
Nebenan in der Türkenstraße 52 sind mittlerweile die ersten Menschen in den Neubau eingezogen, an der Fassade hängt ein Werbebanner mit dem Hinweis, das Haus sei „größtenteils bezugsfertig“. Unten an der Eingangstür zum Hof prangt statt einer Klingel ein moderner Touchbildschirm, auf dem man nach den Namen der Bewohner scrollen kann. Mehr als anderthalb Jahre habe das Gebäude leer gestanden, ehe es 2019 abgerissen worden sei – auch gegen derart lange Leerstände wendet sich die Demo im Februar.
In der Türkenstraße 54 wohnten derzeit noch drei Altmieter, erzählt Max Ott auf der Straße. Er selbst hat 24 Jahre in dem Komplex gelebt, ehe er nach Berlin gezogen ist. Ott ist eigens nach München gekommen, um vom „hartnäckigen Widerstand“ seiner Eltern zu berichten, die ein halbes Jahrhundert in der Türkenstraße gewohnt haben, erst in der Nummer 52, zuletzt in der 54: „Die haben in den letzten 18 Jahren den ganzen Wahnsinn miterlebt, wenn Erwartungen einer Maximalverwertung entstehen.“
Die Geschichte von Otts Eltern und ihres Kampfes um ihre Wohnung ist gut dokumentiert als exemplarisches Beispiel für den Verdrängungswettbewerb auf dem Münchner Mietmarkt. Sein Vater ist Ende August gestorben, dem Sohn geht es nun darum, auch seiner Mutter zu ermöglichen, bis zu ihrem Lebensende an ihrem angestammten Wohnsitz bleiben zu können. Auch dafür will er am 7. Februar 2026 auf die Straße gehen.